Hauptdarstellerin im "Masuren-Krimi"

Claudia Eisinger: "Ein emotional sehr interessanter Charakter"

von Maximilian Haase

Claudia Eisinger spielt gern widersprüchliche Charaktere – so auch als Hauptdarstellerin des neuen "Masuren-Krimis" in der ARD. Wie sie ihre erste Rolle als Ermittlerin erlebte und wie sie sich ihren Figuren nähert, verrät die Schauspielerin im Interview.

Eine depressive junge Frau machte Claudia Eisinger zum Schauspielstar. Karo lautete ihr Name; als Hauptfigur des Films "Mängelexemplar" verschaffte sie ihrer Darstellerin 2016 viel Aufmerksamkeit und den Deutschen Schauspielerpreis. Nicht nur das: In ihrer Widersprüchlichkeit verkörperte sie alles, was die Berlinerin an guten Rollen schätzt. Tiefgang, beispielsweise. Kaum überraschend also, dass sich diese Vorliebe auch in Eisingers aktueller Hauptrolle wiederfindet: In der neuen ARD-Reihe "Der Masuren-Krimi", deren Premierenepisoden an zwei Donnerstagen am Stück ausgestrahlt werden (20. und 27. Mai jeweils 20.15 Uhr, im Ersten), spielt die 36-Jährige eine eigentümliche Ermittlerin mit vielschichtigem Emotionshaushalt. Wie man sich einer solchen Figur nähert und was sie kreativ abseits der Schauspielerei umtreibt, erklärt Claudia Eisinger im Interview.

prisma: Sie sind bekannt dafür, sich künstlerisch in vielerlei Hinsicht auszuprobieren. Wie gingen Sie bisher mit dem Stillstand während der Coronakrise um?

Claudia Eisinger: Das war natürlich herausfordernd. Es war ein Jahr, in dem bei mir viel Innenschau passierte, damit bin ich ja nicht allein. Während des ersten Lockdowns war ich eine lange Zeit in Berlin. Eine schöne Abwechslung kam dann aber mit dem "Masuren-Krimi", da konnte ich den Ort wechseln. In den Masuren ist man mitten in der Natur. Das war wahnsinnig erfrischend.

prisma: Was gefiel Ihnen dort am besten?

Eisinger: Es ist ein weites, riesiges Land. Es gibt dort verhältnismäßig wenige Menschen. Es ist noch mal anders, als etwa in Brandenburg in den Wald zu fahren. Eine sehr besondere Gegend.

prisma: Konnten Sie trotz des Drehs Ausflüge machen?

Eisinger: Die Wochenenden hatten wir frei, wobei ich da vor allem geschlafen und mich auf die neue Woche vorbereitet habe. Große Touren habe ich also nicht gemacht. Das war auch gar nicht nötig, weil wir sehr schön wohnten: Den größten Teil der Drehzeit verbrachten wir in Ferienhäusern, gelegen direkt an einem See. Das war herrlich.

prisma: Sie spielen zum ersten Mal eine Ermittlerin. Strebten Sie so eine Rolle schon länger an?

Eisinger: Nein, das war keine Ambition von mir. Ich hätte die Rolle auch gern gespielt, wenn es kein Krimiformat gewesen wäre. Dazu, zum Casting zu gehen und letztlich anzunehmen, bewog mich nicht die Tatsache, dass es eine Ermittlerin ist. Sondern dass Viktoria Wex an sich eine spannende Figur ist.

prisma: Was gefiel Ihnen an ihr?

Eisinger: Sie trägt eine vielschichtige Geschichte mit sich und besitzt eine große Tiefe. Ihre Vergangenheit hat sie sehr geprägt, entsprechend viele Eigenheiten legt sie an den Tag. Sie ist ein emotional sehr interessanter Charakter.

prisma: Von "Mängelexemplar" bis "Zahra" spielten Sie in den vergangenen Jahren oft von Widersprüchen geprägte Figuren. Halten Sie nach derlei bewusst Ausschau?

Eisinger: Auf jeden Fall. Bei einer Person wie Viktoria, die so einen starken Schutzpanzer besitzt, liegt darunter ein Ozean von Emotionen. Das reizt mich. Etwas an solchen Figuren kann ich sofort nachvollziehen. Ich mag es gern, wenn eine Figur widersprüchlich ist. Ich liebe es, so ein Spannungsfeld auszuloten. Als Spielerin macht es mir ein Stoff viel leichter, wenn er per se schon Tiefe bietet. Tut er das nicht, muss ich mir diese Tiefe selbst bauen. Je mehr ich mir davon bei einer Figur erarbeite, desto einfacher fällt mir das Spielen.

prisma: Woran liegt das?

Eisinger: Man gerät dann in so ein Fahrwasser, dass es sich fast von allein spielt. Das passiert aber nur, wenn man die Figur vorher ausführlich ergründet hat. Sie verselbständigt sich dann.

prisma: Merken Sie schon beim Drehbuchlesen, ob eine Figur für Sie funktioniert?

Eisinger: Ja. Ich merke beim Lesen sofort, ob in mir etwas angeht. Oft ist das nicht so. Dann kann man überlegen, ob man das Ganze macht – und wenn ja, wie viel man selbst dazugeben muss. Ist ein Buch hingegen gut geschrieben, muss man fast gar nichts machen.

prisma: Gehen Sie bei einer Reihe wie dem "Masuren-Krimi" anders an eine Figur heran?

Eisinger: Nein, gar nicht. Zwar hat man bei einer Reihe schon vorher viel "Futter"; aufgrund des Materials wusste ich schon viel. Aber: Eine Figur ist eine Figur. Und die möchte ich möglichst vollständig verstehen und fühlen, egal ob Reihe oder Film.

prisma: Können Sie beschreiben, wie das konkret funktioniert?

Eisinger: Es ist immer ein wenig anders. Vor allem ist es ein intuitiver Prozess. Es gibt kein Schema F., eine Figur begleitet mich von Beginn an. Egal, wo ich gerade bin, können mir Ideen kommen. Ich kann im Supermarkt sein – und plötzlich verstehe ich, wieso sie sich so und so fühlt. Sie ist dann bei mir, wie ein Wesen, das ich kennenlerne. Ich sauge die Figuren auf wie ein Schwamm. So funktioniert meine Kreativität.

prisma: Wie viel von einer Figur nehmen Sie persönlich mit, sobald Sie sie "aufgesaugt" haben?

Eisinger: Ich kann das sehr gut trennen. Drehe ich wirklich jeden Tag, wie bei "Mängelexemplar" oder dem "Masuren-Krimi", dann bin ich mit der Figur sehr verbunden. Dann bleibe ich auch immer ein bisschen drin. Ist so ein Dreh dann abgeschlossen, brauche ich immer einen kleinen Moment, um loszulassen. Das ist ganz normal: So eine Figur ist ein energetisches Feld, mit dem man verknüpft ist.

prisma: Was bringen Sie umgekehrt von sich selbst mit ein?

Eisinger: Natürlich nimmt man immer Teile von sich mit in eine Figur. Trotzdem ist das nicht privat; es findet auf einer anderen Ebene statt. Figuren sind wie Räume, in die ich hineingehen kann. Und die kann ich auch wieder verlassen und die Tür schließen. Im besten Fall ist so ein Raum von einer Figur so angereichert, dass alle Emotionen verfügbar sind, sobald ich ihn betrete. Aber jeder hat da andere Techniken.

prisma: Apropos: Sie waren vor der Pandemie noch einmal an einer renommierten Schauspielschule in New York. Konnte man Ihnen dort überhaupt noch etwas beibringen?

Eisinger: Ich wollte mir dort eine bestimmte Technik genauer anschauen. Wobei ich selbst nicht nach einer bestimmten spiele.

prisma: Geht man in den USA anders an die Schauspielerei heran als in Deutschland?

Eisinger: Wenn ich einen Unterschied feststellen konnte, dann diesen: Das Spiel ist dort unmittelbarer, direkter und viel emotionaler. Ich fand das wahnsinnig belebend.

prisma: In der Vergangenheit betonten Sie oft, wie wichtig Ihnen die Brüche in Ihrem Leben waren. Kann man diese bewusst herbeiführen?

Eisinger: Das passiert bei mir ganz natürlich. Ich bin heute nicht die Person, die ich gestern war. Ich werde mich immer verändern – und mit diesem Flow gehe ich. Ich lege nicht fest, wer ich bin, denn es verändert sich permanent.

prisma: Auch künstlerisch verlassen Sie die Schauspiel-Pfade immer wieder. Zuletzt veröffentlichten Sie gemeinsam mit Mark Pinhasov als Künstlerduo Six Feet Palace ihr Debütalbum "The Code". Ist das ein anderer Teil Ihrer Person?

Eisinger: Nein. Alles, was ich künstlerisch tue, kommt letztlich aus der gleichen Quelle. Die Musik ist nur eine andere Ausdrucksform. Anders ist, dass ich hier bis zu einem gewissen Grad nicht in einer Rolle agiere. In "The Code" bin ich wie eine Stimme, die zu einem verborgenen Teil des Bewusstseins spricht – also in dem Sinne ist es auch nicht "Ich". Eher eine Art Kanal, eine Vermittlerin. Unser nächster Live-Auftritt ist auf der Diversity United, der momentan größten zeitgenössischen europäische Kunstausstellung, im Rahmen des "be a mover"-Netzwerkes.

prisma: Ihr Partner Mark Pinhasov zeichnete auch verantwortlich für einen großen Teil der Filmmusik zum "Masuren-Krimi". Gab es da eine wechselseitige Beeinflussung von Musik und Rolle?

Eisinger: Ja die gab es. Tatsächlich habe ich mit ihm viel über die Figur gesprochen, wir sind gemeinsam durch die Bücher gegangen. Dadurch war er beim Schreiben der Musik schon tief im Stoff drin und kannte die Figur so gut, wie ich sie auch kannte.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte Sie auch interessieren