"Ein Mann, eine Wahl" bei ProSieben

Klaas Heufer-Umlauf: "Es gilt für jeden Einzelnen, klare Kante zu zeigen"

von Frank Rauscher

Klaas Heufer-Umlauf trifft für seine neue Politiksendung "Ein Mann, eine Wahl", die am 11. und 18. September bei ProSieben ausgestrahlt wird, auf Deutschlands Spitzenpolitiker. Im Interview verrät der Moderator zudem, wo er politisch steht und findet klare Wort zur Flüchtlingsdebatte.

Auch ein Entertainer hat seine Prinzipien: Seit er 18 Jahre alt wurde, versichert Klaas Heufer-Umlauf, hat er es noch nie verpasst, bei einer Wahl seine Stimme abzugeben. So anarchistisch, wie viele vielleicht meinen, ist der Comedian ("Circus HalliGalli", "Die beste Show der Welt") definitiv nicht. Ganz im Gegenteil: Der 33-Jährige, der sonst – vornehmlich zusammen mit seinem Kumpel Joachim "Joko" Winterscheidt – vor keiner Wahnsinnstat vor der Kamera zurückschreckt, gibt sich im Interview zum Thema Politik hochseriös.

prisma: Wissen Sie noch, was am 22. September vor 15 Jahren war?

Klaas Heufer-Umlauf: Mein Geburtstag. Wenn ich richtig rechne, wurde ich 19. Sonst noch was?

prisma: Ihr Geburtstag fiel damals mit der Bundestagswahl zusammen: Sie waren am 22. September 2002 einer von über 61 Millionen Wahlberechtigten und durften erstmals über die Besetzung des Kanzleramtes mitentscheiden.

Heufer-Umlauf: Ich weiß noch, dass ich ziemlich stolz war damals: darauf, endlich in der Erwachsenen-Liga mitspielen zu dürfen. Die Bedeutung des Moments war mir definitiv bewusst. Mir ging es vor allem um soziale Fragen – ohne das jetzt philosophisch zu verklären. Das fühlte sich gut an.

prisma: Sie leisteten seinerzeit Ihren Zivildienst in der geriatrischen Abteilung des Klinikums Köln. Hat Sie die Zeit politisch mitgeprägt?

Heufer-Umlauf: Auf jeden Fall. Ohne diese eindrücklichen Monate wäre ich mit Sicherheit ein anderer Mensch geworden, oder zumindest einer, der ein kleines bisschen anders tickt. Im Krankenhaus spürte ich die Folgen von Politik in jedem Moment, ganz unmittelbar.

prisma: Seit der Bundeswehrreform gibt es keine Zivis mehr ...

Heufer-Umlauf: Was ich traurig finde. Denn, unabhängig davon, dass ich den Begriff "Wehrersatzdienst" nicht mochte, weil er nicht gebührend würdigte, worum es ging, war diese Leistung junger Menschen ein Gewinn für die Gesellschaft und eine wichtige Erfahrung für die Zivildienstleistenden selbst. Ihr Einsatz war von großer Bedeutung für das Sozialwesen. Es fehlte schon damals an allen Ecken und Enden, und alles, was nun versucht wird, um die klaffenden Löcher zu stopfen, reicht bei Weitem nicht aus. Damals im Krankenhaus war im Grunde jeder an der Grenze seiner Belastbarkeit. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es heute ist.

prisma: War die Arbeit in der Geriatrie eine psychische Grenzerfahrung?

Heufer-Umlauf: Nein, so habe ich das nicht empfunden, denn ich komme aus einer Familie mit entsprechendem Hintergrund: Meine Mutter ist Kinderkrankenschwester. Sie arbeitete in der ambulanten Pflege mit schwerst- und todkranken Kindern. Ich war als Kind einige Male mit dabei – was mich geprägt hat, wie man sich denken kann. Später gab ich ein paar Jahre Sportstunden für geistig behinderte Menschen. Ich hatte zwar mit älteren Menschen wenig Erfahrungen, aber das Thema Pflege war mir nicht fremd, als ich zum Zivildienst kam. Ich erlebte im Krankenhaus dann viel Trauriges, und doch würde ich sagen, dass es eine schöne Zeit war.

prisma: Es ist kein Geheimnis, dass Sie es mit den Sozialdemokraten halten. Kommt ihr Faible für die SPD aus dieser Zeit?

Heufer-Umlauf: Ich denke schon, dass das dazu beigetragen hat. Natürlich muss man sagen, dass es keine Partei gibt, der die Pflege nicht am Herzen liegen würde. Keiner will, dass es noch schlechter wird. Doch die Gewichtung ist sehr unterschiedlich. Ich für meinen Teil finde, dass die Privatwirtschaft im Pflegebereich und in Krankenhäusern ein Riesenproblem ist.

prisma: 2002 ging es bei der Wahl um die Entscheidung Edmund Stoiber oder Gerhard Schröder, es war knapp. Heute sagen viele, dass die Wahl zwischen Angela Merkel und Martin Schulz im Grunde schon zugunsten der Kanzlerin entschieden ist ... Sehen Sie das auch so?

Heufer-Umlauf: Nein. Die Umfragen sagen, dass fast jeder zweite Wahlberechtigte noch unentschlossen ist ... Also warten wir es mal ab.

prisma: Es geht diesmal auch um viel mehr, als um die Kanzlerfrage. Die Stimmung ist kontrovers wie seit Jahrzehnten nicht.

Heufer-Umlauf: Das stimmt wohl. Aber das hat etwas Gutes: Die Menschen sind politisiert wie selten zuvor, und die aufgeheizte Debatte hat endlich den ganzen Schaden sichtbar gemacht, der in den letzten Jahren aus der kollektiven Wahrnehmung verdrängt wurde.

prisma: Worauf spielen Sie an?

Heufer-Umlauf: Dieses Deutschlandgefühl, diese neue, coole Germany-Identität mit fahnenschwenkender Weltoffenheit, dieses designte Sommermärchen, das gab es so ja nie wirklich. Sondern da waren auch reihenweise Baustellen, soziale Missstände und unzufriedene Menschen und natürlich Rechtsextreme – aber irgendwie hat die Politik das eine Zeitlang nicht mehr offen angesprochen. Dass jetzt wieder hingesehen und über all das diskutiert wird, ist erst mal zu begrüßen. Jetzt kommt es darauf an, die richtigen politischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Für uns alle.

prisma: Wie meinen Sie das?

Heufer-Umlauf: Dass es nicht mehr reicht, politisch interessiert zu sein, bei der Wahl sein Kreuzchen zu machen und ansonsten zur schweigenden Mehrheit zu gehören oder sich auf das Mantra "Eine Demokratie muss das aushalten" zu verlassen. Dieses Übel geht sicher nicht von alleine wieder weg. Es gilt für jeden Einzelnen, jetzt klare Kante zu zeigen und selbst aktiv zu werden – gegen das Antidemokratische und jede Form von Intoleranz und Rassismus. Aber es tut sich schon was. Aktionen wie beispielsweise "Pulse of Europe" sind eine gute Sache.

prisma: Die Klientel, die das ein bisschen anders sieht, wird in den Sozialen Medien wie auf der Straße nur auch immer lauter und expliziter.

Heufer-Umlauf: Wohl wahr. Wobei gegen explizite Sprache erst mal nichts einzuwenden ist. Nur wird freie Meinungsäußerung oft mit Herabwürdigung, Diskriminierung und allerlei verfassungsfeindlichem Gedankengut verwechselt. Da muss noch viel genauer hingeschaut werden. Wichtig ist bei dem Thema auch, zu unterscheiden: Sind die Leute von Angst getrieben oder ist es der blanke Hass, der aus ihnen spricht? Ich bin überzeugt, es täte uns allen gut, mehr über solche Zusammenhänge nachzudenken.

prisma: Sie sind nicht bei Facebook!

Heufer-Umlauf: Richtig, aber bei Twitter geht's ja auch zur Sache.

prisma: Inwiefern spüren Sie persönlich, dass sich die Stimmung verändert hat? Vor fünf, sechs Jahren war es doch unstrittig, dass so junge TV-Hipster wie Sie oder auch Ihr Buddy Joko Winterscheidt zu den coolen Leuten gehören ...

Heufer-Umlauf: Das ist von vielen Dingen abhängig. Aber es stimmt schon: Wenn man eine klare Haltung einnimmt, läuft man Gefahr, dass sich Leute von einem abwenden, die eine andere Meinung haben. Aber ehrlich gesagt, möchte ich auch gar nicht, dass Leute mich sympathisch finden, denen es egal ist, dass Millionen von Menschen vor dem Krieg in unserem Land und in Europa Schutz suchen. Ich finde eine solche Haltung unmenschlich und herzlos.

prisma: Wird sich der Umgang bald wieder auf ein vernünftiges Maß einpendeln?

Heufer-Umlauf: Ich hoffe es. Aber das wird uns nicht nur durch Diskussionen gelingen, sondern es muss sich etwas tun: im Kleinen vor Ort und im großen Ganzen. Es gilt, Probleme zu lösen und die Ursachen der geballten Unzufriedenheit zu beseitigen. Das wird seine Zeit brauchen, fürchte ich. Aber ich setze auf die junge Generation, die sich hoffentlich jetzt stärker engagiert, und auf alle, die für ein offenes, tolerantes, demokratisches und hilfsbereites Deutschland stehen.

prisma: Ihre Sendung "Ein Mann, eine Wahl" richtet sich vor allem an jüngere Zuschauer ...

Heufer-Umlauf: Richtig. Ich freue mich sehr, dass ich mit ProSieben so ein Format entwickeln durfte – weil es mir schon ein ernsthaftes Anliegen ist, meinen Beitrag zur vertiefenden Information vor der Wahl zu leisten.

prisma: Sie werden in der Sendung gleich in drei Versionen zu sehen sein: als der liberale, der linke und der konservative Klaas ... Klingt ein bisschen schräg.

Heufer-Umlauf: Ach, ich bin ja nicht frei von Persönlichkeitsstörungen. Wenn ich die Möglichkeit habe, gleich dreimal im Fernsehen zu erscheinen, nutze ich das natürlich. Die drei Typen wohnen gemeinsam in einer WG, diskutieren über Politik, sprechen mit Jungwählern und entscheiden, welcher Klaas auf welchen Politiker treffen soll – unter anderem haben wir SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, FDP-Chef Christian Lindner und den Grünen-Vorsitzenden Cem Özdemir dabei. Nur bei der Kanzlerin bissen wir auf Granit. Vielleicht gelingt es, eine neue Perspektive auf manche Zusammenhänge zu eröffnen.

prisma: Aber was wollen Sie aus den Politikern herauskitzeln, was nicht schon jeder weiß?

Heufer-Umlauf: Sehen Sie, genau das ist mein Punkt. "Zwischen SPD und Union gibt's doch eh keine Unterschiede mehr" – diesen Satz hört man sehr oft. Aber ich halte genau das für komplett falsch und würde gerne deutlich machen, dass es sehr wohl gravierende Unterschiede gibt. Ich will da niemanden an die Wand nageln und investigativ irgendwelche Klopper aufdecken, sondern mir wäre es am liebsten, wenn ich die Politiker dazu bekomme, sich so zu geben, wie sie sind – von mir aus auch so, wie sie sich gerne sehen. Das ist genauso aufschlussreich für junge Wähler.

prisma: Was meinen Sie: Ist die Jugend heute ebenso politikverdrossen, wie man es den Vorgängergenerationen nachsagte?

Heufer-Umlauf: Ich denke nicht. Viele sind aufgewacht und haben festgestellt: Eine Beteiligung an den Geschehnissen kann etwas ändern. Den meisten ist es allerdings wahrscheinlich dadurch aufgefallen, dass eine Nicht-Beteiligung eben zwangsläufig auch etwas ändert. Jedoch nicht unbedingt eine Veränderung bedeuten muss, die man sich wünscht. Die Zeiten, in denen unsere Eltern unsere Welt für uns im Gleichgewicht gehalten haben, sind vorbei. Jetzt sind wir dran. Dafür müssen wir uns allerdings gegenseitig helfen, und auch von Politikern Unterstützung einfordern. Mir tun die Leute leid, die in strukturschwächeren Gegenden in ihrem Häuschen sitzen und eigentlich gar nicht so gerne rechts wären, sich dann aber doch irgendwie in diese Richtung treiben lassen – auch weil ihnen keiner hilft. Die fühlen sich nicht mitgenommen.

prisma: Aufklärung ist eine Aufgabe der Medien!

Heufer-Umlauf: Natürlich kann zum Beispiel das Fernsehen noch mehr tun. Aber es geht auch um die Initiative vor Ort. Man muss sich nicht wundern, dass viele Menschen der NPD oder der AfD in die Arme laufen, wenn diese die Einzigen sind, die ihr lokales Engagement sichtbar machen mit etwa Straßenfesten für Kinder oder Hilfestellung bei Amtsgängen. Da geht es um persönlichen Kontakt, die Ideologie wird praktisch untergeschoben. Da haben die etablierten Parteien in den Ländern und Kommunen großen Nachholbedarf. Aber es gibt auch tolle Aktionen wie "Schule gegen Rassismus", "Schule mit Courage" ... Dafür braucht es Zeit, Geld und Engagement. So was muss gefördert werden, wenn man nicht will, dass in manchen Landstrichen die "Heimattreue deutsche Jugend" die Freizeitgestaltung übernimmt.

prisma: Haben Sie je darüber nachgedacht, selbst in die Politik zu gehen?

Heufer-Umlauf: Ja. Aber ich habe mich für den Rudi Carrell-Way of Life entschieden.

prisma: Ein bisschen sexier und cooler könnte die politische Szene schon werden, oder?

Heufer-Umlauf: Ach, jetzt gibt's doch Christian Lindner. Mehr Auffahrunfälle gab es zuletzt höchstens bei der H&M-Kampagne mit Anna Nicole-Smith, weil der so sexy ist.

prisma: Die FDP setzt eben auf seine Persönlichkeit. Wobei man den Eindruck hat, dass es vor dieser Wahl sowieso nur eine Frage gibt: Wie gehen wir mit den Flüchtlingen um?

Heufer-Umlauf: Die Frage aller Fragen, richtig. Und die Debatte darüber hat längst absurde Züge angenommen – genauso absurd ist ja dieser merkwürdige Schulterschluss zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer im Wahlkampf, was denen doch kein klar denkender Mensch abnehmen kann. Wenn ich höre, es soll eine jährliche Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen geben – wie soll das denn bitte gehen? Hört das mit dem 200.001. Flüchtling einfach auf?

prisma: Sie sind folglich gegen jedwede Obergrenzen und Abschottungspolitik?

Heufer-Umlauf: Natürlich. Grundsätzlich problematisch ist ja schon der ganze Ansatz, mit dem bei uns über dieses Thema diskutiert wird: so, als wäre die Flüchtlingsfrage nicht unser, sondern deren Problem – nur weil uns halt zufällig nicht gerade das Dach überm Kopf zusammenkracht ist.

prisma: Aber was ist zu tun?

Heufer-Umlauf: Wichtig wäre es zum Beispiel, endlich die Debatte in eine andere Richtung zu drehen. Es kann nicht sein, dass wir das Thema so angehen, als wären da Leute, die ihre Probleme zu uns schleppen. Dieses "Wir" und "Die", das ist der Gipfel der Arroganz. Weil die Probleme auf dieser Welt in gewisser Weise jeden betreffen. Nur haben wir das Glück, dass uns lediglich die Rolle des Helfenden zufällt und nicht die des durch Krieg Vertriebenen. Und nicht mal das sind einige Leute bereit zu leisten. Was sollen denn die Menschen sagen, die auch nicht gefragt wurden, ob es ihr Krieg ist, der dort vor ihrem Haus geführt wird? Die Menschen werden kommen, nicht nur aus Syrien sondern auch aus Afrika – so oder so. Und wenn große Nationen aus dem Klimaschutzabkommen aussteigen, dann kommen sie nur noch schneller. Und zwar aus gutem Grund.

prisma: So etwas sagt nur fast kein Politiker in dieser Deutlichkeit.

Heufer-Umlauf: Es gibt Politiker, die das in genau dieser Weise sagen. Man muss allerdings auch die Offenheit mitbringen, zuhören zu wollen. Vor allem jetzt. Am 24.9. haben wir die Wahl, wessen Weltsicht aus unserer Sicht representativ für unsere persönliche Meinung ist. Es geht um einiges.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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