Doku bei Sky

Louis Theroux trifft den "Tiger King" Joe Exotic

von Eric Leimann

Im Lockdown-Frühling 2020 avancierte die Netflix-Dokuserie "Tiger King" über skurrile Privatzoo-Betreiber in den USA zum Mega-Hit. Nun untersucht Louis Theroux, einer der besten Dokumentarfilmer der Welt, das Medienphänomen "Joe Exotic".

Wer weder die amerikanische Trashkult-Figur Joe Exotic – der skurrilste aller skurrilen Privatzoobetreiber – noch Louis Theroux kennt, wird bei der anderthalbstündigen Sky-Doku "Louis Theroux: Shooting Joe Exotic" (ab 17. September exklusiv auf Sky Documentaries und Sky Ticket) erst mal auf dem Schlauch stehen. Ein Dokumentarfilm über die Hauptfigur eines Dokumentarfilms? Soll der schillernde Real Life-Star Joe Exotic, wegen versuchten Mordes und Tierquälerei schon in der Netflix-Doku-Zeit zu einer 22-jährigen Haftstrafe verurteilt, etwa anders gezeichnet oder gar rehabilitiert werden?

Doch der Reihe nach: Die Netflix-Dokuserie "Tiger King", im deutschen Angebot unter dem Titel "Tiger King: Großkatzen und ihre Raubtiere" vertrieben, stellt in acht Folgen von etwa 40 Minuten jenes Amerika vor, das man vor dem Sturm aufs Capitol durch Trump-Anhänger für eher randseitig und nur schwer zu finden glaubte. Es geht um teils schwer bewaffnete Privatzoobetreiber, die sich wie Gurus kleiden und benehmen, die mit Jünger-artigen Anhängern ein privates Königreich geschaffen haben und begeisterten Amerikanern viel Geld aus der Tasche leiern, damit diese mit Tigerbabys schmusen und spielen können oder eben Protagonisten wie Joe Exotic beim Ringen und Rumtoben mit riesigen Raubkatzen im engen Sitzkreis beobachten können.

Bei Netflix hatte das Programm absurd hohe Abrufzahlen und erreichte im Frühjahr 2020 fast ebenso viel Publikum wie "Stranger Things", einer der erfolgreichsten fiktionalen Netflix-Serien überhaupt. Offenbar fühlten sich auch die Streamingdienst-Zuschauer ein wenig wie jene Zoobesucher der Doku. Man konnte nicht glauben, was man sah und musste doch weiter hinsehen, dabei sein, staunen. Nicht zu vergessen, die True Crime-Story des Ganzen. Joe Exotic, ein in schwuler Polygamie lebender Mann im Fantasy-Ranger-Outfit, fand in Tierrechtlerin Carol Baskin seine Erzfeindin. Eine, auf die er angeblich Auftrag-Killer ansetzte, weswegen – neben den Tierquälerei-Anklagepunkten – die Verurteilung erfolgte. Doch auch dieser Aspekt der Geschichte war bereits Teil der Netflix-Doku.

Nun kommt Louis Theroux ins Spiel, einer der renommiertesten – und spannendsten – Dokumentarfilmer der Welt. Der 1970 geborene Journalist, vor allem für die BBC aktiv, hat sich seit Ende der 90-er mit Doku-Reihen wie "Louis Theroux – Ein abgedrehtes Wochenende", "When Louis Met ..." oder "Amerika Extrem" einen Namen gemacht. Seine Methode: der Mut zu sehr kontroversen Themen, große Nähe zu seinen Protagonisten – bei denen er gern mal einzieht – bei gleichzeitig sehr sauberer journalistischer Arbeitsweise. Schon 2011 besuchte Theroux den damals noch weniger bekannten "Tiger King" in seinem Privatzoo in Oklahoma, um ihn für seine Doku-Reihe "Achtung Tiger!" zu filmen.

Für "Louis Theroux: Auf den Spuren von Joe Exotic" hat sich der Filmemacher sein umfangreiches Rohmaterial von vor zehn Jahren noch einmal angeschaut und aus heutiger Sicht analysiert. Wer ist dieser schillernde Charakter Joe Exotic? Warum wirkt er so auf die Menschen? Und was machte er damals mit Theroux selbst, der irgendwann nach einem Streitgespräch mit dem Wildtierhalter selbst darum bat, ihn umarmen zu dürfen?

Natürlich bleibt Theroux nicht bei der Analyse des Altmaterials stehen, sondern er reist noch einmal in die Südstaaten (der Zoo ist seit August 2020 geschlossen), spricht mit ehemaligen Mitarbeiten, Freunden und Gegnern von Joe Exotic, sucht schwer aufzuspürende Familienmitglieder auf und zeichnet dabei das Bild eines Mannes, dessen Biografie für ein Dutzend Abenteuer oder zwei Dutzend Hollywood-Filme Stoff liefern könnte.

Zwar ist "Louis Theroux: Auf den Spuren von Joe Exotic" nicht ganz so faszinierend anzuschauen, wie das Netflix-Original, das auf viele spektakuläre Mensch-Tier-Szenen setzt – trotzdem hat auch dieser Film seine Berechtigung. Befreit vom Spektakulären, das die XXL-Netflix-Doku bietet, bleibt ein psychologisch wie journalistisch sehr fein gedrechseltes Psychogramm zurück, das ebenso fasziniert wie verstört – und den Menschen Joe Exotic von einer etwas nüchternen, aber keineswegs weniger schillernderen Seite beleuchtet, als es das Netflix-Erfolgsprogramm tat. Wer tiefer in die Psyche dieses Mannes einsteigen will – und auch in die seiner Antagonistin Carol Baskin – wird hier fündig.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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