Linda Perry im Interview

Was macht eigentlich die Frontfrau der 4 Non Blondes?

von Katja Schwemmers

Linda Perry ist eine der erfolgreichsten Musikproduzentinnen der Welt. Dafür musste sie sich neu erfinden. Als Sängerin der 4 Non Blondes lieferte sie mit "What's Up" 1993 den Hit einer Generation. Doch bald schon entschied sie, das Rampenlicht anderen zu überlassen und lieber Strippenzieherin im Hintergrund zu sein. Als Produzentin und Songschreiberin für Pink, Christina Aguilera, Gwen Stefani, Britney Spears und andere wurde sie eine der mächtigsten Frauen im Musikbusiness.

2015 wurde sie in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen. Für ihre Kollaboration mit Country-Legende Dolly Parton (72) für die Netflix-Bestsellerverfilmung "Dumplin" gab es gerade eine Golden-Globe-Nominierung. Die zierliche 53-Jährige, die seit 2014 mit der Schauspielerin Sara Gilbert verheiratet ist, hätte also allen Grund zu lachen. Doch beim Interview in Hamburg scheint es fast so, als würde sie Acht geben, nicht zu freundlich rüberzukommen, während sie über ihre Erfahrungen als Frau im Musikbusiness, #metoo und Musikquoten spricht.

prisma: Sie waren Anfang der 90-er nicht nur Sängerin, sondern auch Hauptsongwriterin der Band 4 Non Blondes. Hatten Sie damals das Gefühl, als Frau benachteiligt zu sein?

Linda Perry: Ich empfand schon, dass die Herren von Interscope Records mich aus den richtigen Gründen unter Vertrag genommen hatten. Aber es gab eine unschöne Geschichte mit dem Produzenten der Platte. Mir gefiel der Klang meiner Gitarrenaufnahme auf "What's Up" nicht. Aber auf meine Einwände entgegnete der Produzent immer wieder: "Kannst du nicht einfach nur singen?"

prisma: Wie reagierten Sie?

Perry: Ich habe mich mit meiner Band heimlich in ein anderes Studio einquartiert und das komplette Stück noch mal nach meinen Vorstellungen aufgenommen – so wie es später auf dem Album erschien. Als ich bei meinem Label um Produzenten-Credits bat, wiegelte man ab und meinte, es gäbe nun mal den Deal mit dem anderen Produzenten. Wenn ich ein Mann gewesen wäre, wäre das vermutlich anders gelaufen.

prisma: Was haben Sie daraus gelernt?

Perry: Heute weiß ich, dass ich darum hätte kämpfen müssen. Ab dem Tag sagte ich mir: "Ich werde niemals nur Sängerin in einer Band sein. Niemals!" Ich bin sehr darauf bedacht, meine Arbeit zu schützen. Denn am Ende des Tages geht es nicht darum, dass ich eine Frau bin, sondern eine Künstlerin.

prisma: Eigentlich wollten Sie den Song "Beautiful" im Jahr 2001 für Ihr eigenes Comeback als Solo-Künstlerin nutzen. Warum gaben Sie ihn dann doch Christina Aguilera?

Perry: Es hatte nichts mit Großzügigkeit zu tun – sie musste sich den Song verdienen. Ich sagte ihr, dass ich hören wollte, wie sie ihn singt. Eine Woche später stand sie nervös bei mir im Studio. Der Song fängt an, und sie flüstert ihrem Freund zu, der sie begleitete: "Bitte schau mich nicht dabei an." In dem Moment wusste ich, dass es ihr Song ist. Denn eigentlich wollte sie sagen: "Guck mich nicht an, denn ich bin verwundbar." Und das war genau das Gefühl, dass sie für das Lied brauchte. Mir stellten sich sämtliche Haare am Körper auf, als sie es sang. Diese erste eingesungene Version war es dann auch, die in die Welt rausging.

prisma: Tatsächlich?

Perry: Ja. Obwohl sie mich sieben Monate lang anbettelte, es noch mal einsingen zu dürfen, weil sie meinte, es besser singen zu können. Ich meinte: "Ich weiß, dass du es noch besser kannst." Wir probierten es dann auch. Aber sie machte gesanglich viel zu viele Schlenker und ruinierte mein Lied. Christina lachte, als ich es ihr sagte, und stimmte zu: "Du hast Recht." Die erste Aufnahme war es einfach, weil sie die Emotionalität des Moments transportierte. Wir änderten daran nur noch Kleinigkeiten.

prisma: War es trotz des Erfolges schmerzvoll für Sie, sich von dem Lied zu lösen?

Perry: Nein. Ich wusste in dem Moment, dass die Solo-Künstlerin Linda Perry ihr Ende gefunden hatte und Linda Perry, die Produzenten und Songwriterin, übernommen hatte.

prisma: Wie ist das heute, wenn Sie den Song in vielen Casting-Shows weltweit um die Ohren gehauen bekommen?

Perry: Ich habe darüber die Kontrolle. Die einzigen Casting-Shows, die es benutzen dürfen, sind die, in denen Christina selbst aufgetreten ist. Wenn ich die Kandidaten mag, gebe ich es fallweise frei. Es ist ja generell toll, wenn junge Talente den Song singen wollen, weil er sie inspiriert und ihnen etwas bedeutet. Dafür machen wir alle doch Musik. Ich schreibe die Lieder ja nicht für mich, sondern für die ganze Welt. Alle sollen sie singen, nicht nur Christina.

prisma: Sie haben mit sehr vielen Frauen zusammengearbeitet. Eine bewusste Entscheidung?

Perry: Nein, sie kamen zu mir. Frauen mögen mich, weil ich dominant, kontrollierend und aggressiv bin – so wie viele Männer. Aber ich kann eben auch gut zu hören, bin sensibel und nicht herablassend, und helfe ihnen zu entdecken, wer sie wirklich sind. Vielen Männern steht dabei ihr Ego im Weg.

prisma: Wie kam Ihre Zusammenarbeit mit Pink zustande?

Perry: Als Alecia (Beth Moore, bürgerliche Name von Pink; d. Red.) mich kontaktierte, wollte sie eigentlich nur, dass ich mit ihr einen Song singe und ihn eventuell auch mit ihr schreibe. Als wir uns dann trafen, entstand eine so tolle Verbindung, dass ich Produzentin und Songwriterin ihres kompletten Albums wurde. Es waren erst nur Demo-Aufnahmen, aber die klangen schon richtig gut. Wir hatten eine tolle Zeit zusammen. Dann kam L.A. Reid, der frühere CEO von Arista Records, der fand, dass ich zu viel Kontrolle hatte und die Richtung, in die wir gingen, auch nicht stimmte. Er meinte, Pink würde dadurch ihr Publikum verlieren. Sie hatte zwei Millionen Exemplare ihres Debüts verkauft. Und ich sagte: "Die wirst du vielleicht verlieren, aber dafür zehn Millionen neue Fans dazugewinnen." Ich wurde gefeuert, weil ich zu abseitig und rebellisch war. Dabei war ich eh nie offiziell beauftragt worden, also konnte man mich eigentlich gar nicht feuern.

prisma: Wie fiel Ihre Reaktion aus?

Perry: Ich machte einfach weiter. Ich habe die acht Songs, die wir aufgenommen hatten, fertiggemacht und -gemischt. Ich nahm dafür mein eigenes Geld. Und dann habe ich die Platte vorgelegt. Sie haben sie dann doch akzeptiert. "Get The Party Started" ging durch die Decke. Ich habe alle Credits bekommen. Das Album "M!ssundaztood" verkaufte sich zwölf Millionen Mal. Aber natürlich hat weder L.A. Reid noch irgendeiner der anderen Typen eingestanden, dass ich von Anfang an richtig lag. Aber ich werde die Geschichte so lange erzählen, bis L.A. Reid es zugibt. Er sagt immer: "Linda hat ihre eigene Version der Geschichte." Aber so ist es passiert. In seiner Ego-Version der Story hatte er die volle Kontrolle über die Situation. Aber ganz ehrlich: Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde Pink als Weiße immer noch einen auf schwarze Künstlerin machen.

prisma: Ist Pink Ihnen zu Dank verpflichtet?

Perry: Wir sind uns gegenseitig dankbar. Denn es war ihre Idee, mit mir in Kontakt zu treten. Wenn sie das nicht getan hätte, hätte es "Missunderztood" nie gegeben.

prisma: Der Tenor ist, Frauen seien im Musikbusiness benachteiligt. Fänden Sie eine Frauenquote bei Festivals oder im Radio gut?

Perry: Nein! Ich beurteile Musik nicht nach dem Geschlecht. Eine Frau sollte keine Bühne bekommen, nur weil es um Gleichberechtigung geht, wenn die Musik schlecht ist. Das hilft niemandem. Damit tun wir uns selbst keinen Gefallen. Es lässt unser Geschlecht schwach aussehen. Es sollte also einfach die beste Musik eine Chance bekommen. Und das können dann 100 Prozent Frauen sein oder auch 100 Prozent schwule Musiker, farbige Musiker oder auch Männer.

prisma: Aber ist es nicht wichtig, gleiche Voraussetzungen zu schaffen?

Perry: In jeder Beziehung. Wenn eine Frau auf der Bühne ist, muss sie verdammt noch mal zeigen, dass sie die anderen Bands, die vermutlich sogar Männerbands sind, wegpusten kann. Ich weiß nicht, ob es da draußen großartige Frauenbands gibt, aber ich weiß, dass ich nach einer suche! Ich möchte die Frauenband finden, die wie AC/DC, Led Zeppelin oder die Rolling Stones ist. Wo sind diese Frauen? Ich muss sie mir wohl selbst zusammenstellen.

prisma: Vielleicht sind sie da, aber haben nicht die gleichen Möglichkeiten wie Männerbands?

Perry: Ich glaube, wenn da draußen eine Frauenband wie Led Zeppelin wäre, würde sie ihre Chance bekommen und überall auf der Welt Gehör finden. Alles, was ich ständig sehe, sind Mädchen, die poppigen, schwachen Mist herausbringen und so wenig wie möglich anhaben, um Aufmerksamkeit für ihre Musik zu bekommen. Aber ich sehe nicht viele Joan Jetts, PJ Harveys, Patti Smiths und Janis Joplins. Ich werde weitersuchen.

prisma: Inwieweit betrifft die "MeToo"-Debatte auch das Musikbusiness?

Perry: Ich kenne viele Künstlerinnern, die berichten, dass ein Plattenfirmen-Entscheider oder Produzent eine Situation ausnutzen wollte, einfach nur unpassende Bemerkungen oder Versprechungen machte. Aber an dem Punkt müssen wir Frauen uns entscheiden: Gehen wir den leichten Weg oder den beschwerlicheren? Jeder Mensch sucht erst mal nach der einfachen Lösung. Aber man muss sich auch fragen, ob es das wert ist.

prisma: Sie haben auch einen Song für den "Women's March" geschrieben.

Perry: Ja, für Pat Benatar. Sie rief mich an und meinte, sie würde gerne einen Song für den Protestmarsch schreiben, weil sie auf Tour sei, wenn der stattfindet. Sie wollte dadurch ihrer Unterstützung Ausdruck verleihen. Ich hatte eh schon mit einem Song, der Gleichberechtigung thematisierte, angefangen. Oftmals basieren meine Lieder einfach nur auf Instinkt. "Shine" machte beim Marsch dann auch die Runde. Selbst Def-Jam-Labelgründer Russell Simmons stellte sich dahinter.

prisma: Ist es Ihnen wichtig, etwas Bedeutungsvolles im Bezug auf die heutige Gesellschaft mit Ihren Liedern beizutragen?

Perry: Absolut, so sehe ich jeden meiner Songs. Es sind nicht nur bestimmte Situationen, die mich inspirieren. Das Leben inspiriert mich! Das ist die Basis-Emotion für alles, was ich mache. Es muss mächtig und stark sein und eine Botschaft haben. Für mich ist Musik nur ein anderer Weg, um dienlich zu sein. Denn letzten Endes ist es das, was ich erreichen will: dienlich für die gute Sache sein. Offen gegenüber Menschen zu sein und zu helfen. Es ist also mehr als nur Musik.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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