Musiker im Interview

"TVOG"-Coach Sido: "Ich weiß, wer singen kann und wer nicht"

von Maximilian Haase

2007 saß Sido in der "Popstars"-Jury und kritisierte das Format im Anschluss harsch. Nun wagt er bei "The Voice of Germany" einen neuen Versuch. Im Interview spricht der 38-Jährige über seine neue Casting-Rolle, die Freundschaft mit Mark Forster und Ehrgeiz im TV.

Die Zeiten, als Sido mit Maske, Schimpfwörtern und Provokationen ein Thema für den Jugendschutz war, scheinen längst vorbei. Heute zeigt sich der einstige Gangsta-Rapper, der inzwischen ein eigenes Label besitzt, deutlich reifer und reflektierter. Die berühmte Maske trägt der 38-Jährige nur noch als selbstironische Referenz, etwa in den Videos zum neuen Album "Ich und keine Maske", das wieder deutlich raplastiger und hochmodern geraten ist. Ansonsten scheint der Berliner im Mainstream angekommen – und hat dabei etwas Seltenes geschafft: Verbiegen musste sich Sido für den Erfolg nie. So wirkt es sogar irgendwie stimmig, wenn der Rapper, bürgerlich Paul Würdig, nun als Coach bei "The Voice" seinen Einstand feiert. Zumal es nicht sein erstes Musikcastingshow-Mal ist: Bereits 2007 saß er in der "Popstars"-Jury, und kritisierte das Format im Anschluss harsch. Im österreichischen Fernsehen fungierte der HipHop-Star bis vor wenigen Jahren gar als Jurymitglied mehrerer Shows – ebenfalls nicht skandalfrei. Wie ihm der Casting-Neustart mit "The Voice" (ab Donnerstag, 12. September, 20.15 Uhr, ProSieben und SAT.1) glückt und was sein guter Freund und Coach-Kollege Mark Forster damit zu tun hat, erklärt Sido im Interview.

prisma: Konnten Sie bei "The Voice" schon Strategien entwickeln, mit Mark Forsters Energie umzugehen?

Sido: Mark und ich wir kennen uns ja. Wir wissen auch, wie weit man miteinander gehen kann. Wir kennen uns so gut, dass wir auch mal einen Scherz oder linken Haken des anderen aushalten.

prisma: Mark Forster meinte einmal, Sie hätten seine Bekanntheit wahnsinnig vorangetrieben. Sind Sie Freunde geworden?

Sido: Ja, das ist eine Freundschaft. Vor ein paar Jahren fand ich den Song "Auf dem Weg" von Mark Forster, und fand den so gut, dass ich ihn den ganzen Sommer lang hörte, drei- bis viermal am Tag. Ich habe so Phasen, in denen ich meinen Lieblingssong sehr oft höre. Dann hatte meine Frau eine Fernsehsendung, in der Mark Forster zu Gast war. Sie sagte ihm: "Wir hören die ganze Zeit deinen Song!" und dass ich ihn gern mal kennenlernen würde. Da meinte er nur, dass wir uns schon kennen würden – aus der Kurt-Krömer-Show.

prisma: Haben Sie vorher abgesprochen, wie sie miteinander bei "The Voice" agieren wollen – vor allem was das gegenseitige Aufziehen anbelangt?

Sido: Davon sind wir beide ausgegangen (lacht). Selbst wenn wir privat sind, gebe ich ihm gern mal einen mit auf meine Sido-Weise. Über Dinge, die ich komisch finde. Es gibt bei uns diese Kluft zwischen poppigem Schnulzen-Sänger und Sido, dem Straßenrapper mit Maske. Um diese Unterschiede wissen wir – und spielen damit.

prisma: Brachte Mark Forster Sie auch zu "The Voice"?

Sido: Er hat mich ins Rennen gebracht, soweit ich weiß. Er brachte den Stein ins Rollen.

prisma: Ist ein Sido noch nervös, wenn er ein neues TV-Format wie "The Voice" angeht?

Sido: Nee. Ich bin nicht nervös – denn das ist man ja nur, wenn man sich seiner Sache nicht sicher ist. Das bin ich immer. Wenn ich eine Tour plane und probe, und ich probe intensiv und bin dann auch ein anstrengender Mensch, dann bin ich vor der ersten Show super aufgeregt. Da muss ich erst wissen, ob das alles funktioniert, was ich mir so ausgedacht habe. Bei "The Voice" hingegen muss ich den Leuten nur sagen, wie ich es finde. Da bin ich mir ziemlich sicher.

prisma: Mussten Sie sich das Dasein als TV-Entertainer erst aneignen?

Sido: Ich musste mir das nicht aneignen. Seit ich im Fernsehen bin, war ich immer so, wie ich bin. Und die Leute mögen das. Da musste ich nichts erfinden, was dem Publikum besser gefällt.

prisma: Können Sie sich das erklären?

Sido: Es ist diese Ehrlichkeit. Auch wenn es manchmal nicht das ist, was man hören will: Man weiß, woran man bei mir ist.

prisma: Das hat in der Vergangenheit nicht jedem gefallen ...

Sido: Klar. Ich habe auch immer verstanden, dass der "Rüpelrapper" die bessere Schlagzeile ist. Das nehme ich keinem übel.

prisma: Sie sagten einmal, dass es so etwas wie ein "Image" für Sie nicht gibt. Existiert bei "The Voice" dennoch ein bestimmtes Bild von Ihnen?

Sido: Was ich meinte: Ich halte nichts von künstlichen Images – solchen, die man sich nimmt, um davon etwas zu haben. Aber klar: Die halten mich für streng. Dabei bin ich nicht streng. Anscheinend scheint hier immer jeder eine gute Bewertung bekommen zu haben – aber ich finde ja nicht alles gut. Ich bin hier, um meine Meinung zu sagen. Das Problem ist vielleicht, dass ich manchmal "Scheiße" auch sage – und nicht drumherum rede.

prisma: Man wusste bei Ihnen auch vorher schon, dass Sie nicht jedes Castingformat gut finden. Nach Ihrer Teilnahme an "Popstars" übten Sie daran harsche Kritik ...

Sido: Die Leute wussten, wie ich über "Popstars" denke. Und daher auch, mit wem sie sich einlassen. Wenn also der Anruf kommt – "Hat Sido Bock in einer Jury zu sitzen?" – dann wissen die, womit sie rechnen müssen. Daher denke ich: Die Fehler, die ich damals in der Show gesehen habe, werden die nicht machen.

prisma: Haben Sie trotzdem länger über eine Teilnahme nachgedacht?

Sido: Ich stell das schon mehr auf den Prüfstand als früher. Bei "Popstars" dachte ich damals: Warum sitzt nicht einmal ein Rapper in so einer Jury? Wird doch mal Zeit! Außerdem war ich immer ein Fernsehkind, schaute früher sehr viel TV. Daher wollte ich auch im Fernsehen stattfinden. Heutzutage wäge ich viel mehr ab: Mit wem lasse ich mich da ein?

prisma: Entwickeln Sie bei "The Voice" einen besonderen Ehrgeiz?

Sido: Ja, ich vertrete HipHop. Ich möchte zeigen, dass das eine ernstzunehmende Musikrichtung ist, und nicht nur eine Kultur von pöbelnden Jugendlichen. Dass das Musiker sind, die HipHop machen. Dass ist meine Mission – und dafür muss ich die anderen auch in ihre Schranken weisen (lacht). Das macht Spaß. Aber ehrlich gesagt: Ob am Ende einer aus meinem Team gewinnt oder einer von den anderen – ich gönne es dem Besten. Das ist mir wichtig.

prisma: Sie sagten einmal, Sie seien Rapper geworden, weil Sie nicht singen konnten – und dass Sie eigentlich lieber Mitglied einer Boyband hätten werden wollen. Können Sie als Rapper Pop-Gesang gut einschätzen?

Sido: Das mit der Boyband meinte ich wirklich so! Und dass ich sage, ich kann nicht singen, zeigt ja schon, dass ich Ahnung habe. Ich weiß, wer singen kann und wer nicht. Da bin ich auch mir selbst gegenüber objektiv. Ich bin auch niemand, dem man das beibringen kann. Denn es kommt in erster Linie auf die Stimme an – und die habe ich nicht. Ich weiß, wie man Töne trifft – aber Gesang würde ich das nicht nennen (lacht).

prisma: Ungefähr zur selben Zeit zum "The Voice"-Start veröffentlichen Sie Ihr neues Album namens "Ich und keine Maske". Wie entstand der Titel?

Sido: Die Idee kam tatsächlich von Fler. Weil das Album einfach "Ich" bin. Aber um ehrlich zu sein: Ich mach mir über meine Alben-Titel nicht so viele tiefe Gedanken wie andere. Ich benenne sie einfach, damit man sie voneinander unterscheiden kann (lacht).

prisma: Die Platte orientiert sich wieder mehr am HipHop ...

Sido: Ja, alles wird sehr modern und hiphoppig. Und überhaupt nicht Mainstream, wie ich finde. Ich wollte zeigen: Ich habe den Anschluss nicht verloren, ich weiß, in welche Richtung HipHop gegangen ist. Ich weiß, dass sich die Art zu rappen verändert hat – und ich bin dabei. Wenn ich schaue, wie dilettantisch ich auf dem ersten Album rappe – das kann man niemandem mehr anbieten.

prisma: Was sagen Sie jenen, die sich diesen alten Sido zurückwünschen?

Sido: Die vermissen nicht den alten Sido, sondern, wenn sie ehrlich mit sich sind, die alte Zeit ihrer Jugend. Die arbeiten jetzt 9 to 5, freuen sich auf drei Wochen Urlaub im Jahr, leben im System. Und dann denken die zurück und glauben, ich habe ihnen diese Zeit damals bereitet. Das ist Unsinn, ich war nur der Soundtrack dazu.

prisma: Haben Sie die Entwicklung der jungen Generation in den letzten Jahren verfolgt?

Sido: Natürlich. Ich mag es, mich zu verändern, man muss sich weiterentwickeln. Außerdem bin ich immer dabei, wenn es darum geht, gute Leute zu fördern und mit auf mein Album zu nehmen. Jungen Talenten eine Plattform zu bieten.

prisma: Vor ein paar Jahren meinten Sie einmal, dass Sie sowieso keine jungen Hörer mehr hätten ...

Sido: Ja, das hat sich wohl nicht bewahrheitet. Das merkt man an meinen Spotify-Abrufen. Wahrscheinlich kennen die jungen Leute die alten Sachen überhaupt nicht mehr. Die sind vielleicht bei "Bilder im Kopf" eingestiegen. Die ganze Diskussion, die es früher um mich gab, verrohte Jugend und so weiter – das haben die gar nicht mitbekommen.

prisma: Lassen Sie Ihre eigenen Kids Ihre Musik hören?

Sido: Klar, die suchen sich das selbst aus – und fragen dann nach den Liedern, die ihnen gefallen. Aber es gibt natürlich vereinzelte Songs, die ich ihnen gar nicht zeigen würde. Manchmal, wenn ich zu bekloppte Sachen rappe, dann huste ich während der Satz kommt (lacht).

prisma: Bewundern die ihren Vater jetzt auch als Fernsehstar?

Sido: Nein, im Fernsehen guckt man nach Mama. Und aus den Boxen kommt Papa (lacht).


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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