Schauspielerin im Interview

Mina Tander: Eine Feldforscherin fürs Familiendrama

von Maximilian Haase

Derzeit überzeugt sie sowohl im ARD-Drama "Der Sohn" als auch international: Mina Tander über intensive Drehs, Social-Media und mütterliche Erfahrungen.

Auch hierzulande führt der Weg zu internationalem Renommee im Schauspielgeschäft inzwischen oft über den Serien-Hype. Eine, die das derzeit erlebt, ist Mina Tander. Mit der Hauptrolle in der Thriller-Serie "Berlin Station" machte die gebürtige Kölnerin auch in den USA von sich Reden; derzeit dreht sie in ihrer Wahlheimat Berlin die zweite Staffel. Trotz vielversprechender Aussichten bleibt die sympathische 38-Jährige, die sich bislang zwischen deutscher Kinokomödie und öffentlich-rechtlichem Fernsehdrama bewegte, zunächst bei ihren Leisten – respektive ihrer Spezialität Familiendrama: Im ARD-Film "Der Sohn" (Mittwoch, 6.9., 20.15 Uhr) verzweifelt Tander, selbst Mutter einer kleinen Tochter, als Alleinerziehende an der verstörenden Sexualität ihres 16-jährigen Sohnes. Wie sehr der intensive Dreh sie mitnahm, und welche Rolle die eigene elterliche Erfahrung dabei spielte, erklärt Mina Tander im Interview.

prisma: Ihr neuer Film "Der Sohn" beinhaltet einige sehr emotional überwältigende, schockierende Szenen. Ist es nach so einem Dreh auch für Sie als Hauptdarstellerin schwieriger, wieder zur Normalität zu finden?

Mina Tander: Oft ergeben sich gerade solche Szenen beim Spielen organisch. Aber ich kam nach der wohl schwierigsten Szene des Films heim und musste erst mal weinen. Das passiert mir eigentlich sonst nicht.

prisma: Normalerweise nehmen Sie Rollen nicht derart mit?

Tander: Das habe ich mit den Jahren gelernt, ich nehme sie sonst nicht so stark mit nach Hause. Sie existieren in einer Zwischenwelt, beeinträchtigen mich zu Hause aber nicht. Klar stecken die Rollen meist noch in mir, ich denke mit den Figuren nach – während eines solchen Prozesses ist es ja auch gut, Sachen an einer Figur für sich zu entwickeln. Aber dass mich dieses Spiel auch nach Drehende noch so intensiv begleitet hat, passiert selten.

prisma: Wie war es nach Drehschluss des Films?

Tander: Obwohl die Rolle so intensiv war, bin ich insgesamt gut rausgekommen. Ich hab mich darin nicht verloren. Aber an einigen Tagen dachte ich: Um Gottes Willen, was haben wir da eigentlich gerade gedreht?

prisma: Erlebten Sie das so zum ersten Mal?

Tander: Nein, ich fing ja bereits früh an mit der Schauspielerei. Zwar fand ich von Anfang an auch meist gut aus den Rollen wieder heraus. Aber wenn man sehr jung ist, so wie ich mit 14, ist es hinsichtlich der Begegnungen mit all den Menschen am Set und im Team schwierig. Dass die, nachdem sie sechs Wochen täglich präsent waren, plötzlich nicht mehr da sind. Da musste ich zu Beginn Muskeln entwickeln, um wieder loslassen zu können.

prisma: Diesmal drehten Sie ein intensives Familiendrama, vor einigen Jahren noch sehr viele Komödien – haben sie eigentlich ein Genre, das Ihnen am meisten liegt?

Tander: Mir macht das Springen von einem zum anderen Genre Spaß, und auch, gegen Erwartungen zu spielen. Manche besitzen den einen Blick auf mich, manche den anderen – ich mag es, beides zu machen. Gute Komödien zu finden, ist nicht das Einfachste – "Frau Müller muss weg" mochte ich etwa total gern. Aber wenn Sie mir die Pistole auf die Brust drücken würden, würde ich mich schon entscheiden... (lacht).

prisma: Man kann ja ohne Pistole fragen: Im Februar erhielten Sie den "Jupiter Award" – für eine Komödie. Nimmt man solche Preise nicht insgeheim lieber für ernste Rollen in Empfang?

Tander: Dieser Award ist ja ein Publikumspreis – da ist es völlig egal, für welche Rolle. Außerdem war der Geschlechtertausch in "Seitenwechsel" eine große Behauptung – und wenn die Zuschauer das annehmen, ist das ein riesengroßes Kompliment. Damit war ich sehr glücklich. Gerade weil die Rolle sehr anspruchsvoll war, und ich etwas spielen musste, das kein Mensch je erleben wird.

prisma: Was Ihrer Figur in "Der Sohn" passiert – die Entfremdung der Eltern vom pubertierenden Teenager –, das passiert hingegen vielen Menschen. Hatten Sie zur Vorbereitung Vorbilder?

Tander: Bestimmte Figuren-Vorbilder hatte ich nicht. Aber es gab Inspiration: "Ekel" von Polanski etwa. Ich bereitete die Figur mit Regisseur Urs Egger vor; wir besprachen viel, bevor es überhaupt in die Vorbereitung ging. Und dann betrieb ich, wie immer, eine Art Feldforschung.

prisma: Spielen gerade bei so einer Rolle auch persönliche Erfahrungen und Befürchtungen eine Rolle – als Mutter beispielsweise?

Tander: Dafür bin ich nicht der Typ. Zumal ich vom ersten Augenblick an totales Vertrauen in meine Tochter hatte. Klar, sie ist erst fünf, manche Dinge, die einfach sehr gefährlich sind, kann sie noch nicht einschätzen. Grundsätzlich denke ich als Mutter aber, dass sie ihren Weg gehen wird, egal wie der aussieht. Es gibt zwar Sachen, die ich vielleicht nicht so toll fände. Aber ich habe keine Sorge, dass sie abstürzt. Meine Mutter machte das bei mir und meiner Schwester auch so.

prisma: Im Film entgleitet der pubertierende Sohn seiner Mutter vollends. Was meinen Sie – wie kann man dem entgegenwirken?

Tander: Da ich noch so ein kleines Kind habe, kann ich das ehrlicherweise nicht persönlich beantworten. Aber ich glaube, es ist immer gut, das Kind als eigenständiges Wesen zu betrachten, mit eigenen Ideen, aber auch eigener Kraft. Ich würde jetzt nie sagen, dass meine Kinder mich nicht brauchen, im Gegenteil, ich bin sehr mütterlich. Aber es geht darum, den anderen als anderen zu sehen – und nicht aus der Angst heraus zu agieren, dass das Kind etwas falsch machen könnte. Oder aus der Angst, dass man nicht mehr gemocht wird.

prisma: Eine Angst, die alle Eltern sicher ab und zu befällt ...

Tander: Ich kann mir vorstellen, wie schmerzhaft das sein muss. Dieses Gefühl, dass sich das Kind von einem entfernt. Deshalb versuche ich, soweit es geht, unvoreingenommen zu sein. Aber ich weiß nicht, ob mir das gelingen wird – da liegen noch ein paar Jahre vor mir.

prisma: Kommt bei Ihnen als prominenter Person noch die Sorge hinzu, dass Ihre Tochter irgendwann zu sehr in der Öffentlichkeit steht?

Tander: Ich halte sie da raus, so gut es geht. Wenn man sich umschaut, gibt es viele US-amerikanische Schauspieler, bei denen die Kinder zwangsläufig in der Öffentlichkeit stehen. Die justieren das dann, indem sie ihre eigenen Kanäle nutzen, auf denen man die Kinder dann selbst zeigt – damit man nicht mehr Dritten ausgeliefert ist. Bei uns ist das ja nur bei wenigen Menschen so. Aber es ändert sich auch gerade wahnsinnig schnell ...

prisma: Welche Veränderung nehmen Sie denn wahr?

Tander: Es geht um die Frage, wie viel Privatleben überhaupt normal ist in der Öffentlichkeit. Ich schätze mein Privatleben sehr. Aber ich bin nicht paranoid. Deshalb versuche ich, damit natürlich umzugehen, zu schauen, wo meine persönlichen Grenzen liegen. Dennoch: Ein frontales Bild meiner Tochter würde ich nicht veröffentlichen – auch als Privatperson nicht. Das kann sie noch nicht selbst entscheiden.

prisma: Woran merken Sie denn, dass sich die Grenzen dahingehend verschieben?

Tander: Wenn ich mit Leuten unter 25 rede, merke ich das total. Das ist ein ganz anderer Zugang zu Social Media, da wird das gar nicht so reflektiert wie in meiner Generation. Was nicht heißt, dass man sich dem anpassen muss. Aber ich registriere es. Vor zehn Jahren wäre mir das noch extrem fremd vorgekommen.

prisma: Heute ist es das nicht mehr?

Tander: Es ist eine neue Qualität, die inzwischen viele Schauspieler mitbringen. Die Diskrepanz zwischen der dort ausgestellten sozialen Plattform und dem eigentlichen Leben dieser Personen ist teilweise groß. Manche haben tausende Follower, haben ein totales Händchen für Bilder und wie man sich präsentiert – was sich dann aber in der schauspielerischen Tätigkeit gar nicht niederschlägt. Die machen nicht die großartigsten Filme. Und dann gibt es grandiose Leute wie eine Paula Beer, die einfach gar nicht in den sozialen Medien vertreten sind. Aber auch tolle Schauspielerinnen wie Naomi Watts, die beides haben.

prisma: Früher hätte man noch gesagt, es dient der Kompensation ...

Tander: Das ist heute nicht mehr so, es gibt mehr Perspektiven darauf als noch vor zehn Jahren, keine einfachen Muster mehr. Ich weiß das auch, weil ich das ja selbst konsumiere (lacht) ...

prisma: Schauen Sie sich bei den Social-Media-Profilen der US-Promis Dinge ab?

Tander: Wenn man sich ausdrückt, muss es von einem selbst kommen. Ein "so möchte ich sein" funktioniert nicht.

prisma: Wären Sie gern international bekannter? Derzeit sind Sie ja auch in der US-Serie "Berlin Station" zu sehen.

Tander: In Berlin haben mich ein paar Touristen auf der Straße erkannt (lacht). Es ist auch schon so, dass einen die Leute, die einen vorher gar nicht kannten, mehr wahrnehmen. Bislang drehte ich ja nur in Deutschland. Aber auch bei internationalen Produktionen käme es mir vor allem auf die Figur an – ich würde das nicht auf Gedeih und Verderb machen wollen. Gerade durch die Streamingdienste gibt es da aber immer mehr Möglichkeiten. Was das dann netto auf meinem persönlichen Berufskonto bedeutet, das wird sich zeigen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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