Stuttgart

"Tatort: Vergebung": Was verheimlicht der Rechtsmedizin?

19.11.2023, 09.06 Uhr
von Eric Leimann

Der aktuelle Fall im Stuttgarter "Tatort", wird ein sehr persönlicher für Gerichtsmediziner Daniel Vogt (Jürgen Hartmann). Die Leiche, die er auf den Obduktionstisch bekommt, ist ein Freund aus alten Zeiten. Doch Vogt scheint Informationen vor den Kommissaren Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) geheim zu halten. Es folgt ein Rückblick in die 80er Jahre. 

ARD
Tatort: Vergebung
Kriminalfilm • 19.11.2023 • 20:15 Uhr

Es ist manchmal ein hartes Los, das die "Tatort"-Ermittler der "zweiten Reihe" fristen. Gemeint sind damit Assistenten oder auch Gerichtsmediziner wie der schwäbelnde Lulatsch Daniel Vogt (Jürgen Hartmann), die hinter Chef-Ermittlern und Episoden-Hauptfiguren meist nur wenige Sätze und Szenen zum Film beitragen dürfen. Im neuen "Tatort: Vergebung" aus Stuttgart ist dies nun anders, was damit zu tun haben dürfte, dass Schauspieler Jürgen Hartmann, der den Gerichtsmediziner seit 2008 verkörpert, die Idee für den Fall hatte.

Rückblick in die Jugend

Eine Männerleiche wird aus dem Neckar gefischt. Dr. Daniel Vogt zeigt sich von ihr seltsam berührt. Es handelt sich um seinen Jugendfreund Mathias Döbele (Volker Muthmann), zu dem der Mediziner schon lange keinen Kontakt mehr hatte. Döbele, der einen Handwerksbetrieb in jener schwäbischen Gemeinde besaß, in der auch Vogt aufwuchs, starb durch Ertrinken. Aber ging er freiwillig ins Wasser, was Recherchen zu Döbeles Lebenssituation nahelegen könnten? Oder hat beim Tod jemand nachgeholfen?

Die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) bekommen am Anfang gar nicht mit, dass ihnen der Kollege Vogt Informationen vorenthält. Offenbar bearbeitet der Gerichtsmediziner hinter den Kulissen so ein bisschen seinen eigenen Fall. Er führt ihn in seine alte Heimatgemeinde und zu den älter gewordenen Protagonisten von damals zurück, zu denen auch Mathias' Witwe Sandra (Ulrike C. Tscharre) gehört. Immer wieder springt die Handlung dabei zurück in die 80er-Jahre. Eine Zeit, in der Mathias (jung: Xari Wimbauer) und Daniel (jung: Immanuel Krehl) viel Zeit mit ihrem gemeinsamen Freund Jonas (Jakob Rottmaier) verbrachten. Und auch Mathias' spätere Ehefrau Sandra, die nun mit Sohn Thomas (Tim Bülow) allein zurückbleibt, spielte damals schon eine Rolle.

Wie die Zeit vergeht...

Regelmäßige "Tatort"-Zuschauer wird der neue Stuttgarter Fall an zwei andere Vergangenheits-Trips von Ermittlern erinnern, die in den letzten zwölf Monaten zu sehen waren. Franken-Kommissar Fabian Hinrichs verlor sich in der Folge "Hochamt für Toni" (Juni 2023) ebenso in Jugenderinnerungen wie auch Mark Waschke in seinem bärenstarken Solostück "Das Opfer" (Dezember 2022). Beide Filme inszenierten die Vergangenheit mit jungen Darstellern nach und etablierten so eine zweite Zeitebene. Auch "Vergebung" lebt nun ein Stück weit von diesem Nostalgie-Move, der darstellerisch und erzählerisch durchaus aufgeht.

Drehbuchautor und Regisseur Rudi Gaul, der mit seiner Schreibpartnerin Katharina Adler schon für die starke Stuttgarter Folge "Videobeweis" (Januar 2022) verantwortlich zeichnet, beginnt seinen Film mit emotionsstarken Bildern eines toten Körpers. Daniel Vogt, der sonst so trockene Mediziner-Schwabe, erschaudert innerlich, als er seinen alten Freund auf dem Arbeitstisch hat und an ihm alte Narben und andere Erkennungsmerkmale findet, die er noch von früher aus gemeinsamen Tagen am Badesteg kannte. Ach, wie die Zeit vergeht! Und wie vergänglich nicht nur sie, sondern auch der menschliche Körper ist. Es sind Szenen und Gedanken wie diese, die zu den stärksten des neuen im Sommer spielenden Schwaben-Krimis zählen.

Wie gut kennt man den Kollegen wirklich?

Doch so vollends wollten sich die Kreativen wohl doch nicht auf die Nostalgieschiene einlassen. Auch profane Gegenwarts-Verdächtigungen der diesmal eher im Hintergrund agierenden Lannert und Bootz in Richtung Witwe und auch Daniel Vogt spielen eine Rolle. Als die Kommissare verstehen, dass ihnen ihr Kollege von der Rechtsmedizin immer nur jene Information preisgibt, die sich sowieso nicht mehr verheimlichen lassen, sind die Ermittler doch ziemlich irritiert. Was weiß man wirklich vom alleinstehenden Kollegen, mit dem man schon so lange zusammenarbeitet? Und welche Beziehung hat "Dani" Vogt, wie man ihn früher nannte, zur Witwe seines alten Freundes, die von der gebürtigen Schwäbin Ulrike C. Tscharre wie immer authentisch und sehr überzeugend verkörpert wird?

Ganz so stark wie der hochkonzentrierte Fall "Videobeweis", in dem es um das schwierige Themenfeld einvernehmlicher vs. erzwungener Sex im Rahmen einer Firmenfeier ging, ist "Vergebung", das von denselben Kreativen stammt, nicht. Dazu verliert sich die Geschichte in zu vielen unterschiedlichen Einzelaspekten. Es geht um Lebensbilanzen und -lügen, aber auch um Vertrauen unter Kollegen, alten Freunden und um die klassischste aller Krimifragen: Wer hat's getan? Gerade Letzteres wird mit der ein oder anderen routinierten Ideen zu viel abmoderiert, sodass die Krimi-Handlungsebene gegenüber Thema und Stimmung des Films ein bisschen abfällt. Dennoch ist "Vergebung" kein schlechter "Tatort" – auch dank der schönen Idee, einen Darsteller aus der zweiten Reihe mal in die erste zu holen.

Tatort: Vergebung – So. 19.11. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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