Schwule, Lesben und Transsexuelle

Homosexualität? "Kommt im deutschen Fernsehen nicht vor"

von Sven Hauberg

Eigentlich haben die Öffenlich-Rechtlichen die Aufgabe, die gesamte Gesellschaft abzubilden. Wenn es um sexuelle Vielfalt geht, scheitern die Sender allerdings gewaltig. Dagegen regt sich Widerstand.

Götz George wusste es schon 1991: Deutschland ist bereit für einen schwulen "Tatort"-Kommissar. "Lasst ihn doch schwul werden", habe er zu den Schimanski-Autoren gesagt, erzählte er damals dem "Spiegel". Jetzt, 27 Jahre später, können Schwule und Lesben zwar heiraten in Deutschland; einen schwulen Fernsehkommissar gibt es aber noch immer nicht. Zwar ermittelt in Luzern eine lesbische Kommissarin, und der Berliner Ermittler Robert Karow ist sexuell ambivalent – aber das war's auch schon. Die restlichen rund 40 aktiven Sonntagabendkommissare sind allesamt durch und durch hetero. Mit der gesellschaftlichen Realität in diesem Land hat das wenig zu tun, aber es passt ins Bild: Schwule, lesbische, bi-, trans- und intersexuelle (LGBTI) Figuren findet man in den Produktionen von ARD und ZDF kaum.

Dass das nicht nur ein rein subjektives Empfinden ist, fand im vergangenen Jahr eine Studie der Universität Rostock heraus. Demnach sind 60 Prozent der Protagonisten im deutschen Fernsehen eindeutig als heterosexuell zu erkennen; bei 40 Prozent wird die Sexualität nicht thematisiert. Oder anders gesagt: Eindeutig homosexuelle Figuren gibt es eigentlich überhaupt nicht. "Homosexualität kommt im deutschen Fernsehen praktisch nicht vor", sagt Prof. Elizabeth Prommer, Ko-Autorin der Studie. "Das deutsche Fernsehen ist heterosexuell."

Hauptrollen sucht man vergeblich

Die Sender selbst sehen das, wenig überraschend, ein klein wenig anders. "Wir besetzen unsere Rollen bewusst ebenso vielfältig wie die Gesellschaft selbst", behauptet Christine Strobl auf Nachfrage. Als Chefin der Produktionsfirma Degeto ist sie für rund 160 ARD-Erstausstrahlungen im vergangenen Jahr verantwortlich und für 77 Prozent aller ARD-Filme. "Da ist es für uns selbstverständlich, dass auch LGBTI-Charaktere ausgewogen und realitätsnah in unseren Produktionen abgebildet sind." Fragt man nach, in wie vielen Degeto-Produktionen es 2017 schwule oder lesbische Hauptfiguren gab, fallen Strobl ganze drei Beispiele ein, darunter die Reihe "Barcelona-Krimi" mit Clemens Schick als bisexuellem Kommissar. Die Idee, den katalanischen Fernsehermittler auch Männer lieben zu lassen, kam allerdings nicht von der Degeto, sondern vom offen schwulen Hauptdarsteller selbst, wie Schick bekannte. Weiter nennt Strobl den Thriller "Tödliche Geheimnisse", in dem zwei lesbische Journalistinnen einer Verschwörung auf der Spur sind, und das Transsexuellen-Drama "Mein Sohn Helen". Der Film mit Jannik Schümann in der Hauptrolle war zwar tatsächlich ein seltenes Glanzlicht, nur: Er lief bereits vor über drei Jahren.

Das ZDF gibt sich ähnlich diplomatisch wie die Degeto: "Wir bemühen uns stets darum, in unseren Produktionen die Lebensrealitäten mit ihren unterschiedlichsten Facetten abzubilden", sagt eine Sprecherin und nennt eine Handvoll Produktionen der letzten Jahre als Beispiele. Hauptrollen sucht man allerdings vergeblich, stattdessen verweist der Sender auf "den schwulen Vater der Hauptfigur" oder den "Bruder der weiblichen Protagonistin". Und wenn doch mal ein genuin schwuler Stoff erzählt wird, wie im Berlin-Film "Desire will set you free", dann nicht vor Mitternacht.

Konkret stellt man sich sexuelle Vielfalt beim ZDF so vor: "Die sexuelle Ausrichtung einer Figur wird stets dann thematisiert, wenn sie aus dramaturgischen Aspekten von Bedeutung ist." Ein entlarvender Satz. Denn eigentlich, so dachte man, sei die sexuelle Ausrichtung eines Menschen heute eben nicht mehr von Bedeutung. Und überhaupt: Gilt umgekehrt auch, dass alle anderen Rollen nur deshalb als heterosexuell angelegt werden, weil es die Dramaturgie so verlangt? Kann man als Fernsehkommissar nur erfolgreich Verbrecher schnappen, wenn man hetero ist? Können in der Sonntagabendschmonzette nur Heterosexuelle die große Liebe finden?

In einer "Konsensschleife" gefangen

Für Johannes Kram ist das Fehlen von schwulen und lesbischen Figuren im Fernsehen Symptom einer noch immer vorhandenen Homophobie in Deutschland. "Andersartigkeit und Differenz auszuhalten, ist nicht so das Ding der Deutschen", glaubt der Journalist und Autor ("Ich habe ja nichts gegen Schwule, aber ..."). "Am Schuss braucht es immer eine Lösung, mit der alle glücklich sind. Deswegen auch die vielen Krimis: Am Ende muss alles Verstörende beseitigt sein." Für ihn ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen in einer "Konsensschleife" gefangen. "Es geht um Wohlfühlen, heimelige Leitkultur. Man hat den Anspruch, sich mit allen Hauptfiguren identifizieren zu können."

Doch wo Homosexualität nicht als normal dargestellt wird, wird sie vermutlich auch nie als normal angesehen. "Viele Menschen denken, jetzt wo die Ehe für alle da ist, ist die Gleichstellung erreicht. Aber das Gegenteil ist der Fall", meint Kram. Tatsächlich liegt die Selbstmordrate von schwulen und lesbischen Jugendlichen noch immer bis zu siebenmal höher als unter ihren heterosexuellen Altersgenossen, und das nicht, weil sie schwul oder lesbisch sind, sondern weil die Gesellschaft in Teilen noch immer homophob oder zumindest ignorant ist. Dabei wäre es gerade für junge Homosexuelle wichtig, dass ihre Art zu leben im Massenmedium Fernsehen als etwas Normales dargestellt würde. "Das öffentlich-rechtliche System versagt mit dieser Aufgabe spektakulär", sagt Kram. Natürlich sind ARD und ZDF nicht verantwortlich dafür, wenn sich schwule uns lesbische Jugendliche das Leben nehmen, nur: Die Sender hätten durchaus die Möglichkeit, für mehr Normalität zu sorgen, wenn sie denn wollten.

Filme, die etwa den für jeden Jugendlichen schwierigen Prozess des Coming-out thematisieren, gibt es so gut wie keine. Noch wichtiger aber wäre es wohl, Homosexuelle in ganz normalen, alltäglichen Rollen zu zeigen. "Die queeren Kids haben auch das Recht, sich in den coolen und aufregenden Charakteren wiederzuerkennen. Gerade sie brauchen Menschen zum Aufschauen, die so sind wie sie", sagt Kram.

Widerstand regt sich

Hier sind es vor allem ARD und ZDF, die hier gefordert sind. "Wir haben einen Staatsvertrag, in dem drinsteht, dass die gesellschaftliche Realität dargestellt werden soll", sagt Jenny Renner. "Und das ist im Moment nicht so." Renner ist nicht nur Mitglied im Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD); sie ist als Mitglied des ZDF-Fernsehrats auch für die Belange von LGBTI bei dem Mainzer Sender zuständig. Sie sagt, es gebe viel zu wenig schwule und lesbische Charaktere, auch im ZDF. Ihr Einfluss als Fernsehrätin sei aber begrenzt. Sie könne etwa Fragen einreichen zu Sendungen, die bereits gelaufen sind. "So zwinge ich den Sender, sich damit auseinanderzusetzen und kann Umdenkprozesse anstoßen."

Auch die Politik hat erkannt, dass die Darstellung von LGBTI bei den Öffentlich-Rechtlichen der Realität hinterherhinkt. Die Sender, sagt die Bundestagsabgeordnete Doris Achelwilm, hätten den Auftrag, die Gesellschaft möglichst umfassend darzustellen. "Dazu gehören auch Schwule und Lesben." Dem würden die ARD und ZDF, kritisiert die medien- und queerpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, "nicht ausreichend gerecht". Ob Quotierungen zur Umsetzung von Gleichstellungszielen auch im Fernsehen sinnvoll seien, müsse "diskutiert werden". Achelwilm fordert außerdem: "Es ist wichtig, dass Vertreterinnen und Vertreter von LGBTIQ-Verbänden in allen Rundfunkräten vertreten sind." Ähnlich sieht das Ulle Schauws, die frauen- und kulturpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag: "In den Gremien sollten sich die gesellschaftliche Vielfalt und die verschiedenen Sichtweisen von Menschen widerspiegeln. Natürlich auch die von LGBTIQ", sagt die Abgeordnete. "Ein eindimensionaler Blick auf die Lebensrealitäten von Menschen wäre für die Entscheidungen bei der Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nicht gut."

Netflix als Vorreiter?

Aber woran liegt es, dass das deutsche Fernsehen vor allem heterosexuell ist? ZDF-Fernsehrätin Renner macht unter den deutschen Fernsehmachern eine Unsicherheit aus, ein fehlendes Gespür dafür, wie sie mit queeren Rollen umgehen sollen. Und Linken-Politikerin Achelwilm glaubt, dass der Quotendruck bei ARD und ZDF mitverantwortlich ist. Die Sender, sagt sie, würden deswegen das Risiko scheuen, "andere Lebensweisen breiter darzustellen". Tatsächlich identifizieren sich bis zu zehn Prozent der Deutschen nicht als heterosexuell. Aber wenn Schwule und Lesben schon rund um die Uhr Heterosexuellen beim Ermitteln und sich verlieben zuschauen, müsste das umgekehrt ja auch möglich sein. "Tödliche Geheimnisse" etwa sahen bei der Erstausstrahlung mehr als fünf Millionen Zuschauer. Mutmaßlich, weil sie den Film spannend fanden und es ihnen egal war, dass die Protagonistinnen ein Liebespaar sind. Selbst "Mein Sohn Helen", alles andere als leichte Kost, kam auf eine Einschaltquote von ordentlichen zwölf Prozent. Derweil zeigt auch der Streaminganbieter Netflix, dass man mit Diversität durchaus Quote machen kann. Nirgendwo sonst gibt es wohl so viele Filme und Serien, die sich mit schwulen und lesbischem Lebenswelten befassen.

Bis auch ARD und ZDF soweit sind, müssen sich schwule und lesbische Zuschauer wohl noch eine Weile mit Filmen wie diesem begnügen: In der ZDF-Sonntagabendromanze "Ziemlich beste Freundinnen" durften vor wenigen Wochen doch tatsächlich zwei Frauen heiraten. Aber nur, weil sie von ihren Männern enttäuscht waren, und nicht aus Liebe. Mehr ist scheinbar nicht drin im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Jahr 2018.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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