Maria Furtwängler in "Ausgebremst II"

"Ich fand es toll, das unartige Kind in mir rauszulassen"

28.05.2021, 19.07 Uhr
von Antje Rehse

Es ist ein trauriger 50. Geburtstag für Beate Harzer: Wegen der Corona-Pandemie muss sie ganz alleine in ihrer Fahrschule feiern, mit der Miete ist sie seit Monaten in Rückstand, ausgerechnet zum Jubiläum steht ihr Vermieter vor der Tür. Wie gut, dass die Fahrlehrerin zumindest als Seelsorgerin gefragt ist. Der ein oder andere Anrufer wird sich doch sicher für ihren Ratgeber "Die Fahrschule des Lebens - Mit Vollgas ins Glück" erwärmen, den sie im Lockdown geschrieben hat ...

Zum zweiten Mal gibt Maria Furtwängler die vom Schicksal gebeutelte Fahrlehrerin Beate Harzer. Die erste Staffel der Comedy-Serie "Ausgebremst" entstand während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Die zweite Staffel ist unter dem Namen "Ausgebremst II - Der 50. Geburtstag" nach der Premiere bei TNT Comedy nun im Ersten zu sehen. Die ARD zeigt alle sechs Folgen in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai (ab 0.50 Uhr). Die für viele Zuschauer*innen wohl attraktivere Option: Danach ist die zweite Staffel 30 Tage lang auch in der ARD-Mediathek abrufbar. 

Neben Maria Furtwängler übernehmen Monika Gruber, Thomas Loibl sowie Rauand Taleb und Johnny Brandenburg erneut ihre Rollen aus der ersten Staffel. Jasna Fritzi Bauer, Idil Baydar, Thelma Buabeng, Detlev Buck, Caro Daur, Ursula Karven, Carolin Kebekus, Jan Josef Liefers, Axel Milberg, Niclas Rohrwacher, Maximilian Schafroth, Arnd Schimkat, Rosalie Thomass und andere ergänzen den Cast. Erneut werden mit den Erlösen Kreative unterstützt, denen wegen der Pandemie die Einnahmen weggebrochen sind. 

Im prisma-Interview erklärt Hauptdarstellerin und Produzentin Maria Furtwängler, warum die Figur der Beate Harzer noch nicht auserzählt war, welche besonderen Herausforderungen der Dreh mit sich brachte und worauf man achten muss, wenn man eine unmögliche und politisch völlig unkorrekte Person spielt.

Was war zuerst da, Frau Furtwängler? Die Idee zur Serie oder Wunsch, die Kunstnothilfe zu unterstützen?

Maria Furtwänggler: Im März 2020 gab es diese für uns alle völlig neue Situation des Lockdowns. Wir haben uns gefragt: Was können wir machen mit dem brachliegenden Potenzial der Künstler*innen? Daraufhin entstand erst die kreative Idee, wie man ein Format entwickeln kann, das man trotz Corona drehen kann. Und dann gab es den Gedanken: Uns geht es gut, denn wir können drehen. Aber viele andere Künstler*innen können gar nicht arbeiten und hängen völlig in der Luft. Damals ahnten wir natürlich nicht, dass das noch über ein Jahr so weitergehen würde. Damals hat TNT sogar gesagt, das müssen wir irre schnell machen und schnell ausstrahlen, bevor die Pandemie zu Ende ist.

Die Pandemie hat uns bekanntlich noch deutlich länger beschäftigt.

Ja, und da hat es dann total Sinn und Spaß gemacht, zu sagen: Beate Harzer müssen und können wir nochmal weitererzählen in ihrem Wahnsinn. Im Grunde erlebt sie als Stereotyp all das, was wir auch kennen: Isolation – sie feiert sogar ihren 50. Geburtstag in totaler Einsamkeit –, ihre Corona-Angst, ihre finanziellen Sorgen. Und dann natürlich die Anrufer, die alle ein Stück Corona-Geschichte widerspiegeln. Zum Beispiel die Mutter, die plötzlich zu Hause mit den Kindern und ihrem Mann sitzt, die sie dann bekochen muss und in der völligen Überforderung landet. Oder auch der Sexarbeiter. Die haben in der Krise schließlich auch Schwierigkeiten. Diese unterschiedlichen Aspekte zu beleuchten, hat uns großen Spaß gemacht.

Viele Szenen bestehen aus Videocalls. Wie kann ich mir das ganz praktisch vorstellen? Läuft da parallel tatsächlich ein Videocall mit dem anderen Darsteller, so dass man aufeinander reagieren kann?

Absolut. Ich war sechs Tage lang eingesperrt in einer Fahrschule in München und war dort wirklich alleine. Ich hatte dieses Video-Programm vor mir und später auch eine Kamera. Und die anderen wurden von dort live zugeschaltet, wo sie grade waren. Das war natürlich herrlich unaufwendig für die Kolleg*innen und hat ihnen wahnsinnig viel Spaß gemacht. Ich glaube, diese Spielfreude sieht man dem Format auch an. Es war in jeder Hinsicht ungewöhnlich, sehr viel ist frei und improvisiert. Das Autorenteam um die wunderbare Annette Hess mit dem Writers Room von "Die Kinder vom Bahnhof Zoo" und Sebastian Colley, der viel für "Kroymann" schreibt, hat uns zwar einen Rahmen gegeben. Aber dann war viel spontan und improvisiert. Dazu diese sehr ungewöhnliche Konstellation, dass man sich nicht gegenüber steht, sondern das über Video macht. Das haben wir beibehalten, auch wenn man mittlerweile unter Einhaltung der entsprechenden Corona-Regeln quasi wieder normal drehen kann.

Warum?

Wir haben gemerkt, dass dieses Format mit den Einschränkungen, die wir hatten, auch einen gewissen Charme hat. Dass da etwas Neues entsteht, das aus Produzentensicht reizvoll ist: Wie reagiere ich auf Zwänge von außen und wie kann ich das kreativ umsetzen? Dieses Format ist quasi aus der Not entstanden, öffnet aber die Möglichkeiten, mit diesen sensationellen Kolleg*innen zusammenzuarbeiten. Der Cast ist der absolute Wahnsinn. Das hätten wir nie so hinbekommen, wenn das alles an einem Ort stattgefunden hätte.

Ist das denn trotzdem eine besondere Herausforderung? Gerade im Bereich Comedy kommt es sehr auf das Timing an und bei einer Videoschalte gibt es schon mal kleine Verzögerungen.

Die Verzögerung ist vernachlässigbar. Die Herausforderung besteht in der Improvisation, die dem einen mehr und dem anderen weniger liegt. Man macht natürlich nicht nur einen, sondern mehrere Durchläufe. Dabei entstehen verrückte Sachen. Ich fand es ehrlich gesagt toll, das unartige Kind in mir rauszulassen. Einem Impuls zu folgen, der unangepasst und nicht politisch korrekt ist. Beate Harzer ist eigentlich eine unmögliche Person, auch wenn sie uns zwischendrin auch leid tut in ihrer aussichtslosen Lage. Jan Josef Liefers hatte an seiner Rolle als schmieriger Life-Coach ebenfalls merklich Spaß, Axel Milberg als arbeitsloser Sexarbeiter auch und Caro Dauer hat sich als hippe Verlegerin toll in Szene gesetzt. Rosalie Thomass, selbst eine junge Mutter, hatte eigentlich gar keine Zeit, aber hat gesagt: "Diese Mutter muss ich spielen! Ich will diese Überforderung spielen, ich hab' so die Schnauze voll!" So hat sich dieses sensationelle Team auch noch mit Jasna Fritzi Bauer als durchgeknallter Prepperin oder Detlev Buck mit Hang zu den Freidenkern zusammengefunden.

In den Szenen mit ihrer "Schwester" Monika Gruber durfte auch Ihr bayerischer Heimatdialekt mal rauskommen.

Genau (lacht). So wunderschön wie die Moni spreche ich leider nicht. Normalerweise kann ich weder das Komödiantische, an dem ich große Freude habe, noch das Bayerische bei meiner Arbeit rauslassen. Diese Freiheiten habe ich in "Ausgebremst" gehabt. Toll war es auch, mit Carolin Kebekus zu spielen. Sie ist eine Kabarettistin, die ich sehr bewundere und die sichtlich Spaß hatte an ihrer Sozialphobikerin, die blöderweise beim Onanieren vergessen hat, die Videokonferenz zu beenden. Mit solchen Top-Leuten so etwas machen zu dürfen, ist ein großer Spaß. Dabei ist etwas entstanden, das komisch ist, aber auch viel mit unserer Zeit zu tun hat und das widerspiegelt, was viele erlebt haben.

Viel zu entdecken gibt es im Hintergrund der Videochats. Da findet man viele liebevolle Details, wenn man genau hinschaut. Hatten Sie da als Produzentin und Hauptdarstellerin ein Wörtchen mitzureden?

Wir hatten eine gute Regisseurin, die das mit ihrer Ausstatterin gemacht hat. Ich hätte mich auch einklinken können. Man muss aber eine Balance finden zwischen der Arbeit als Produzentin und der als Schauspielerin. Von der Idee bis zum Dreh hatten wir eben keine acht Jahre, sondern nur acht Wochen, das ist irrsinnig schnell. Und auf Improvisation muss man sich intensiv vorbereiten. Die ganze Welt von Beate Harzer mit ihrem Fahrschulwissen, ihren doofen oder klugen Weisheiten, die Idee, dass sie ein Buch geschrieben hat, die ganze Geschichte mit diesen Verkehrszeichen ... Das ist alles entstanden, als ich mich mit dieser Frau beschäftigt habe. Den Blick der Produzentin auf alles musste ich dann irgendwann abgeben an die Regie und mich auf meine Rolle konzentrieren.

Würden Sie denn die Einschätzung mancher Kolleg*innen teilen, dass Komödie schwieriger zu spielen ist als Drama?

Es ist eine Timing-Sache, die bei Improvisation natürlich auch viel mit Schnitt und Regie zu tun hat. Schwieriger? Ich weiß es nicht. Beides hat spannende Aspekte. Ich glaube, es ist insgesamt schwieriger, eine gute Komödie zu machen. Humor ist sehr verschieden und Menschen lachen über unterschiedliche Dinge. Beim Drama gibt es Dinge rund um Liebe und Verlust, auf die wir uns alle einigen können.

Ihre Figur Beate Harzer ist, Sie haben es eben schon angesprochen, eine unmögliche Person und bewusst überzeichnet: als Seelsorgerin denkbar ungeeignet und selbst ihrem eigenen Sohn gegenüber schon mal mehr als latent rassistisch ...

Ja, sie ist furchtbar! Der liebe Rauand Taleb musste sich in seiner Rolle einiges anhören.

... Inwieweit muss man da aufpassen, nicht zu überdrehen? Sowohl als Darstellerin als auch beim Drehbuch?

Wir haben sehr viel darüber diskutiert, das war total spannend. Mit Idil Baydar, die die neue Frau meines Serienmannes Thomas Loibl spielt, sind wir sehr genau durchgegangen, was geht und was nicht. Das war sehr interessant, denn wir glauben ja alle, dass wir woke sind und vor allem im feministischen Sinne sind wir das sicherlich. Aber es ist eben etwas anderes, wenn ich mir als ethnisch gesehen weiße Person vorstelle, wie das ist und was vor diesem Hintergrund lustig sein könnte, als wenn man selbst einen Migrationshintergrund hat. Es war sehr wichtig für uns, die Arme aufzumachen und mit Idil und Rauand Taleb, der meinen Sohn spielt, zu überlegen, wie man das erzählen kann. Ich glaube, man kann und darf eine unmögliche Person erzählen, die latent rassistisch ist, wenn das Gegenüber das spiegelt und zum Beispiel sagt: "Hey Mama, du spinnst wohl. Das ist total rassistisch."

Es gab übrigens eine Szene, da war meine Producerin sehr empfindlich. An einem Punkt sagt meine Figur Beate dem heulenden Mann eines Prepper-Pärchens: "Hör auf zu heulen, heulende Männer sind lächerlich." Das wollte meine Producerin unbedingt raushaben, weil es aus ihrer Sicht sogenannter Reverse Sexism ist. Ich habe es drin gelassen und interessanterweise fand meine Tochter es auch unmöglich. Und da merke ich: Siehste, schon wieder eine Generation weiter. Sie sagte mir, wenn wir als Frauen fordern, dass Schluss mit sexistischen Vorurteilen sein muss, dann dürfen wir das andersrum auch nicht machen. Natürlich wissend, dass Beate eine furchtbare Person ist, aber in dieser Szene wird ihr eben nicht der Spiegel vorgehalten. Es ist ein ewiger Dialog, denn wir wollen ja nicht nur noch woke, politisch korrekte Menschen zeigen. Grade in der Satire darf und muss man so eine Figur erzählen, aber eben nicht unwidersprochen.

Mit den Einnahmen aus der Serie werden Künstler unterstützt, die Kulturbranche hat bekanntlich unter der Pandemie besonders zu leiden. Einige Ihrer Schauspielkolleg*innen haben zuletzt durch eine kontroverse Kampagne auf die Probleme aufmerksam gemacht und die Coronapolitik kritisiert. Wie haben Sie die Aktion und das Echo auf "Alles dicht machen" wahrgenommen?

Ich maße mir da kein Urteil an.

Sie sind in der Serie auch Produzentin. 2017 haben Sie Ihre eigene Produktionsfirma gegründet. Hat sich Ihre Sichtweise auf das Film- und Seriengeschäft dadurch verändert?

Ich habe es mir nicht so schwer vorgestellt. "Ausgebremst" ist aber ein gutes Beispiel, dass es auch "leicht" gehen kann. Oft geht es beim Fernsehen, so sagt man, sehr behäbig zu und die Entscheidungsprozesse sind sehr langsam. Das war dank unserer sensationellen Partner bei TNT Comedy, allen voran Anke Greifeneder, und dem NDR mit Thomas Schreiber das krasse Gegenteil. Zwischen Idee und Dreh lagen wirklich nur acht Wochen. Dass es auch mal so gehen kann, ist aus produzentischer Sicht ein Glück. Ansonsten ist produzieren mühsamer als schauspielern (lacht). Es ist ein ganz eigener Beruf mit eigenen Anforderungen und eigenem Wissen. Ich mache derzeit auch alle Fehler, die man machen kann. Ich glaube, nur so lernt man. Ich bin sehr froh, dass ich damit angefangen habe, weil es den kreativen Horizont deutlich erweitert und mich aus dem Zustand des Wartens auf die richtige Rolle herausholt.

Können Sie verraten, ob weitere Projekte mit Ihrer Produktionsfirma geplant sind?

Wir haben viele Sachen in der Pipeline. Gerade haben wir einen Film abgedreht, den ersten "Tatort", den ich co-produziert habe. Jetzt geht es weiter und ich bin schon sehr gespannt, was kommt.

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