Schauspielerin im Interview

Ursula Strauss: "Unser Menschenbild begünstigt Fake-Identitäten"

von Eric Leimann

Ursula Strauss ist in dem Film "Meine fremde Freundin" als neue Kollegin im Gesundheitsamt zu sehen, die von einem Büro-Macho vergewaltigt wird. Zumindest behauptet sie das. Wie schwer ist es bei Vergewaltigungsvorwürfen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden? Ein ARD-Themenabend will darüber reden.

Ursula Strauss gilt als eine der besten Schauspielerinnen, die es derzeit in Österreich gibt. Dass sie in Deutschland immer noch als Geheimtipp gilt, liegt wohl daran, dass die 43-Jährige tatsächlich vor allem in ihrem Heimatland arbeitet. Der "Akademie des österreichischen Films" steht sie gar als Präsidentin vor. Ihre Krimireihe "Schnell ermittelt" gilt in der Alpenrepublik als Straßenfeger. In "Meine fremde Freundin" (Mittwoch, 8. November 2017, 20.15 Uhr, ARD) spielt sie nun eine Frau, deren Glaubwürdigkeit beim Vorwurf, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein, auf dem Prüfstand steht. Die Rolle der selbstbewussten Fremden, die in Hannover eine neue Stelle im Gesundheitsamt antritt und sich dort mit der aggressiven Männlichkeit eines Kollegen (Hannes Jaenicke) auseinandersetzen muss, passt perfekt zur eloquent charmanten Wahl-Wienerin.

prisma: Sie sind ein Superstar in Österreich. In rein deutschen Produktionen sah man Sie bisher selten. Warum?

Ursula Strauss: Bisher waren es tatsächlich vor allem deutsch-österreichische Koproduktionen, in denen ich hier zu sehen war. Deutschland ist ein viel größerer Markt. Es dauert, bis man da angekommen ist. Vor allem, wenn man wie ich, so viel in Österreich macht. Ich habe das Gefühl, das ändert sich gerade. Ich spiele zum Beispiel eine Hauptrolle im nächsten Franken-"Tatort". Es war eine tolle Arbeit mit einem krassen Thema. Max Färberböck führte Regie. Von Dagmar Manzel, die die Kommissarin spielt, bin ich schon lange ein echter Fan.

prisma: In "Meine fremde Freundin" spielen Sie nun eine Österreicherin, die für einen neuen Job nach Hannover zieht. Könnten Sie – rein sprachlich – auch eine Deutsche spielen?

Ursula Strauss: Hochdeutsch ohne hörbare Sprachfärbung zu spielen, ist für uns Österreicher eine Herausforderung. Ich nehme an, ich könnte das. Wenn man mit deutschen Schauspielern spielt, nimmt man automatisch deren Sprachfärbung an. Das macht es leichter. Außerdem bin ich mit einem Deutschen verheiratet. Die Voraussetzungen wären also nicht so schlecht. Ich finde jedoch, dass wir im Fernsehen viel zu wenig mit der eigenen Sprache der Schauspieler arbeiten.

prisma: Wie meinen Sie das?

Ursula Strauss: Wir leben in einem mobilen Europa und kommen auch innerhalb der Nationalstaaten aus verschiedenen Gegenden mit eigener Sprache. Warum sollen also alle Menschen gleich sprechen? Anders formuliert: Warum muss man erklären, wenn einer mal anders spricht? Das ist im Alltag doch auch so. In Amerika macht man viel weniger Aufhebens drum, wenn Schauspieler im Film unterschiedliche Dialekte sprechen. Wenn es die Rolle nicht anders verlangt, bin ich überzeugt davon, dass Schauspiel und die Geschichten, die wir in Film und Theater erzählen, grundsätzlich davon profitieren, wenn man so sprechen kann, wie man es auch privat tut. Sprache verrät so viel über den Menschen. Es wäre ziemlich schwachsinnig, ausgerechnet im Film auf diese Facette menschlicher Wahrheit zu verzichten.

prisma: Um Wahrheit und Lüge geht es auch in "Meine fremde Freundin". Da spielen Sie eine Frau, die sagt, sie wurde vergewaltigt.

Ursula Strauss: Ich finde, es ist ein Film, der sehr gut in unsere Zeit passt. Nicht nur, weil es da um sexuelle Übergriffigkeit geht. Der Vorwurf der Vergewaltigung wird nie ausgesprochen im Film. Sie wird geglaubt, weil die Freundin meiner Figur diese dunkle Spur gerne aufnimmt. Weil sie für ihre neue, verlockend düstere Freundin als Helferin auftreten will. Es kann die Geschichte der einen Frau nicht ohne die der anderen geben.

prisma: Sie sagen, es ist ein Thema unserer Zeit. Wie meinen Sie das?

Ursula Strauss: Dass die Grenzen zwischen uns und anderen Personen verschwimmen, kann man gut im Social Media-Bereich erkennen. Da nimmt man sehr eng am Leben anderer Leute teil. Dort werden Identitäten, Charaktere und Lebenswirklichkeiten gebastelt, die zwar sehr privat erscheinen, aber nicht unbedingt authentisch sind. Es ist schon komisch. Unsere realen Grenzen machen wir Europäer alle dicht, damit bloß keine Fremden kommen. Gleichzeitig wollen wir virtuell ganz tief in das Leben anderer, meist fremder Menschen eintauchen.

prisma: Ist es eine Flucht? Und wenn ja, wovor?

Ursula Strauss: Ich glaube, viele von uns sind mittlerweile so gestresst, dass sie die reale Auseinandersetzung scheuen. Wir streiten uns nicht mehr, schauen uns nicht mehr in die Augen, setzen uns immer weniger direkt mit dem Gegenüber auseinander. Das alles kostet ja Energie. Kraft, die wir nicht mehr haben, weil wir zu viele Aufgaben zu bewältigen haben.

prisma: Lügen ist also ein Zeichen der Überforderung?

Ursula Strauss: Jeder von uns muss heutzutage an der Oberfläche eine funktionierende Einheit bilden. Dabei sind die Anforderungen längst viel zu hoch. Man muss immer stark sein: im Job, in der Familie, im sonstigen Privatleben. Frauen sollen alles hinbekommen. Sie sollen tolle Mütter oder Familienmanager sein und gut im Job dazu. Sie müssen sich selbst verwirklichen und dabei auch noch ganz viel Humor aufweisen. Wie soll das alles gehen? Unser modernes Menschenbild begünstigt Ausreden, Lügen, Fake-Identitäten und letztlich auch psychische Erkrankungen.

prisma: "Meine fremde Freundin" stellt nicht nur die Frage nach Glaubwürdigkeit und Wahrheit im Privaten, sondern erweitert das Thema auch auf die Justiz. Hat die denn keine besseren Mittel, um Lügen zu enttarnen?

Ursula Strauss: Letztendlich sitzen da auch nur Menschen. Menschen, die sich von unsympathischen Verdächtigen und hilflosen wirkenden Opfern genauso beeinflussen lassen wie wir Laien. Wir erwarten von unseren Institutionen ungeheure Perfektion. Von Ärzten oder Richtern beispielsweise. Die haben den Status von Göttern, und doch sind sie auch nur Menschen, die wie jeder andere auch mal einen schlechten Tag haben. Selbst wenn sie top ausgebildet und besten Willens sind. Es fällt uns schwer, zu akzeptieren, dass es so ist. In der heutigen, perfekten Zeit mehr denn je. Natürlich müssen wir alle daran arbeiten, dass Fehler in solchen Bereichen möglichst selten vorkommen. Trotzdem müssen wir uns auch davon verabschieden zu glauben, dass Menschen so zuverlässig arbeiten und urteilen wie Maschinen.

prisma: Haben Sie sich damit beschäftigt, ob bei Vergewaltigungsprozessen viele Fehlurteile gefällt werden?

Ursula Strauss: Nein, nicht wirklich. Meine Rolle steht ja auf der anderen Seite. Würde ich eine Richterin spielen, hätte ich das sicher getan. Ich habe gehört, dass es bei kaum einem anderen juristischen Tatbestand schwerer sein soll, die Tat eindeutig nachzuweisen. Auf der anderen Seite ist sexuelle Übergriffigkeit am Arbeitsplatz Realität. Es ist ein geduldeter und tagtäglich stattfindender Missbrauch, der an vielen Orten stattfindet. Ein Missbrauch, der heute noch immer an vielen, vielen Menschen begangen wird.

prisma: In letzter Zeit berichteten viele Schauspielerinnen über sexuelle Übergriffe in ihrem Beruf. Waren Sie davon überrascht?

Ursula Strauss: Nein, nicht wirklich. Ich hatte das Glück, von solchen Übergriffen verschont geblieben zu sein. Aber unser Beruf ist prädestiniert dafür, Grenzen zu überschreiten. Das Spiel mit Erwartungen, Hoffnungen und Emotionen kann eine Falle sein, die, wenn man über sie stolpert, sehr schmerzhaft zuschnappen kann.

prisma: In Europa oder Amerika leben wir schon länger in Zeiten der Political Correctness. War es vielleicht ein Trugschluss anzunehmen, dass Machismo und sexuelle Übergriffigkeit stark abgenommen haben?

Ursula Strauss: Political Correctness ist das eine. Die wirklichen Gedanken, Sprüche und Taten, wenn man sich unbeobachtet und unter seines Gleichen fühlt, sind etwas anderes. Ich glaube, dass hinter der Maske der politischen Korrektheit fast alles beim Alten geblieben ist. Ebenso wie bei den Männern das Machistische in den Genen steckt, ist es auch Frauen angeboren, sich zu ducken. Das alles loszuwerden, sich davon frei zu machen – das bedeutet für beide Seiten noch sehr viel Anstrengung und Arbeit.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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