Film auf ARTE

"Ein Kind wird gesucht": 145 Tage voll Ehrgeiz und Empathie

von Wilfried Geldner

Im September 2010 ist der zehnjährige Mirco verschwunden. Ein Fall, der eine ganze Nation, aber vor allem den zuständigen Soko-Leiter bewegt. Der ZDF / ARTE-Film erzählt das Drama noch einmal nach.

ARTE
Ein Kind wird gesucht
Kriminalfilm • 15.12.2017 • 20:15 Uhr

Als am 03. September 2010 der zehnjährige Mirco nicht mehr nach Hause kam, setzte sich eine der größten Suchaktionen in Deutschland in Bewegung: Die Arbeit der "Sonderkommission Mirco" mit 80 Beamten soll eine der aufwendigsten der neueren Polizeigeschichte gewesen sein. Zwar wurden Mircos Fahrrad und Kleidungsstücke sowie später auch das Handy des Jungen gefunden. Doch trotz des Einsatzes von Hundertschaften, von Tornados mit Wärmebildkameras und Tauchern, blieb Mirco verschwunden. Mircos Mutter versuchte vor der TV-Kamera in einer Botschaft Verbindung mit dem Täter aufzunehmen. Eine gläubige Frau, die verzeihen wollte, wie es ihr Glaube befahl. Der Fernsehfilm "Ein Kind wird gesucht" (ZDF / ARTE) greift den "Fall Mirco" noch einmal auf – auf direkte Weise, ohne fiktionale Erfindungen hinzuzufügen.

Akribisch wie die Suche selbst 145 Tage lang vonstattenging, wird in Urs Eggers Kriminalfilm die Polizeiarbeit nachgezeichnet: die Zeugenbefragung von Nachbarn und Passanten, die Aufrufe im Rundfunk, Beobachtungen doch bitte zu melden. Die Suche mit dem Hubschrauber oder mit dem Spürhund, der sich an Mircos gebrauchten Klamotten orientiert.

Das hat alles Tempo, es wird durch die Dringlichkeit des Falles motiviert. Nichts wirkt dramaturgisch aufgesetzt, die Mutter Sandra wird von Silke Bodenbender äußerst glaubhaft verkörpert. "Wer von euch glaubt, dass wir den Jungen noch lebend finden?" fragt Heino Ferch, der im Film Ingo Thiel, den Leiter der Gladbacher Soko spielt, schon früh in die Runde. Ihn trifft nichts als betretenes Schweigen. Auch die Frauen im Männerbund der Ermittler, zuständig für den Opferschutz und die Fallanalyse, können kaum Hoffnung versprechen. Polizeiroutine, Enttäuschungen und Anteilnahme sind gut verteilt.

Heino Ferchs eindrückliche Performance

Etwas enttäuschend mag sein, dass dann im weiteren Verlauf der Polizeifilm überwiegt. Das Familiendrama wird, der Wahrheit entsprechend, eher zurückhaltend erzählt. Die Selbstvorwürfe – warum haben wir am Abend nicht noch nach Mirco gesehen? – treffen nur kurz. Ganz am Ende wird dann Thiel auch Entwarnung geben: die Umsicht hätte ohnehin nichts mehr genutzt.

So wird der Film vor allem zu Heino Ferchs eindrücklicher Performance. Zwischen Wut und Zurückhaltung schwankt er, der gleichfalls Familienvater ist, wenn nichts vorangehen will. Um dann die Anstrengungen immer wieder anzukurbeln: die DNA-Suche in 4000 Kombis, die Weigerung, die Soko doch endlich zu reduzieren. Immer weiter nähern sich die Opferfamilie und der Polizist einander an. Und zweifellos findet die lange so vergebliche Suche ihren Höhepunkt, wenn Thiel am Ende Mutter und Vater (Johann von Bülow) gegenübertreten muss, um die Verhaftung des Täters und den Fund ihres Kindes zu vermelden. Der Täter – im Übrigen einmal mehr ein unauffälliger, angepasster Familienvater, der nach der Tat seinen normalen Alltag weiterlebte.

In seiner Machart geht der Film über übliche Faction-Methoden weit hinaus, Schnitt und Kamera treiben das Geschehen ohne Umschweife voran, alle Schauspieler enthalten sich pathetischer Gesten. Insgesamt ist es ja ein durchaus gewagtes Spiel, einen bis hin zu "Aktenzeichen XY" bekannten Fall mit feststehendem Ausgang noch einmal zu erzählen. Doch den Autoren (Katja Röder, Fred Breinersdorfer) und Urs Egger, dem Regisseur, gelingt es, eine erstaunliche Nähe zu den damals Betroffenen und Empathie für sie herzustellen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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