Aktionismus

"Es wird zu wenig aufgestanden": Anna Werner Friedmann kämpft gegen Machtmissbrauch

24.10.2025, 09.38 Uhr
Anna Werner Friedmann ist die neue Kommissarin in der ZDF-Reihe "Die Toten vom Bodensee". Als Mara Eisler hinterlässt sie eindrucksvolle Spuren und setzt sich für mehr Gerechtigkeit im Schauspiel ein.

"Wenn du nicht mitspielst, wirst du ausgetauscht!" – Vor solchen Statements hat Anna Werner Friedmann keine Angst. Oft hat sie es erlebt, beim Theater, beim Film. Und immer wieder hat sich die Schauspielerin dafür mit den Verantwortlichen angelegt, etwa als sie wegen einer ausstehenden Gehaltszahlung vor das Publikum trat und öffentlich ihre Rolle im Stück "Alma" niederlegte. Die 33-jährige Wienerin ("Lena Lorenz", "Servus Baby") wirkt gradlinig und ziemlich leidenschaftlich, wenn sie von dem berichtet, was sie bewegt. Das ist zunächst einmal ihr Beruf, verbunden mit dem Einsatz gegen Machtmissbrauch hinter den Kulissen wie in der NDR-Doku "Gegen das Schweigen" zu sehen. Da ist aber aber auch das Reisen in ihrem Camper mit Dackeldame Edna. Das Gespräch mit ihr ist trotz der teilweise ernsten Themen ungezwungen und fröhlich, sie lacht viel und erzählt offen. Auch von ihrer neuen Rolle als Kommissarin in der ZDF-Reihe "Die Toten vom Bodensee". In "Der Wunschbaum" (Montag, 27. Oktober, 20.15 Uhr) agiert sie erstmalig neben Matthias Koeberlin und Hary Prinz.

Für "Die Toten vom Bodensee": bitte ruhig mehr Wahnsinn!

prisma: Die Figur, die Sie spielen, wirkt nicht gerade stromlinienförmig. Wie viel von Ihnen steckt in Mara Eisler und umgekehrt?

Anna Werner Friedmann: (lacht) Das ist eine interessante Frage, weil ich dadurch, dass wir schon vier Teile gedreht haben, einen Wissensvorsprung habe. Die Vorgeschichte war ursprünglich so angelegt, dass Mara seit einem Kopfschuss keine Emotionen empfinden kann, aber das fand ich weniger spannend. Ich wollte den Laden eher ein bisschen aufmischen, mit mehr Impulsen und Wahnsinn. Also habe ich mir vorgestellt, dass die Figur sich nach diesem Flat-Effekt befindet und wie ein Kind anfängt, Emotionen neu zu entdecken. In der ersten Folge versucht sie noch, das so weit wie möglich zurückzuhalten, aber dieses Unangebrachte bricht doch immer mal wieder aus ihr heraus. In den nächsten Folgen wird das noch mehr: Je wohler sie sich fühlt, umso weniger versucht sie, unauffällig zu bleiben. Dadurch ist die Figur so breit gefächert, dass sehr wohl einige Teile von mir drin sind, aber auch sehr viele, die mir sehr fremd sind. Wir haben die Figur so aufgebaut, dass man sie entdeckt, während sie passiert. Dadurch überrascht sie mich immer wieder.

prisma: Wie kam es, dass die Rolle mit Ihnen besetzt wurde?

Anna Werner Friedmann: Wie es meistens läuft: Ich bekam über meine Agentur eine Castinganfrage, musste dann eine Szene zu Hause mit dem Handy aufnehmen und hinschicken. Dann wurde ich nach Wien eingeladen, um mit Matthias Koeberlin eine Szene zusammen zu spielen. Es hat gleich geklickt, und ich habe mich sofort in ihn verliebt. Er ist ein toller, wacher, aufmerksamer Kollege, schon beim Casting. Nach ein paar Monaten kam dann die Zusage.

prisma: Wäre der Beruf der Kommissarin etwas, das Sie reizen würde?

Anna Werner Friedmann: Oh nein, dafür bin ich viel zu zart besaitet! (lacht) Außerdem bin ich zu empathisch und würde aus dem Weinen gar nicht mehr herauskommen.

prisma: Die Reihe spielt am Bodensee. Haben Sie eine besondere Verbindung zur Region?

Anna Werner Friedmann: Ich war als Kind mit meinen Eltern dort, aber daran kann ich mich nicht so gut erinnern. Jetzt habe ich für "Die Toten vom Bodensee" das zweite Mal dreieinhalb Monate dort verbracht und kann mir keinen schöneren Ort vorstellen, um in den Frühling reinzufeiern. Auch die Leute sind wahnsinnig lieb. Damit ist die Region ein wichtiger Teil meines Lebens geworden, auch wenn ich nach wie vor zwischen Wien und Berlin pendele.

Nach Covid der Wechsel zum Film

prisma: Sie haben mit 24 Jahren Ihren Abschluss an der Schauspielschule gemacht. Wie verbrachten Sie die Jahre zwischen Schule und Ausbildung?

Anna Werner Friedmann: Es gab nicht viel dazwischen. Man kann in Österreich eine Oberschule machen, die die Matura, also das Abitur, einschließt und gleichzeitig eine Berufsausbildung. Das dauert dann ein Jahr länger. Diesen Weg habe ich eingeschlagen und mich für Hotellerie und Gastronomie entschieden. Darum könnte ich jetzt ein Lokal eröffnen, wenn ich das wollte. Für mich war es wichtig, ein Standbein zu haben, außerdem wollte ich gern mein eigenes Geld verdienen. Ich mochte diese Unabhängigkeit, dass man in der Gastro überall auf der Welt arbeiten kann. Das habe ich in England getan und danach, so mit 16, 17 Jahren, in Frankreich, wo ich mich so in das Land verliebte, dass ich ein Jahr mit der Schule pausierte. Dann kam ich zurück und beendete mit 20 die Schule. Nach dem Vorsprechen an Schauspielschulen wurde ich mit gerade 22 in Berlin genommen.

prisma: Wie wäre es für Sie, einen Film auf Französisch zu drehen?

Anna Werner Friedmann: Puh ... sexy! (lacht) Es ist langsam ein bisschen eingerostet, aber wenn man eine Fremdsprache früh lernt, hat man ein Ohr dafür. Englisch würde mir leichter fallen, da besitze ich muttersprachliche Kompetenzen. Aber ich habe vor, einige Zeit nach Frankreich zu gehen und mein Französisch aufzubessern.

prisma: Wann war Ihnen klar, dass Sie Schauspielerin werden möchten?

Anna Werner Friedmann: Das war mir schon in meiner Kindheit klar. Ich habe früh angefangen, Shows für meine Eltern und Freunde zu machen, etwas zu inszenieren, zu spielen und mit meinen Freundinnen irgendwas auf die Beine zu stellen. Es wurde schnell deutlich, dass es mich ans Theater zieht und ich es genieße, zu unterhalten, und dass dieses Schauspieler-Gen in mir steckt. Eigentlich will ich auch lieber ans Theater, denn meine Leidenschaft bleibt die Bühne. Aber als Covid kam, machte ich den Wechsel zum Film. Das läuft glücklicherweise sehr gut und bringt viele Freiheiten. Wenn man dreht, kann man leben, wo man möchte, hat viel freie Zeit, um sein Leben zu leben. Das ist natürlich sehr verführerisch für eine Anfang 30-jährige, ledige Frau (lacht).

prisma: Ist wieder eine Theaterproduktion in Planung?

Anna Werner Friedmann: Ja, ich bin in Verbindung mit Leuten vom Theater, allerdings wäre das erst wieder für nach der nächsten Runde Drehen. Es ist gar nicht so einfach, wenn man viereinhalb Monate aufgrund von Dreharbeiten gar nicht auf der Bühne spielen kann. Ein Sommertheater wäre da von Vorteil, weil man da am Stück mehr spielt und danach frei hat. Dafür bin ich im Gespräch.

"Wenn keiner mehr hinschaut, ist alles wie vorher"

prisma: In der Doku "Gegen das Schweigen", in der ARD Mediathek zu sehen, berichten Sie und Kolleginnen und Kollegen vom Machtmissbrauch hinter den Kulissen bei Theater und Film. Hat sich durch die öffentliche Debatte und die #MeToo-Bewegung etwas im Umgang miteinander verändert?

Anna Werner Friedmann: Beim Film hat sich etwas getan. Ich habe dort fast nur mit Frauen gearbeitet, am Theater fast nur mit Männern. Man merkt, dass da ein anderes Gefühl ist, eine andere Offenheit, über Dinge zu sprechen und ernst genommen zu werden. Außerdem gibt es längst so genannte Intimacy Coaches beim Film. Die sind nicht nur dafür da, dass wir uns sicher fühlen, wenn wir Nackt- oder Vergewaltigungsszenen drehen. Es hilft auch, jemand Außenstehendes zu haben, der fragt: "Ist alles ok? Geht es dir gut damit?". Das ist wichtig, denn die Schauspielerei ist nicht nur ein Beruf, sie ist eine Berufung, für die wir uns gern mit Leib und Seele hergeben, aber manchmal auf Kosten des eigenen Wohlbefindens und der eigenen psychischen Gesundheit.

prisma: Wie ist es am Theater?

Anna Werner Friedmann: Dort ist es viel extremer, und es ist noch viel zu tun. Es gab so viele Skandale in den letzten Jahren, wo verschiedene Theater beleuchtet worden sind. Ich war selber an einem, dem Düsseldorfer Schauspielhaus, wo es auch einen großen Aufschrei gab wegen einer Rassissmus-Debatte.

prisma: Was passiert in diesen Häusern, wenn sie so so negativ in die Schlagzeilen geraten sind?

Anna Werner Friedmann: Meiner Erfahrung nach ändern sich nach einem solchen Aufschrei die Orte kurzfristig, man entschuldigt sich, und ein paar Jahre später, wenn keiner mehr hinschaut, ist alles wieder wie vorher, wenn nicht sogar schlimmer. Bei dem Regisseur, um den es in "Gegen das Schweigen" ging, war ich ja mit verantwortlich dafür, dass er gecancelt wurde. Momentan versucht er alles, mich dafür dissen zu lassen. Je mehr ich mit meinen Kolleginnen darüber spreche, desto mehr merke ich, dass das kein Einzelfall ist. Wenn man sich zu Wort meldet mit Gesicht und mit Namen, kriegt man sehr viele Retourkutschen, gerade von älteren weißen Männern, die es gewohnt sind, in einer gewissen Machtposition zu sein und machen zu können, was sie wollen.

prisma: Was kann Ihrer Meinung nach das Publikum tun, um dem Einhalt zu gebieten?

Anna Werner Friedmann: Da kann man ganz sicher etwas tun. Wer gerne ins Theater geht und sich informiert, liest ja auch über RegisseurInnen. Wenn man mitbekommt, dass gegen einen Regisseur oder eine Regisseurin derartige Vorwürfe erhoben werden, sollte man es sich verkneifen, in die Stücke zu gehen. Es war auch zu meiner Zeit am Theater so, dass RegisseurInnen mehr geschützt wurden als SchauspielerInnen. Das liegt daran, dass sich die Stücke verkaufen. Wenn allerdings die Zuschauer und Zuschauerinnen nicht mehr kommen, weil sie ein Problem damit haben, wie diese Leute arbeiten, dann werden sie auch nicht mehr besetzt. Solange das Haus voll ist, arbeiten sie weiter, denn im Endeffekt ist es immer noch eine Maschinerie, die Geld bringt.

"Es wird zu wenig aufgestanden"

prisma: Haben Sie heute ein anderes Standing, wenn jemand Ihnen gegenüber hinter der Bühne übergriffig wird?

Anna Werner Friedmann: Ich hatte immer eine direkte, impulsive und emotionale Art, damit umzugehen und es sofort öffentlich zu machen, schon zu meiner Zeit an der Schauspielschule. Da hieß es, man solle das nicht persönlich nehmen. Man wird also schon in der Ausbildung darauf hingetrieben, dass man solche Dinge über sich ergehen lässt, weil sie so oft passieren. Ich hatte damit immer ein Problem. Öffentlichkeit mit dem Druck durch Mehrheit ist meiner Ansicht nach der einzige Weg, wie man tatsächlich was erreichen kann. Ich würde es weiterhin so machen (lacht). Natürlich ist das nicht leicht, denn man muss in dieser Branche auch ein gewisses Spiel mitspielen, um weiterhin gewollt zu sein. Je schwieriger man ist, umso schwieriger bekommt man Jobs. Aber ich glaube, ich bin lieber schwierig mit weniger Jobs als unschwierig mit problematischen.

prisma: Die Rechnung scheint aufzugehen, im Moment läuft es ja sehr gut ...

Anna Werner Friedmann: Die Frage ist nur, wie lange noch. In den Machtpositionen am Theater sind immer noch Leute, die eher weniger Lust auf junge SchauspielerInnen haben, die sich auflehnen, weil es ein Getriebe ist, in dem sie keinen Sand haben wollen.

prisma: Gerade im Schauspielbereich gibt es unglaublich viele Bewerberinnen und Bewerber, dann wird halt jemand anderes genommen.

Anna Werner Friedmann: Genau das ist das Problem. Es gibt sehr viele sehr gute SchauspielerInnen, und das ist schön, weil ich finde, dass es etwas Tolles ist, wenn junge Menschen Interesse daran haben, sich mit der eigenen Emotionalität auseinanderzusetzen. Aber natürlich ist ein Konkurrenzdenken da, was auch von einigen Leuten gefördert wird. Das geht sehr gegen meine naive Traumvorstellung von dem, was ich mir von diesem Beruf wünsche, nämlich ein Miteinander, ein Geschichtenerzählen und ein Versuch, zu bewegen. Natürlich heißt es oft, wenn du nicht mitspielst, wirst du ausgetauscht, so schnell kannst du gar nicht schauen. Das spürt man, und das ist ein Risiko. Deswegen ist es so schwer, sich in diesem Beruf zu Wort zu melden, und darum verändert sich so wenig. Es wird zu wenig aufgestanden. Ich kann ein Lied davon singen, dass jemand, der das gewagt hat, die Konsequenzen tragen musste. Aber wenn es alle tun würden, gäbe es keine Konsequenzen.

Mit dem Camper in die Highlands

prisma: Kommt es in Ihrem Umfeld häufig vor, dass Leute deswegen ihren Traum von der Schauspielerei hinwerfen?

Anna Werner Friedmann: Ich kenne vier junge Schauspielerinnen, die nach dieser Erfahrung nach ein oder zwei Jahren am Theater aufgehört haben, weil es ihnen emotional zu viel abverlangt hat, sich dem zu stellen. Dabei leben wir eigentlich in einer Zeit, in der das nicht mehr nötig wäre. Aber es kommen neue Generationen, und ich merke, dass sich etwas tut. Ich glaube, dass eine gewisse Courage dabei ist, zu wachsen, die leider zu meiner Zeit an der Schauspielschule noch nicht da war. Das wird noch ein bisschen dauern. Gerade am Theater wird so viel Wert auf Tradition gelegt. Für meinen Fall kann ich nur in die Welt hinaus schreien, dass es anstrengend war, aber dass es das wert war.

prisma: Sie sagten, Sie hätten beim Dreh oft längere Phasen mit Freizeit. Wie erholen Sie sich von der Arbeit und allem, was Sie bewegt?

Anna Werner Friedmann: Das Lustige ist, wenn ich arbeite, gehe ich eine Reihe von Hobbys durch. Man ist zu erschöpft, um sozial zu bleiben, weil man so sozial arbeitet: Man spricht immer mit jemandem, irgendwer fummelt immer an einem herum. Sehr viel Kontakt also, und wenn ich dann fertig bin mit arbeiten, bin ich ganz froh, auch mal alleine zu sein. Beim letzten Dreh schaute ich dann Serien auf Netflix. Das wurde mir nach zwei Wochen zu fad. Also las ich obsessiv, drei Bücher in einer Woche, danach spielte ich ein paar Wochen lang mal wieder Gitarre. Dann kam das Malen, gleich mit Ölfarbe und mit großer Freude, aber, um ehrlich zu sein, auch Verzweiflung (lacht). Und schließlich bekam ich drei Wochen vor Ende des Drehs meine kleine Dackeldame Edna, die mir praktisch in den Schoß fiel und mich von da an ans Set begleitete. Solche Dinge machen das Leben bunt. Außerdem haben mich viele Freunde besucht, denn Bregenz ist ein wunderschöner Ort. Man kann auf den Berg rauf fahren und essen gehen und schwimmen. Man muss nur darauf achten, dass man genügend Schlaf kriegt.

prisma: Danach gibt es immer längere Phasen ohne berufliche Verpflichtungen ...

Anna Werner Friedmann: In der Zeit zwischen den Drehs ist es eine schöne Vorstellung, mal selber etwas auf die Beine zu stellen, wobei man niemandem unterliegt, mit KollegInnen, die man kennt. Außerdem reise ich wahnsinnig gerne oder bin bei meinen Eltern auf dem Land in Niederösterreich. Da kann man sehr gut seine Batterien wieder auffüllen. Ich fahre tatsächlich jeden Sommer mit meinem Camper-Van aufs Fringe-Festival nach Edinburgh, über Calais und Dover bis nach Schottland und bleibe dann den ganzen August dort. Dort pendele ich zwischen dem Festival und den Highlands. Das ist momentan mein Lieblingsreiseziel. Ich mag die Freiheit und liebe es, im Camper zu fahren.

prisma: Gibt es eine Art Wunschtraum, den Sie in Ihrem Leben gern verwirklichen würden?

Anna Werner Friedmann: (Überlegt) Ich würde tatsächlich sehr gern auch selber mal etwas am Theater produzieren, mit tollen Leuten in einer Arbeitsatmosphäre, die schön und fruchtbar ist. Das würde ich sehr gern mal erleben.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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