Fragen und Antworten

"Tatort" aus Dresden: Viel Lob für den irren Serienmörder-Plot

von Eric Leimann

War der "Tatort: Das Nest" mit Benjamin Sadler als ARD-Hannibal Lecter nun irres Thriller-Fernsehen – oder einfach nur ein öffentlich-rechtliches Ärgernis? Die Zuschauer sind sich relativ einig.

Eine neue Kommissarin, gespielt von Cornelia Gröschel, übernimmt in Dresden für die wegen künstlerischer Differenzen ausgeschiedene Alwara Höfels. Dabei hat sich der Sachsen-Krimi zuletzt wieder gemausert. In dem ursprünglich von "Stromberg"-Autor Ralf Husmann kreierten Humor-Revier werden mittlerweile todernste Elbe-Thriller gedreht. Aber hatte die Folge "Das Nest", die von einem irren Serienkiller (Benjamin Sadler) erzählte, nicht ein paar Kilo Übertreibungen zu viel auf den Hüften? Und gibt es wirklich ein Gegenmittel zu K.o.-Tropfen?

Worum ging es?

Eine junge Frau sucht nach einem Autounfall mit defektem Smartphone in einer abgelegenen Villa Hilfe. Im klassischen Horrorhaus präpariert dummerweise gerade ein Serienmörder seine Leichen, aus denen er feine Sitzgruppen-Ensembles baut. Wie man sich denken kann, geht die Sache schlecht für die Verunfallte aus – was wiederum die Kommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und ihre junge, reichlich unsichere Kollegin Leonie Winkler (Cornelia Gröschel) auf den Plan ruft. Beim Einsatz wird Gorniak schwer verletzt, weil die Novizin an ihrer Seite versagt. Als die Kommissarin Wochen später traumatisiert in den Job zurückkehrt, macht sich das angeschlagene Duo erneut auf die Suche nach einem – wie es scheint – supersmarten Mörder wie aus dem Genre-Lehrbuch.

Worum ging es wirklich?

Um gnadenlose Thriller-Unterhaltung! Wer Fingernagelkauklassiker wie "Das Schweigen der Lämmer" oder "Sieben" mag, dürfte sich im Debüt-Plot für Cornelia Gröschel als Neu-Kommissarin wohlgefühlt haben: Hohe Leichendichte, Horrorhäuser und ein stets ruhig bleibender Chirurg als gruseliges Biedermann-Monster. Dabei hatte man entweder seinen Spaß oder man schaltete aus und holte sich eine alte Lieblingsfolge "Derrick" aus der DVD-Schatulle mit deutschen Krimiklassikern: "Wo waren Sie gestern Abend zwischen 22 und 23 Uhr?" Ah, endlich Entspannung!

Wer ist die neue Kommissarin?

Cornelia Gröschel, gerade mal 31 Jahre alt, ist gebürtige Dresdnerin. So wie ihr Kollege Martin Brambach (spielt Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel), der allerdings nicht wie Gröschel in der sächsischen Metropole aufgewachsen ist. Die hübsche, aber sehr bodenständige Blonde begann als Kinderdarstellerin. In einer "Heidi"-Kinoverfilmung des Jahres 2001 verkörperte sie die Titelheldin. Nach Malocherjahren am Theater spielte sich die wegen ihres frisch angetrauten Mannes in Karlsruhe lebende Sächsin in den letzten Jahren fast unbemerkt nach oben. Im erfolgreichen ZDF-Dreiteiler "Honigfrauen" war sie mit Sonja Gerhardt als DDR-Schwesternpaar der 80-er im Sommerurlaub am ungarischen Balaton. In der erfrischend "anderen" ZDF-Krimireihe "Schwartz & Schwartz" gehört sie neben Devid Striesow und Golo Euler ebenfalls zum Ensemble.

Wer hat sich den irren Plot ausgedacht?

Drehbuchautor Erol Yesilkaya und sein Regie-Stammpartner Sebastian Marka erhielten vor Kurzem den Grimme-Preis für verrückte "Tatort"-Folgen wie den Film-im-Film-Coup "Meta", der auf der Berlinale spielte. Auch der letzte Franken-"Tatort" mit dem Titel "Ein Tag wie jeder andere", bei dem die Kommissare einen Mörder aufhalten mussten, der stets zur vollen Stunde tötete, war ein typisches Larger-than-Life-Thrillerwerk des 1976 geborenen Deutschtürken Yesilkaya. Wer sich auf seine verrückten, filmzitatreichen, manchmal in Sachen Ideen fast übervolle Plots einlassen kann, hat bei Yesilkayas Werken mit ziemlicher Sicherheit Spaß. Weil man bei ihm alles bekommt, nur keinen langweiligen Krimi von der Stange. Die Sender sehen's genauso: "Das Nest" war Erol Yesilkayas bislang elfter "Tatort", an dem er als alleiniger oder Co-Autor beteiligt war.

Gibt es ein Mittel gegen K.o.-Tropfen?

"Hey, das neutralisiert die K.o.-Tropfen", drückt Kommissarin Gorniak der ungläubigen Frau des Serienmörders (Anja Schneider) ein Gegenmittel in die Hand. Die Arztgattin wird samt Teenagertochter regelmäßig betäubt, bevor sich das Familienoberhaupt neue Opfer sucht. Allein das ist schon reichlich irre – sinken Mutter und Tochter doch regelmäßig beim Abendbrot auf die Tischplatte, während der Vater hypnotische Geschichten erzählt. Später erinnert man sich an nichts, stellt dies aber offenbar nicht infrage. Noch doller wird es mit "dem Gegenmittel", das den Mörder schließlich zu überführen hilft. "Die Geschichte ist sehr überhöht", gibt Cornelia Gröschel im teleschau-Interview zu ihrem Debütfall zu. "Es gibt ein paar Details im Film, zum Beispiel ein medizinisches Gegenmittel, das in der Realität so gar nicht existiert."

Wo kommen all die Serienmörder her?

Der Krimi liebt Serienmörder. Würde man die Häufigkeit ihres Auftretens im Film für bare Realitäts-Münze nehmen, wir lebten allesamt enorm gefährlich. Auch Folgetaten, also sozusagen der zweite oder dritte Mord, der im Krimi passiert, um die Spannung hochzuhalten – meistens mit der pseudo-logischen Erklärung, dass ein Täter Zeugen oder Mitwisser ausschaltet ,- kommt in der Realität extrem selten vor. Die Zahl der Gewaltverbrechen in Deutschland sinkt übrigens seit Jahren – im Gegensatz zur Mordhäufigkeit im Krimi. Das mordreichste Jahr in der deutschen Realität der letzten 30 Jahre war übrigens 1993. Damals gab es 1,6 Morde pro 100.000 Einwohner. Für das Jahr 2017 lag dieser Wert bei etwa einem Fall pro 100.000 Deutsche. Ganz schön sicher – und langweilig -, diese Realität.

Wie waren die Reaktionen im Netz?

Größtenteils überaus positiv. Die Einschaltquote war mit 9,67 Millionen Zuschauern die zweitbeste "Tatort"-Quote des Jahres. Bei Twitter fühlten ich die meisten Kommentatoren bestens unterhalten. Hier ein paar Beispiele:


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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