Wiederholung im BR

"Oktoberfest 1900": alle Folgen an einem Abend

von Julian Weinberger

Das Oktoberfest fällt auch in diesem Jahr aus, doch es gibt einen kleinen Trost: Das BR Fernsehen wiederholt die sehenswerte ARD-Serie über die Ursprünge des Festes mit Verbrechen, Machtkämpfen und Intrigen.

BR
Oktoberfest 1900
Serie • 11.09.2021 • 20:15 Uhr

Bis das Oktoberfest in München abgesagt wird, muss einiges passieren. In 211 Jahren Historie der weltbekannten Sause taten der Feierlaune einzig Kriege, Cholera und die Inflation in den 1920er-Jahren Abbruch – aufs Oktoberfest war Verlass. Bis das Coronavirus die Welt überrollte und eine Wiesn nicht nur 2020, sondern auch in diesem Jahr unmöglich machte. Immerhin ein kleiner Trost: Mit der Wiederholung der sechsteilige Serie "Oktoberfest 1900" blickt das Bayerische Fernsehen nicht nur in die Vergangenheit des Volksfestes, sondern lässt auch das pulsierende München um die Jahrhundertwende aufleben.

Bis einander jedoch vor dem Fernseher zugeprostet werden darf, um dem historischen Oktoberfest beizuwohnen, geht einige Zeit ins Land. Regisseur Hannu Salonen lässt seinen Drehbuchautoren Ronny Schalk ("Dark") und Christian Limmer viel Raum zur Charakterzeichnung, was sich mit zahlreichen ambivalenten Rollen bezahlt macht. Besonders Mišel Matičević, der bereits in "Babylon Berlin" den charismatischen Bösewicht gab, stiehlt als fränkischer Bierbaron Curt Prank allen die Show. Moralisch korrumpiert, größenwahnsinnig und ohne Rücksicht auf Verluste will sich der Nürnberger Brauer seinen großen Traum erfüllen: eine "Bierburg" auf der Wiesn mit Platz für 6.000 Gäste.

Dafür ist es ihm ein willkommenes Mittel zum Zweck, dem blasierten Widerling Anatol Stifter (Maximilian Brückner) die Hand seiner hübschen Tochter Clara (Mercedes Müller) zu versprechen. Die junge Dame hat jedoch ihren ganz eigenen Kopf – sehr zum Leidwesen Colina Kandels (Brigitte Hobmeier), die auf Geheiß Pranks auf Clara aufpassen soll. Unter der Machtgier des Wiesnvisionärs zu leiden hat aber vor allem die alteingesessene Brauerfamilie Hoflinger um Patriarch Ignatz (Francis Fulton-Smith) und seine Ehefrau Maria (Martina Gedeck).

Wirtschaftlich stehen die Hoflingers mit dem traditionellen Deibel Bräu in Giesing mit dem Rücken zur Wand. Hohe Schulden nehmen der Familie die Luft zum Atmen, einzig der Budenplatz auf der Wiesn gibt Anlass zur Hoffnung. Auch intern kriselt es: Der älteste Sohn der Famlie, Roman (Klaus Steinbacher), will expandieren und auch Bier in Flaschen verkaufen, um mehr Kunden zu erreichen. Für Familienoberhaupt Ignatz kommt dieses Aufbegehren einem Affront gleich. Der sensible Feingeist Ludwig (Markus Krojer) träumt hingegen von einer Ausbildung an der Kunstakademie, statt in der Familienwirtschaft hinter dem Tresen zu stehen – erst recht, nachdem ihm der Schwabinger Maler Gustav Fierment (Vladimir Burlakov) den Kopf verdreht.

Von der ARD als "High-End-Serie auf internationalem Niveau" angepriesen, wird "Oktoberfest 1900" den hohen Erwartungen in der Tat gerecht. Dank großartiger Kulissen – die Wiesn wurde auf einem alten Prager Güterbahnhof nachgestellt – und einem stimmigen Kostümbild fühlt man sich in die Zeit um die Jahrhundertwende zurückversetzt. Dann kontrastieren pompöse Stadtvillen mit Springbrunnen im Garten, dekadenter Empfangshalle und brav arbeitendem Hauspersonal mit den schmutzigen Gassen des Arbeiterviertels Giesing und dem avantgardistischen Gebaren der Schwabinger Bohème bei ihren Partys in schmucken Altbauwohnungen.

Aufgebrochen werden die Rollenbilder der bodenständigen Giesinger und exaltierten Schwabinger schließlich durch die Hoflinger-Brüder: Während sich Roman ganz in der Tradition von "Romeo und Julia" in die scheinbar unerreichbare Clara verliebt, entdeckt Ludwig sich und seine Sexualität in der Kunstszene Schwabings. "Wir haben alles, was damals politisch oder im Kunstbereich Münchens interessant war oder die Großfamilien, das Magistrat und das liberal-republikanische Dasein anging, recherchiert und daraus unsere Geschichte entwickelt", beschrieb Drehbuchautor Ronny Schalk die Genese der Serie bei einem Settermin im vergangenen Jahr.

Reale Personen waren Vorbilder für Figuren

Auch in der Figurenzeichnung ließ man sich von realen Vorbildern inspirieren. Als Vorlage für Curt Prank diente der Nürnberger Wiesnwirt Georg Lang, der 1898 das erste Mega-Bierzelt errichtete und mit dem "Prosit der Gemütlichkeit" auch musikalisch seine Spuren hinterließ. Das Biermadl Colina Kandl, überzeugend verkörpert von der Münchner Schauspielerin Brigitte Hobmeier, ist angelehnt an das Leben von Coletta Mörlitz, die anno dazumal als erstes bayerisches Pin-up-Girl von sich reden machte.

Dieses Zusammenspiel aus historischer Genauigkeit, künstlerischer Freiheit und einem Füllhorn an gesellschaftlichen Reizthemen der damaligen Zeit zeichnet "Oktoberfest 1900" aus. Sein Übriges tut der gekonnt getimte Wechsel zwischen Genreelementen: Neben klassischem Familien- und Historiendrama finden sich mit zahlreichen Aufnahmen nebelverhangener Gassen auch Kennzeichen des Film noir. Hinzukommen explizite Gewaltexzesse in der Tradition des Gangsterdramas, die trotz ihrer Drastik die Handlung vorantreiben und nicht nur zum Selbstzweck inszeniert sind. "Der Film muss nach etwas schmecken, nach etwas riechen, man muss das Derbe spüren", betonte Hannu Salonen. Ziel erfüllt.

Zu wütenden Protesten führte die Darstellung in der Serie hingegen bei den heutigen Wiesnwirten. Dem Bierkrieg, den Prank in der Inszenierung gegen die alteingesessenen Münchner Brauer führt – samt Intrigen und ohne moralischen Skrupel, schrieb Christian Schottenhamel 2020 gegenüber der "Bild" "rufschädigendes" Verhalten zu. Ähnlich sah es Wiesn-Chef Clemens Baumgartner, der urteilte: "Ein Oktoberfest nur auf ein machtbesessenes Milieu zurückzudrehen, um Publikum zu generieren, ist total daneben und unverfroren."

Der BR zeigt alle sechs Folgen von "Oktoberfest 1900" an einem Abend. Nach den ersten beiden Episoden, die ab 20.15 Uhr gezeigt werden, folgen ab 22.20 Uhr die vier weiteren Folgen am Stück.

Oktoberfest 1900 – Sa. 11.09. – BR: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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