Neuer Fall aus Göttingen

War "National feminin" der beste "Tatort" des Jahres?

von Julian Weinberger

Um den Mord an einer jungen Frau aufzuklären, ermittelten Lindholm (Maria Furtwängler) und Schmitz (Florence Kasumba) im rechten Milieu. Der "Tatort: National feminin" aus Göttingen war wie ein Schlag in die Magengrube.

In "normalen" Zeiten wäre die Diskussion um den rechtsextremen "Flügel" der AfD vermutlich das mediale Aufregerthema Nummer eins, vom Leitartikel bis zur Talkshow. Weil seit Wochen aber die Corona-Pandemie die Nachrichtenlage dominiert, verkommt die innerparteiliche Spaltung der AfD fast zur Randnotiz, ebenso wie die Razzia bei der mutmaßlichen rechten Terrorzelle "Gruppe S.". Wie fatal es wäre, den Rechtsruck der Gesellschaft in der Corona-Krise zu vergessen, demonstrierte der neue Göttinger "Tatort: National feminin" – ein Highlight des noch jungen Fernsehjahres.

Worum ging es in "National feminin"?

Eine junge Frau wurde tot im Stadtwald aufgefunden. Als die Identität der Toten feststand, ahnten die Kommissarinnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Anais Schmitz (Florence Kasumba) bereits Ungemach: Marie Jäger (Emilia Schüle) war die Betreiberin des Videoblogs "National feminin" und eine Galionsfigur der rechtsnationalen "Jungen Bewegung". Von Maries Kameraden ernteten Lindholm und Schmitz nur Missbilligung, und auch an der designierten Bundesverfassungsrichterin Sophie Behrens (Jenny Schily), tags zuvor noch von Marie vor einem Farbbeutel-Anschlag gerettet, bissen sich die Beamtinnen die Zähne aus. Währenddessen braute sich im Netz ein Sturm aus Hass, Falschinformationen und rechtem Gedankengut zusammen ...

Worum ging es in dem "Tatort" wirklich?

Darum, dass der Druck von rechts ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und alle Gesellschaftsschichten von rechtsnationalem Gedankengut durchsetzt sind. Glücklicherweise verzichtete die Regisseurin Franziska Buch darauf, die Mitglieder der "Jungen Rechten" als tumbe Nazis mit Springerstiefeln und Baseballschlägern darzustellen. Ganz im Gegenteil, im "Tatort" waren es gut situierte Intellektuelle, die im Kampf um ihre deutsche Heimat die Strippen zogen. Da waren es die rhetorisch gewiefte Richterin und ihre Freunde der Bildungs- und Akademikerelite, die rechte Ideologie unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Kredibilität unter die Leute brachten.

Warum war der "Tatort" so gut?

Sensationslüsterne Journalisten, eine Hetzkampagne in den sozialen Medien und Fake News: Obwohl "National feminin" ein Füllhorn an gesellschaftlichen Reizthemen ansprach, wirkte der Krimi nie überladen, sondern bildete ein homogenes Ganzes. Auch der Mordfall, der zwischendurch zur Nebensache geriet, wurde schlüssig aufgelöst – samt gelungenem Twist. Dass es dem Drehbuch von Daniela Baumgärtl und Florian Oeller obendrein gelang, das bislang eisige Verhältnis von Lindholm und Schmitz in eine vorsichtige Annäherung hin zu Kollegialität zu wandeln, ist eine reife Leistung. Das "Tatort"-Jahr mag noch jung sein, aber "National feminin" legte die Messlatte sehr hoch und kann schon jetzt eines der Fernsehfilm-Highlights des Jahres bezeichnet werden. Im internen "Tatort"-Quoten-Ranking 2020 sortierte sich der "Tatort" aus Göttingen übrigens auf Platz sieben ein.

Gibt es wirklich rechte Influencer?

Hinter dem gesellschaftlichen Stereotyp einer Influencerin stehen in der öffentlichen Wahrnehmung oft junge, hübsche Frauen, die ihren Followern durch vermeintlich authentische Videos Produkte aus den Sparten Lifestyle, Mode und Ernährung schmackhaft machen. Doch auch politisch werden soziale Medien längst für Meinungsmache genutzt – besonders von der rechten Szene. "Die jungen Frauen werden geschickt als It-Girls der Bewegung positioniert. Sie nutzen sehr professionell die sozialen Medien, sind Bloggerinnen mit vielen Followern und befinden sich ganz vorne an der Front", beschreibt Regisseurin Professor Franziska Buch. "Auf den ersten Blick wirken sie harmlos, und das macht es so perfide."

Thematisch liegt den Bloggerinnen besonders der Schutz der Frauen am Herzen und die Etablierung eines neuen Feminismus. "Sie propagieren eine neue Weiblichkeit und werfen den Feministinnen der ersten Stunde vor, die Unterschiede zwischen Männer und Frauen zu negieren, die Männer gesellschaftlich und emotional kastrieren zu wollen", weiß Buch.

Eines haben die jungen Influencerinnen und ihre männlichen Pendants in der rechten Szene aber gemeinsam: Sie sind gut vernetzt. Recherchen des unabhängigen Rechercheverbundes Correctiv ergaben im Februar, dass sich die rechten Meinungsmacher durch Gastauftritte bei anderen bekannten Namen der Identitären Bewegung zusätzliche Aufmerksamkeit verschaffen. Nachforschungen des "Tagesspiegels" verdeutlichen zudem, dass die Strukturen hinter den Videomachern in Sachen Studio, Ton und Kameraleute längst in professionellen Bahnen verlaufen.

Wie steht es um das Verhältnis von Lindholm und Schmitz?

Bei ihren bisherigen zwei Fällen konnte beim Göttinger "Tatort"-Duo noch kaum von Zusammenarbeit die Rede sein. Lindholm und Schmitz rieben sich aneinander und wagten im Zweifel einen Alleingang – Teamwork Fehlanzeige. In "National feminin" war das anders. Die schwierigen Ermittlungen schweißten die Kommissarinnen zusammen, Lindholm verteidigte ihre Kollegin gegen rassistische Anspielungen der "Jungen Bewegung" und holte sich später sogar eine blutige Nase. Das zarte Pflänzchen der neu erlangten Kollegialität könnte aber schon bald niedergetrampelt werden. Der Grund: Nach dem Kuss mit Nick, dem Lebenspartner ihrer Kollegin, beginnt Lindholm Gefühle für den charismatischen Rechtsmediziner zu entwickeln.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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