Sonntag am Tatort

Nie besessen, dennoch verloren

23.02.2018, 09.19 Uhr
von Florian Blaschke
Seine Schrulligkeit belebt diesen Tatort: Axel Milberg als Klaus Borowski.
BILDERGALERIE
Seine Schrulligkeit belebt diesen Tatort: Axel Milberg als Klaus Borowski.  Fotoquelle: NDR/Christine Schroeder

Man muss den Namen "Suunholt" nur hören, um Bilder von Meer, Sandstrand und Einsamkeit vor seinem inneren Augen entstehen zu sehen. Und tatsächlich: Suunholt ist eine kleine, wenn auch fiktive Insel mitten im Wattenmeer, kurz vor der dänischen Grenze. Klingt romantisch und verträumt, aber natürlich ist Borowski (Axel Milberg) nicht zum Urlaubmachen hier. Er soll hier rauskriegen, wie Oliver Teuber (Beat Marti) gestorben ist, der auf Suunholt tot in einer Badewanne liegt.

Was nach beschaulichem Detektivspiel zwischen den Dünen klingt, schlägt nach nur wenigen Minuten um. Ab dem Zeitpunkt, an dem Borowski mit seinem alten Volvo auf das Eiland rollt, wirkt alles bedrohlich. Da kann Inselpolizistin Schütz (Anna Schimrigk) noch so strahlen, als sie ihren Kollegen vom Festland erblickt. Und noch so viel Enthusiasmus versprühen aus ihren blauen Augen. Naja, und dass die Einheimischen den Fremden eher misstrauisch beäugen: geschenkt. Die beäugen auch Famke (Christiane Paul), die Freundin des Toten – mal misstrauisch, mal lüstern. Passen halt beide nicht ihre kleine Inselwelt.

"Die Leute kamen nicht damit klar, wie wir gelebt haben", erzählt die verhuscht wirkende Frau, als Borowski sie verhört. "Das hat sie provoziert. Aber dagegen tun konnten sie nicht." Doch Borowski merkt schnell: "Da kann etwas nicht stimmen von dem, was sie gesagt haben." Doch was? Und warum wirkt auf dieser Nordseeinsel überhaupt alles, als würde es nicht stimmen?

Zumindest ein paar Dinge gibt es, die dem Zuschauer vertraut vorkommen, an denen er sich festklammern kann. Wie Axel Milberg aus Borowski einen Schauspieler macht zum Beispiel, wie er ganz lakonisch den Mimen mimt, um rauszukriegen, was los ist auf dieser Insel. Denn Teuber, der hatte eine Vergangenheit in Kiel, von der nicht mal Famke etwas wusste – als Schlüsselfigur in einem Korruptionsskandal. Und diese Vergangenheit, die hat er zwar versucht abzuschütteln – zu Hause gilt er seit einem halben Jahr als vermisst – doch er hat sie mit auf die Insel gebracht, und eine Handvoll Probleme gleich mit. So viele, dass sich selbst Borowski irgendwann fragt, "warum einem selbst hier, an so einem friedlichen Ort, so eine Scheiße passiert". Doch die Antwort ist einfach, wie eine der besonders frommen Inselfrauen, Margot Hilse (Heike Hanold-Lynch), weiß: "Mit dem Teuber, da kam der Teufel auf die Insel!"

Krimi? Thriller? Provinzstück?

Aus diesen Grundzutaten hat Regisseur Sven Bohse einen Tatort gemacht, der sich nicht recht entscheiden kann oder will, was er sein mag. Krimi? Thriller? Provinzstück? Ein bisschen Mystery hier und da mischt sich auch noch unter, ein bisschen Drama – es ist eine bunte Mixtur. Dass die am Ende trotzdem funktioniert, hat "Borowski und das Land zwischen den Meeren" dem Soundtrack von Jessica de Rooij und der Kamera von Michael Schreitel zu verdanken, der auch schon Till Endemanns Thriller "Das Programm" die entsprechende Würze verpasst hat. Musik und Blickwinkel machen selbst aus den banalsten Szenen schaurige Momente. Und: Borowski hat es auf Suunholt mit stimmigem Personal zu tun, von Polizistin Schütz über Bäcker Torbrink (Yorck Dippe) bis hin zu einer Christiane Paul, die ihre Famke Oejen wunderbar dünnhäutig und trotzdem präsent hinbekommt, die ihr Stärke und Verletzlichkeit einschreibt, bei der in jedem Blick etwas Zweideutiges liegt. Und die, wie eine Sirene, den Männern samt Borowski alles Mögliche einzusingen weiß.

Dazu scheint dieser Tatort alle paar Szenen aus der Zeit zu fallen, wozu auch Rückgriffe auf die Legende der versunkenen Insel Rungholt gehören, die 1362 von der Sturmflut – dem "blanken Hans" – geholt wurde, weil sich die reichen Bürger versündigt hatten, indem sie ein Schwein mit Alkohol abfüllten und einen Pfarrer zwangen, ihm die heiligen Sakramente zu verabreichen. "Im eigenen Herzen geboren, nie besessen, dennoch verloren", heißt es in der Novelle "Eine Halligfahrt" von Theodor Storm, die diese Legende aufgreift und es fällt leicht, bei diesen Zeilen an Famke Oejen zu denken.

Manchmal ist das alles ein bisschen viel Drama, manchmal werden Kleinigkeiten in diesem Tatort doch arg mit vermeintlicher Bedeutung aufgeladen. Doch irgendwie passt das auch zu dieser kleinen Insel zwischen den Meeren. Und zum Kieler Tatort passt, dass hier auf Suunholt nicht alles immer nur rational abläuft, dass bei Borowski und Famke Oejen die Träume ebenso eine Rolle spielen wie die Rätsel. "Ich hätte es niedriger temperiert inszenieren können", gibt Regisseur Bohse zu, "aber in der Tat hatte ich Spaß daran, dem Film auch eine spektakuläre Dimension zu geben."

Und zu Borowski passt, dass er – wie schon in manchem anderen Fall – manchmal selbst nicht weiß, wie ihm geschieht, und dass der Zuschauer nicht so recht versteht, was dieser Mann da tut und wie er tickt. Doch das geht einem mit vielen Figuren in diesem Tatort so. Und das ist am Ende vielleicht seine größte Stärke.

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