"Tatort: Was ihr nicht seht": Erstochen im Drogenrausch?
Ganz junge Zuschauer sollten nicht mehr vor dem Fernseher sitzen, wen der neue Dresdener "Tatort: Was ihr nicht seht" beginnt. Los geht es mit einem Schreckensszenario. Das Filmbett, mit dem der neue Fall von Gorniak (Karin Hanczewski), Winkler (Cornelia Gröschel) und Schnabel (Martin Brambach) aufmacht, ist blutgetränkt. Einen jungen Mann hat es darin offenbar erwischt.
Neben dem Toten erwacht dessen Freundin Sarah Monet (Deniz Orta) – ohne Erinnerung. Auch an der Haupttatverdächtigen, die Kommissarin Leo Winkler "von früher" gut kennt, klebt eine Menge Blut. Die Indizien weisen auf eine Beziehungstat hin. Hat Sarah ihren Freund vielleicht im Drogenrausch erstochen? Winkler ist fest davon überzeugt, dass die junge Frau zu so etwas nicht fähig wäre, wird aber vom Fall abgezogen, als Chef Schnabel von der persönlichen Ebene ihrer Ermittlung erfährt. Natürlich forscht Leo Winkler im Hintergrund weiter, während sich Kollegin Karin Gorniak mit Spurensicherung, Gerichtsmedizinern und der Hauptverdächtigen in Verhören damit auseinandersetzt, wie wahrscheinlich das Offensichtliche ist. Und natürlich auch mit der Frage, welche "alternativen Tathergänge" es geben könnte.
Sexualisierte Gewalt mithilfe von K.o.-Tropfen
Der neue Dresden-Fall (Buch: Peter Dommaschk, Ralf Leuther und Lena Stahl, die auch Regie führte) zeigt sich zu Beginn als erstaunlich ruhiger, akribischer Ermittlerkrimi, in dem man einiges über Spurensicherung (am Körper), Drogen-Screenings und polizeiliche Ermittlungs-Logik lernen kann. Es ist der vielleicht stärkste Part des "Tatorts", der sich nach einer Wendung dann doch noch zum Thriller formt, was nicht unbedingt nötig gewesen wäre.
Im Zentrum des Films sehen die Macherinnen und Macher ein gesellschaftliches Thema, das ebenso perfide wie verbreitet ist: sexualisierte Gewalt mithilfe von K.o.-Tropfen. Oft geschehen die Delikte im Umfeld der Clubkultur, aber auch in ganz anderen Lebenszusammenhängen. Die Opfer werden betäubt, missbraucht und haben in der Regel so gut wie keine Erinnerung an die Tat. Dies macht nicht nur die Strafverfolgung schwierig.
Karin Hanczewski verabschiedet sich vom "Tatort"
Lena Stahl wurde für ihr Beziehungs-Drama "Mein Sohn" mit Anke Engelke gefeiert, das Ende 2021 im Kino lief. Von der Filmemacherin, die auch an Karoline Herfurths Kinohit "Wunderschön" mitarbeitete, darf man wohl noch einiges erwarten. Mit "Was ihr nicht seht" gibt die 44-Jährige ihr "Tatort"-Debüt. Über das Thema ihres Films sagt sie: "Was mich besonders getroffen hat, ist der Zusammenhang, dass die Opfer quasi nicht anwesend sind bei der Tat, die an ihnen verbrochen wird. Du kannst dich nicht wehren, du kannst danach nicht Zeugin sein, erinnerst dich vielleicht tatsächlich an nichts. Aber es gibt eine körperliche Erinnerung bei den Frauen, schwere Traumata, die bis hin zur Suizidalität führen können." Die Episodenhauptrolle der Sarah wird von der Bremer Schauspielerin Deniz Orta gespielt, die man womöglich aus der Netflix-Serie "Dogs of Berlin" oder als Theaterstar deutscher Edel-Bühnen kennt.
Dass der Krimi trotz seines intensiven, durchaus vielschichtig erzählten Themas am Ende doch nicht vollends überzeugt, liegt daran, dass man dem lange Zeit rätselhaften Psychodrama noch eine etwas unnötige Täter-Hatz aus dem Thriller-Bausatzkasten ins letzte Drittel geschrieben hat. So kommt im Gesamtfazit ein in einigen Szenen sehr starker, mit zunehmender Dauer aber auch nachlassender und am Ende unfokussierter Fall aus dem Dresdener Revier.
Ein "Tatort"-Standort, der sich demnächst mal wieder verändern wird. Karin Hanczewski verabschiedet sich aus der Sachsen-Metropole. Wie der MDR im Mai mitteilte, ist ihre Ermittlerin Karin Gorniak aber noch bis Anfang 2025 zu sehen. Ihr letzter Film soll den Namen "Herz der Dunkelheit" tragen. Welchen Verlust das Format dadurch erfährt, sah man gerade im famosen ARD-Kammerspiel "Der neue Freund" (ARD Mediathek), in dem sich Corinna Harfouch und Hanczewski ein mitreißendes und funkensprühendes Mutter-Tochter-Duell lieferten.
Tatort: Was ihr nicht seht – So. 05.11. – ARD: 20.15 Uhr
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH