"Der Fall Lissabon"

"Die Informantin": unrealistisch, mitreißend, verführerisch

von Eric Leimann

Drei Jahre nach dem Debüt "Die Informantin" gibt es die Fortsetzung des gefeierten ARD-Thrillers. Aylin Tezel brilliert wiederum als überlebensgroße, nach wildem Begehren, Gefahr und Wahnsinn riechender, verdeckter Ermittlerin.

ARD
Die Informantin – Der Fall Lissabon
Thriller • 13.04.2019 • 20:15 Uhr

Es gibt Filme, die sind geradezu absurd unrealistisch – und dennoch mitreißend. Damit ist nicht das seit geraumer Zeit grassierende Superhelden-Genre gemeint, sondern in diesem Fall ein deutscher TV-Thriller. Vor drei Jahren überzeugte "Die Informantin" mit der 2020 aussteigenden Dortmunder "Tatort"-Darstellerin Aylin Tezel Kritik und Publikum. Fünfeinhalb Millionen Zuschauer ließen sich von Tezel, die auch im Film den Vornamen Aylin trägt, im wahrsten Sinne des Wortes verführen. Als von der Polizei angeworbene verdeckte Ermittlerin mit Prostitutions- und Trickbetrüger-Hintergrund agierte sie bereits 2016 "larger than life". Dialoge, Konflikte, Sex, Gefahr – alles in diesen Film war gleich zwei Nummern zu groß inszeniert. Trotzdem war es vor allem aufgrund des leidenschaftlichen Spiels der Hauptdarstellerin mitreißend anzusehen.

Mit gleicher Strategie und ähnlicher Qualität macht "Die Informantin – Der Fall Lissabon" nun weiter. Ab Minute eins ist der Film auf seiner fiebrigen Betriebstemperatur. Das Klingeln eines lange Jahre stummen Handys löst bei der mittlerweile in Wien im Zeugenschutzprogramm lebenden Aylin Schweißattacken aus. Ihre Schwester (Pegah Ferydoni) sowie die kleine Nichte scheinen in Gefahr, was Aylin eilig nach Berlin führt. Dort wird sie von den Polizisten Hannah (Suzanne von Borsody) und Jan (Ken Duken) für einen weiteren Job als verdeckte Ermittlerin verhaftet. Getarnt als Jura-Studentin soll sich die Verführungsexpertin an den Dozenten Alex Engelhardt (Franz Dinda) heranschmeißen. Engelhardt, ein sensibler Jüngling, der sich für die Menschenrechte engagiert, hat jedoch einen fiesen Vater, dem er sehr nahe steht. Engelhardt, der Ältere (Stefan Kurt), verdealt als Staranwalt von Terroristen, Großgangstern und Steuerbetrügern deren Geld in die Welt, ohne dass es schmutzige Spuren hinterlässt.

Jan, den mit Aylin im ersten Film eine heiße Liebesaffäre verband, hält die Idee seiner Chefin Hannah für reinen Wahnsinn. Engelhardt senior, eine Art Hannibal Lecter der Berliner Juristenszene, machte bisher noch nie einen Fehler und hört in der Disziplin "falsches Spiel" die Flöhe husten. Er wird Aylin enttarnen und töten, ist sich Jan sicher. Trotzdem begibt sich "Die Informantin" hinein in diesen erneuten Wahnsinn aus Liebe, Gewalt und anderen Leidenschaften, die schöne Menschen ohne Netz und doppelten Boden dem Abgrund entgegendriften lassen.

Na klar, es gibt deutlich lebensnähere Geschichten im deutschen Fiction-Fernsehen, selbst in Thriller-Gewerbe. Drehbuchautorin und Regisseurin Isabl Kleefeld ("Aufbruch in die Freiheit"), die den Job vom ursprünglichen Kreativteam Christof Reiling, Ulrike Stegmann (Drehbuch) und Philipp Leinemann (Regie) übernommen hat, hält den Film in den vom ersten Teil gewohnten Bahnen. Alles, was man hier in 90 Minuten sieht, ist groß und düster: die Stadt, die Nacht und ihr Personal. Wenn sich zwei Menschen begegnen, kann aus jedem harmlosen Dialog eine Schlägerei, Sex oder beides gleichzeitig geschehen. Polizisten, Gangster, Liebende und Hassende – alle Charaktere dieser trotzig behaupteten Fiction-Welt – sind immerzu in emotionaler Vollspannung unterwegs und zu allem bereit. Das ist es, was "Die Informantin" von bürgerlich-mediokren Ermittlerkrimis oder pseudolässigen Unterhaltungs-Thrillern unterscheidet.

In diesem ARD-Samstagsfilm geht es in fast jeder Szene um alles. Und sein Personal nimmt sich bar jeder Vernunft stets das, was es gerade will: schöne Körper, blutigste Rache oder ein paar herumliegende, herrenlose Millionen. Aylin Tezel ist als eine Art Lara Croft des deutschen Thrillerfernsehens eine Wucht im Auge dieses TV-Orkans. Selbst, wenn man mit der Überzogenheit des Films nicht so recht etwas anfangen kann, gilt es festzuhalten: Mehr verführerische Kick-Ass-Heldin, gepaart mit Schauspielkunst, war selten im deutschen Fernsehen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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