"Corona 2020 – Ausbruch, Schock und Versagen"

TV-Doku zeigt bedrückende Selfie-Berichte von Erkrankten

von Eric Leimann

Die Dokumentation "Corona 2020 – Der Ausbruch, Schock und Versagen" spannt einen großen Bogen. Eindrucksvoll sind vor allem die Berichte von Erkrankten, die teilweise aus finanziellen Gründen zu Hause statt im Krankenhaus gegen die Krankheit kämpfen.

Corona-Dokus gibt es viele derzeit, wenn sie denn gesendet werden. Nachdem die geplante "Story im Ersten", die am 15. Juni in der ARD exklusive Bilder aus der chinesischen Outbreak-Metropole Wuhan zeigen wollte, offiziell wegen Bildrechte-Problemen – inoffiziell wohl wegen des Vorwurfs der umfassenden Verwendung chinesischen Propaganda-Bildmaterials – aus dem Programm flog, dürfte "Corona 2020 – Der Ausbruch, Schock und Versagen" (ZDFinfo, Freitag, 26. Juni, 20.15 Uhr) wohl unbeschadet alle Kritikhürden überspringen.

Die kanadisch-US-amerikanische Produktion versucht sich an einem globalen Bilderbogen aus Wissenschaftlern und von der Krankheit Betroffenen. Selbst wirtschaftliche Aspekte werden – am Rande – beleuchtet. Besonders beeindruckend an dem bildstarken Collage-Werk sind jedoch die in Selfie-Manier gefilmten Berichte von Erkrankten: einer englischen Mutter, einem Spanisch-Lehrer in Brooklyn, der die Krankheit – wohl ohne Krankenversicherung – alleine in seinem Apartment durchstand und der eines Detroiter Busfahrers, der später Covid-19 zum Opfer fiel.

"28 Millionen Amerikaner haben keine Krankenversicherung. Sie vermeiden teure Arztbesuche. Tausende sterben zu Hause an Covid-19." So erklärt es eine lakonische Schrifttafel in der Doku, die das Pandemiegeschehen aus nordamerikanischer Sicht schildert. Dazu sieht man einen bärtigen, aber noch jungen Mann mit spanischem Akzent aus New York berichten. Sehr krank habe er sich gefühlt, ja bereits intensiv an den Tod gedacht. Die Eigentherapie mit dem Schmerzmittel Tylenol, die er irgendwann einwarf "wie Tictacs", schien bereits gescheitert.

Dass der Schritt, ins Krankenhaus zu gehen, eine gewaltige Hürde darstellt, ist etwas Neues für Menschen, die in den Genuss des deutschen Gesundheitswesens kommen. Es ist schon beklemmend, wie in dem Film drei Menschen, die vielleicht höchstens 40 Jahre alt sind, hechelnd und mit letzter Kraft ihre Krankenberichte in die eigenen Smartphones sprechen. Man möchte nicht in ihre Situation kommen. Ein Bauchgrummeln in Zeiten deutscher Lockerungs-Zufriedenheit.

Auch die Londoner Mutter zweier Töchter hat sich selbst gefilmt und erzählt ihren Leidensweg: Eine Stunde lag zwischen dem ersten Husten und dem Krankenwagen. Aus Atemnot, die ihr Ehemann anfangs für eine Panikattacke hielt, wurden eine Covid-Diagnose sowie neun Tage im Krankenhaus mit Sauerstofftherapie. Auch diese Frau, die sich wieder erholte, hinterließ dem Film ein intensives Dokument.

Die Krankheit der Armen

Von einem schwarzen Detroiter Busfahrer, der den Kampf gegen Covid nicht überlebte, hört man zunächst nur seine Witwe erzählen. Dann jedoch sieht man den Mann in einem Selfie-Video zu Lebzeiten. Er appelliert eindringlich an seine Fahrgäste in einer Videobotschaft, dass die Leute sich und andere doch bitte mit Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln schützen sollen. In den USA – und nicht nur dort – sind es die Fortbewegungsmittel der Armen, die überall auf der Welt so viel stärker von der Krankheit bedroht sind als Wohlhabende, die sich das "zurückgezogene Leben" leisten können.

Es sind nicht nur Betroffenenberichte, die die in vielen Regionen der Welt wie Norditalien, London, Thailand oder auch in einem einsamen Leuchtturm in Norwegen für die Doku aufgenommen wurden. Hier kommen – vor allem – angloamerikanische Wissenschaftler zu Wort, die der Trump-Admininstration das erwartet verheerende Zeugnis ausstellen. In einer Rede von Ex-Präsident Obama aus dem Jahr 2014 erfahren wir, dass Fachleute weltweit eigentlich auf diese Pandemie gewartet haben. Auch der Virologen Dennis Carroll sagt: "Die Häufigkeit und Intensität neu auftretender Virusinfektionen wird zunehmen. Das sollte niemanden überraschen, weil wir viel häufiger als früher mit Wildtieren in Berührung kommen. Warum? Das Wachsen der Erdbevölkerung ist der Grund. Es ist Unsinn, wenn sich Regierungen und Institutionen nun überrascht zeigen."

Dr. Jonna Mazet, Direktorin des One Health Institutes, klärt auf, dass im Schnitt alle vier Monate ein neuer Krankheits-Erreger bei Wildtieren entdeckt wird.

Zu Chillout-Musik und stimmungsvollen Bildern von einsamen Plätzen und öffentlichen Orten ermöglicht die Koproduktion von Cactus Tree Entertainment, die in Los Angeles sitzen, und der in Toronto beheimateten Re:Source Media einen globlen Blick auf die Krise, wenn auch aus einer stark von der nördlichen Hemisphäre des Erdballs geprägten Sicht. Die Doku stellt vor allem Betroffene in den Mittelpunkt – in diesem Punkt ist sie tatsächlich sehr stark -, ergänzt durch ein paar Experten und Philosophen.

"Geld und Profit als Selbstzweck müssen der Vergangenheit angehören nach dieser Erfahrung", sagt ein australischer Künstler, der während des Lockdowns im schmucken Leuchtturm eines einsamen norwegischen Fischerdorfs festsitzt. "Historiker werden einmal auf das Jahr 2020 zurückblicken und untersuchen, ob es der Menschheit gelungen ist, den nötigen Systemwechsel vorzunehmen. Zum Beispiel auch in Bezug auf den Klimawandel, der einmal sehr viel mehr Opfer fordern dürfte als Covid-19."

Vor allem an Information und "harten Fakten" interessierten Zuschauern wird die Doku "Corona 2020 – Der Ausbruch, Schock und Versagen" vielleicht nicht allzu viel bringen. Dazu ist sie thematisch zu sprunghaft, zu global und in ihrer Themensetzung zu heterogen. Wegen des Verlassens einer rein deutschen Sichtweise und den beklemmenden Berichten junger Erkrankter lohnt sich das Einschalten – und Nachdenken – jedoch allemal.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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