Stuttgarter "Tatort: Vergebung"

Stuttgarter Gerichtsmediziner wird zum "Tatort"-Stars

20.11.2023, 16.18 Uhr
von Eric Leimann

Im Stuttgarter "Tatort: Vergebung" musste Gerichtsmediziner Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) eine Wasserleiche untersuchen, die sich als enger Jugendfreund herausstellte. Weil Schauspieler Hartmann die Idee für den Fall hatte, steht seine Figur auch im Mittelpunkt. Es geht um die Frage: Wie ist es, wenn einem die eigene Jugend auf den Seziertisch gespült wird?

Im Fall, der auf zwei Zeitebenen spielt, erfährt man mehr über Daniel Vogt, den man bislang nur als schwäbelnden Rennrad-Asketen kannte. Doch worauf wollte der Retro-Fall hinaus? Wovon handelte das seltsame Gedicht am Anfang des Krimis? Und welche Gerichtsmediziner aus dem "Tatort" kennt man überhaupt?

Worum ging es im "Tatort: Vergebung"?

Dr. Daniel Vogt (Jürgen Hartmann) zeigte sich von einer aus dem Neckar gefischten Männerleiche seltsam berührt. Es handelte sich um seinen Jugendfreund Mathias Döbele (Volker Muthmann), zu dem er schon lange keinen Kontakt mehr gehabt hatte. Döbele, der einen Handwerksbetrieb in jener schwäbischen Gemeinde besaß, in der auch Vogt aufwuchs, starb durch Ertrinken. Aber ging er freiwillig ins Wasser, was Recherchen zu Döbeles Lebenssituation nahelegen könnte? Oder hat beim Tod jemand nachgeholfen?

Die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) bekamen am Anfang gar nicht mit, dass ihnen Vogt Informationen vorenthielt. Offenbar arbeitete der Gerichtsmediziner hinter den Kulissen an seinem eigenen Fall. Er führte ihn in seine alte Heimatgemeinde und zu den älter gewordenen Protagonisten von damals zurück, unter anderem zu Mathias' Witwe Sandra (Ulrike C. Tscharre).

Worum ging es wirklich?

Meta-Thema des "Tatorts" ist die Vergänglichkeit der Zeit und mit ihr des menschlichen Körpers – dargestellt in schönen Gegenschnitten zwischen der Leiche auf dem Mediziner-Tisch und einem jungen lebendigen Mathias (Xari Wimbauer) während der 80-er am Badesee. Diese Szenen gehören zu den stärksten des "Tatorts". Regelmäßige Zuschauer der Reihe wird der Fall an zwei andere Vergangenheits-Trips von Ermittlern erinnern, die in den letzten zwölf Monaten zu sehen waren.

Franken-Kommissar Fabian Hinrichs verlor sich in der Folge "Hochamt für Toni" (Juni 2023) ebenso in Jugenderinnerungen wie Mark Waschke in seinem bärenstarken Solostück "Das Opfer" (Dezember 2022). Beide Filme inszenierten die Vergangenheit mit jungen Darstellern nach und etablierten so eine zweite Zeitebene. Auch "Vergebung" spielt diese Nostalgie-Trumpfkarte, die darstellerisch und erzählerisch durchaus aufgeht.

Wer ist der "Gerichtsmediziner"?

Jürgen Hartmann wurde 1965 – tatsächlich – in Stuttgart geboren. Der 1,94 Meter große Lulatsch studierte Schauspiel an der renommierten "Hochschule für Musik und darstellende Kunst" in Hannover arbeite danach an vielen bekannten deutschsprachigen Bühnen: Hannover, Darmstadt, Basel, Weimar, Dortmund und Essen. Für seine Darmstädter Rolle als Liliom im gleichnamigen Theaterstück von Ferenc Molnár wurde er 1996 für den Preis "Schauspieler des Jahres" nominiert.

Seit 2008 verkörpert Hartmann den Gerichtsmediziner Daniel Vogt im Stuttgarter "Tatort". Überhaupt wird der Schwabe gerne für Rollen besetzt, in denen es um fachgerechte Mundart geht. Zum Beispiel im Auswandererfilm "Der Club der singenden Metzger" (2019) als Vater der von Jonas Nay verkörperten Hauptfigur oder in der schwäbischen Wirtschafts-Satire "Big Manni" (2018), in der es um den berühmten FlowTex-Skandal geht. Jürgen Hartmann lebt in Köln und Bochum.

Welche anderen "Tatort"-Gerichtsmediziner kennt man?

Der prominenteste Gerichtsmediziner des "Tatorts" ist natürlich Jan Josef Liefers als schnöseliger Prof. Dr. Dr. Karl-Friedrich aus Münster. Ebenfalls vertraut ist man mit dem markanten Glatzkopf Joe Bausch, der seit 25 Jahren den Gerichtsmediziner Joseph Roth im Kölner "Tatort" spielt – und nebenbei bis zu seiner Pensionierung ein echter Gefängnisarzt war: im Hochsicherheitsgefängnis Werl (bei Soest in NRW).

Auch der berühmteste echte Gerichtsmediziner Deutschlands, der Berliner Bestseller-Autor Michael Tsokos, hätte um ein Haar eine prominente Episoden-Rolle im Münsteraner "Tatort: Rhythm and Love" (2021) gespielt. Er sollte darin "die Koryphäe" verkörpern. Doch weil Liefers und Tsokos gemeinsam für die Gerichtsmedizin-Doku-Reihe "Die Obduktion" bei RTL+ vor der Kamera stehen, wollte der WDR für das Konkurrenzprodukt keine Werbung machen, weshalb die Szene weitgehend der Schere zum Opfer fiel.

Welches seltsame Gedicht hörte man am Anfang?

Jürgen Hartmann zitiert als (fast) Ertrinkender in der Eröffnungssequenz ein Gedicht, das mit den Worten "Jüngst im Traume sah ich auf den Fluten / Einen Nachen ohne Ruder ziehn" beginnt. Nachen ist übrigens der lyrische Begriff für ein kleines Boot. Das Gedicht heißt "Lethe" und wurde 1882 vom Schweizer Dichter Conrad Ferdinand Meyer (1825 bis 1898) geschrieben.

Es erzählt von einem Traum, in dem junge Leute auf einem Boot den Fluss entlang fahren und aus einer Schale trinken, einem Symbol für Freundschaft. Lethe ist ein Fluss der griechischen Mythologie, aus dem die Seelen der Verstorbenen trinken, um sich nicht mehr an ihr vorheriges Leben zu erinnern. Was sehr gut zu einem "Tatort" über alte Freundschaften – und ihr Vergessen – passt.

Wie geht es beim Stuttgarter "Tatort" weiter?

Der nächste Fall für Lannert, Bootz und Dr. Daniel Vogt wird der "Tatort: Zerrissen" sein. Er läuft voraussichtlich am 21. Januar 2024 im Ersten. Geschrieben wurde er von Sönke Lars Neuwöhner und Martin Eigler, die für das Stuttgarter Team zuletzt den herausragenden "Tatort: Der Mann, der lügt" beisteuerten – inszeniert von Martin Eigler, der auch jetzt wieder Regie führt.

Es geht um einen strafunmündigen Teenager aus kriminellen Verhältnissen, der wohl bei dem Überfall als Wachposten eingesetzt wurde. Können die Stuttgarter Ermittler den 13-Jährigen, der seiner Betreuerin und Sozialpädagogin gefallen will, auf ihre Seite ziehen?


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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