44 Stunden Horror

Gefangen im eigenen Körper

02.08.2023, 15.06 Uhr
von Franziska Wenzlick

Fast zwei Tage lang war Gil Avni bei vollem Bewusstsein, konnte sich aber nicht bewegen oder verständlich machen. Bis heute ist ungeklärt, weshalb der Familienvater am "Locked-in-Syndrom" litt. In einer emotionalen Dokumentation erzählt der Betroffene nun selbst von den schwierigsten Stunden seines Lebens.

ARD
Gefangen im eigenen Körper – 44 Stunden zwischen Leben und Tod
Dokumentation • 02.08.2023 • 22:50 Uhr

Es ist ein ganz normaler Donnerstagabend in der israelischen Stadt Kfar Saba. Gil Avni, ein 33-jähriger Familienvater, sitzt auf dem Sofa und schaut Sport, seine Frau ist außer Haus. Er habe eine "ziemlich hässliche Hose" getragen an diesem Abend, daran erinnert sich Avni noch heute. "Ich wollte mir nur ein Basketballspiel ansehen – und bin in der Hölle aufgewacht", sagt der junge Mann, der damals glaubte, in einer Werbepause einen Trailer für eine Arztserie zu sehen. In Wirklichkeit, so weiß Avni heute, sah er sich selbst – im Krankenhaus.

"Gefangen im eigenen Körper – 44 Stunden zwischen Leben und Tod" lautet der Titel der stillen und gleichzeitig sehr intensiven Dokumention, in der Rotem Gross und Einat-Emma Shamir die Geschichte von Gil Avni erzählen. Zu Wort kommt dabei zuallererst Avni selbst. Es ist ein kluger, lustiger Mann, den die Filmemacher auf einem schlichten Stuhl in einem leeren Raum platziert haben. Auf Effekthascherei verzichtet die Doku, stattdessen gibt es im knapp anderthalbstündigen Film die ungeschönten Erinnerungen des Betroffenen zu hören. 44 Stunden lang lag er im Wachkoma, der Grund dafür ist bis heute ungeklärt. Die gesamte Zeit über war Avni bei vollem Bewusstsein. Er hörte alles und sah vieles. Bei seinen Angehörigen, Ärzten und Pflegern bemerkbar machen konnte er sich nicht – bis er nach zwei Tagen aufwachte.

Ein Fluch, kein Segen

"Viele sagen mir, ich hätte ein Wunder erlebt", erzählt Avni. "Für mich war es eher ein Fluch." Seine Gliedmaßen konnte er während seines Krankenhausaufenthaltes nicht spüren. Er konnte nicht reagieren, als seine Frau Orit weinend an seinem Bett saß, und er konnte niemandem mitteilen, dass er alles um sich herum wahrnahm. Einmal, so erinnert sich Avni, habe er "ein Kribbeln" im Bein gespürt. Als ein Pfleger – ein Freund seiner Frau, die ebenfalls Krankenschwester ist – neben ihm stand, versetzte Avni seinem Bett einen Tritt, um auf sich aufmerksam zu machen. Das Krankenhauspersonal verstand die Bewegung als spastische Zuckung – und erhöhte die Dosis des Betäubungsmittels. Ein kaum erträglicher Moment für Avni, der bereits nach zehn Sekunden wieder das Gefühl in seinen Beinen verlor: "Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich umgebracht, ohne zu zögern."

Als "Locked-in-Syndrom" wird dieser Zustand bezeichnet, in dem ein Mensch zwar bei Bewusstsein, jedoch gelähmt und nicht in der Lage ist, sich verständlich zu machen. Avni zählt zu den wenigen Patienten, die nach dem "Locked-in-Syndrom" wieder vollständig genesen sind. Seine Rückkehr in die Normalität geschah ohne weitere Komplikationen: Erst hob er den Arm, dann das Bein. Er schrieb, und schon bald sprach und ging Avni wieder wie zuvor. Geblieben sind die Albträume, erklärt Avni.

Trotzdem hat er es sich zur Lebensaufgabe gemacht, sich für Komapatienten einzusetzen. Er trifft sich mit Pflegeteams und berät medizinisches Personal. In Israel, so heißt es im Film, "wurden aufgrund von Gils Fall schon über ein Dutzend Handlungsanweisungen in der Intensivpflege abgeändert". Vielleicht, so hofft Avni, kann er wenigstens einem Menschen helfen – und seinen eigenen Fluch zum Segen anderer machen.

Gefangen im eigenen Körper – 44 Stunden zwischen Leben und Tod – Mi. 02.08. – ARD: 22.50 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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