"Müllhalde der Sportgeschichte"

Felix Neureuther deckt im Ersten fiese Olympia-Lüge auf

26.02.2024, 16.34 Uhr
von Julian Weinberger

Früher galt Felix Neureuther als Deutschlands Skiheld. In dieser Doku untersucht der Ex-Sportler mit Blick auf die nächsten Winterspiele kritisch die Versprechungen des IOC.

Überdimensioniert, seelenlos, vergessen – das sind sicher keine Adjektive, die man im Organisationskomitee der Olympischen Winterspiele von 2026 in Italien gerne hört. Stattdessen verkaufte man das Großevent in Mailand und Cortina d'Ampezzo als die "nachhaltigsten, unvergesslichsten Winterspiele aller Zeiten". Doch die deutsche Ski-Legende Felix Neureuther lässt sich in der ARD-Dokumentation "Felix Neureuther – Spiel mit den Alpen" (ab sofort in der ARD Mediathek, Montag, 26. Februar, 20.15 Uhr, Das Erste) nicht täuschen, hört kritisch nach und entlarvt so manches leere Versprechen.

Schon 2006, also vor nicht einmal 20 Jahren, beherbergte Italien Gäste aus aller Welt, als in Sestriere und Turin die Olympischen Winterspiele 2006 stattfanden. Im verschlafenen Bergdorf Pragelato wurde sogar eigens ein Fluss umgeleitet, um Platz für die Skisprungschanzen zu machen. Heute ragen die Betonungetüme als verfallene Mahnmale in die Höhe. "Orte, wo Helden geboren wurden, liegen jetzt auf der Müllhalde der Sportgeschichte", fällt Neureuther sein hartes Urteil über die Sportanlagen, die aus Kostengründen schon drei Jahre nach Olympia stillgelegt wurden. "Benutzt und vergessen" sei die "Ruine" laut Umweltschutzaktivistin Bianca Elzenbaumer.

XXL-Baustelle in Antholz: Einstiger Biathlon-Wegbereiter klagt über "Schuldgefühle"

Vor der Kulisse der verwilderten und verwüsteten Anlagen befürchtet sie für die Spiele 2026 ein ähnliches Schicksal: "Mir macht Angst, dass man Strukturen hat, die die Natur verschandeln und viel Geld fressen." Für das Sport-Weltereignis sei man 2006 "gut genug" gewesen – "und dann war's das wieder", lautet Elzenbaumers Vorwurf. Dabei hätte die Region einen Anschub, ob in Sachen Kultur, Mobilität oder Nachhaltigkeit so bitter nötig gehabt, "damit die Jungen mal bleiben". Doch stattdessen habe es nun "eine tote Situation", klagt Elzenbaumer im Gespräch mit Felix Neureuther.

Doch nicht nur der Blick in die Vergangenheit, so zeigt es der eindrückliche Film von Georg Bayerle und Robert Grantner, stimmt nachdenklich. Für die Olympischen Winterspiele 2026 ziehen die Organisatoren erneut Wut und Unverständnis auf sich. Ihr Versprechen, bestehende Sportanlagen zu nutzen und von neuen, gigantomanischen Bauvorhaben abzusehen, hat sich längst in Luft aufgelöst. Trotz vieler Proteste wird eine 120 Millionen teure Bobbahn in Cortina d'Ampezzo aus dem Boden gestampft, die nach Olympia für 35 italienische Kaderathletinnen und -athleten in Bob und Skeleton zur Verfügung stehen wird – eine massive Unverhältnismäßigkeit.

"Widerstand ist zwecklos", hat Konrad Renzler, der 86-jährige Altbürgermeister von Antholz, mittlerweile resigniert. Wie auch Felix Neureuther ist der einstige Wegbereiter des Biathlon-Mekkas Antholz schockiert über den XXL-Umbau des Stadions vor Ort. Meterhohe Bagger, Kräne und riesige Erdhaufen zeugen von einem aufwendigen Bauvorhaben, das 50 Millionen Euro frisst – obwohl noch 2020 eine Biathlon-WM in Antholz abgehalten wurde, in jenem Stadion, das erst 2006 modernisiert wurde und nun abgerissen wird. "Ich habe fast ein bisschen Schuldgefühle", bekennt Renzler und spricht im Zusammenhang der vermeintlich "nachhaltigsten olympischen Spiele" vom "italienischen Bluff".

OK-Mitglied gibt zu: Umbau von Biathlon-Stadion für Olympia "nicht notwendig"

Vertreter des IOC schweigen indes in der Neureuther-Doku, angeblich "aus Zeitgründen", wie der einstige Slalom-Spezialist informiert. Immerhin: Mit dem Landeshauptmann von Südtirol, Arno Kompatscher, stellt sich ein Mitglied des Organisationskomitees den Fragen Neureuthers. "Wir haben es nicht geschafft, rechtzeitig zu erklären, was da stattfindet und warum es stattfindet", räumt der Politiker im Zusammenhang mit den Bauvorhaben rund um Olympia ein. Auch gibt er zu, dass der Ausbau des Antholzer Biathlon-Stadions auf "Wunsch der Betreiber" vorangetrieben worden sei, für die Olympischen Spiele "aber nicht notwendig" gewesen wäre.

An Trittbrettfahrer für "überdimensionierte Bauvorhaben" glaubt auch Luigi Casanova. Der Alpenschützer ist überzeugt: "Alle Regionen haben Infrastrukturprojekte hinzugefügt, die nichts mit den olympischen Spielen zu tun haben." Dabei sei der Lebensraum in den Alpen schon jetzt "extrem begrenzt". Casanovas Überzeugung ("Große Sportereignisse in den Alpen sind nicht nachhaltig") deckt sich mit der von Klimaforscher Georg Haser: "Großereignisse jeder Art sind massiv infrage zu stellen." Einzig CO2-neutral seien Olympischen Spiele in Zukunft vertretbar – eine Prognose, bei der Olympia-Fan Felix Neureuther in der 45-minütigen Doku sichtbar schlucken muss.

Die treffendste Bilanz in "Felix Neureuther – Spiel mit den Alpen" aber bleibt Roberta de Zanna vorbehalten. "Unser wahrer Reichtum sind nicht die Großevents, sondern unsere wunderschöne Natur, das Bergpanorama", ist die langjährige Gemeinderätin von Cortina d'Ampezzo überzeugt. "Wenn wir das zerstören, verlieren wir die einzige wichtige Sache, die wir in Cortina haben."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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