AnnenMayKantereit

"Das Privatleben hat sich auf jeden Fall verändert"

von Mathis Raabe

    Mit "Alles nix Konkretes" wurden AnnenMayKantereit 2016 über Nacht zur deutschen Rock-Sensation. Vor der Produktion des neuen Albums legte die Band dann eine einjährige Pause ein. Warum, erklärt Schlagzeuger Severin Kantereit im Interview.

    "Die Vögel scheißen vom Himmel": Mit dieser eigenwillig poetischen Zeile beginnt "Schlagschatten", das neue Album von AnnenMayKantereit. Es tut den vier Jungs aus Köln gut, dass sie auch auf saubere Sprache sprichwörtlich scheißen: So grenzen die Straßenmusiker, die 2016 mit "Alles nix Konkretes" ganz plötzlich zu Pop-Stars wurden, sich vom Gros des kommerziell erfolgreichen Kitsch in deutscher Sprache ab. Schlagzeuger Severin Kantereit (26) hat schon ein paar Jahre nicht mehr in Fußgängerzonen getrommelt, als er in Berlin zum Interview erscheint.

    prisma: Obwohl Ihnen der Ruf einer leidenschaftlichen Live-Band vorauseilt, haben Sie jetzt fast ein ganzes Jahr Pause hinter sich. Dabei könnte man vermuten, AnnenMayKantereit wäre eine dieser Bands, bei denen auf Tour schon das halbe nächste Album entsteht.

    Severin Kantereit: Es kommt ununterbrochen von jedem Output, und alle probieren sich aus. Davon landete aber nicht viel auf dem Album. Es war uns wichtig, nach so langer Zeit auch mal wieder nur im Proberaum zu sein und einen Alltag zu haben. Wir waren ja in den letzten Jahren ständig unterwegs. Ein wichtiger Impuls war aber vor allem, dass wir im April zusammen in den Urlaub nach Tel Aviv geflogen sind. Es tut uns immer gut, woanders zu sein und in einer Umgebung Musik zu machen, wo man uns nicht kennt und wo wir einfach mal in einem Café sitzen und über Texte quatschen können.

    prisma: Nehmen Sie von solchen Reisen auch musikalische Einflüsse mit?

    Kantereit: Es ist schwer zu sagen, wo die Einflüsse herkommen. Natürlich gibt es Momente, in denen jemand ein neues Album sehr oft hört. Der größte gemeinsame Nenner sind immer die Beatles, auf die wir uns alle einigen können. Das Spannende an einer Band ist aber auch, dass meistens nicht alle die gleiche Musik gut finden und dass man sich auch auf Sachen von anderen einlassen muss.

    prisma: Auf dem neuen Album gibt es den Song "Ich geh heut nicht mehr tanzen". Können Sie denn noch tanzen gehen, ohne belästigt zu werden?

    Kantereit: Das Privatleben hat sich auf jeden Fall verändert. Wir wohnen alle in Köln, das ist da ohnehin wie in einem Dorf. Auch wenn du nicht in der Öffentlichkeit stehst, gehst du raus und kennst irgendwie alle, weil man immer in dieselben Läden geht. Manchmal ist das aber auch nur im Kopf. Dann sitze ich an der Bar oder in der Bahn und denke, da guckt jemand komisch, weil er mich erkennt, aber eigentlich erkennt mich kein Arsch. Wir haben trotzdem alle eine entspannte Art, damit umzugehen. Ich stelle mir das härter vor, wenn du irgendein Comedy-Dude bist, über den sich dann lustig gemacht wird. Bei uns ist es eher respektvoll – meist bekommen wir einfach Komplimente für unsere Musik.

    prisma: Sie haben im Rahmen der "AnnenMayKantereit & Freunde"-Aktionen auch schon mehrfach genreübergreifend gearbeitet, zum Beispiel mit SXTN oder mit Audio88 & Yassin. Was für Reaktionen gab es da?

    Kantereit: Das meiste Feedback bekommt man über Kommentare bei YouTube, aber ich habe auch im Bekanntenkreis nachgefragt. Freunde sind oft die ehrlichsten Kritiker, und ich war überrascht, wie gut diese Kollaborationen ankamen. Es war eben auch schön, dass die einzelnen Beteiligten alle Bock hatten. Das war dann oft eine spannende Mischung: Bei einer 1-Live-Session etwa kamen SXTN rein, während Wolfgang Niedecken gerade seinen Soundcheck machte, und riefen: "Ey, darf man hier drinnen kiffen?" Da entstand einfach eine lustige Dynamik.

    prisma: Seit Ihren Anfangstagen posten Sie regelmäßig Videos bei YouTube. Was bedeutet Ihnen dieses Medium?

    Kantereit: Damit hat alles angefangen. Bei YouTube hatten wir die Möglichkeit, mit einem Kumpel ohne fremde Hilfe ein Video zu machen, das hochzuladen und zu gucken, was passiert. Wir haben dann geprüft, wo die Aufrufe herkamen und festgestellt: Hey, wir haben viele Klicks aus Berlin! Dann habe ich nächtelang irgendwelche Bars dort angerufen, bis eine von fünfzig zugesagt hat. Dann fuhren wir ins Laika in Neukölln und spielten dort unseren ersten Berlin-Gig. Für uns war es der Wahnsinn, dass 50 Leute da waren, obwohl wir die Stadt vorher noch nie zusammen besucht hatten.

    prisma: Analysieren Sie Medien-Statistiken immer noch?

    Kantereit: Absolut. Das war auch der Grund dafür, dass wir das einzige Konzert während unserer Pause in Istanbul spielten. Man kann ja sehen, woher die Follower kommen, und bei uns steht Istanbul wirklich an zweiter Stelle nach Berlin. Als das Album fertig aufgenommen war, entschieden wir also, noch ein kleines Abenteuer zu unternehmen. Unser Manager suchte einen kleinen Laden aus, und dann standen dort schon mittags Leute vor der Tür und abends vor dem Konzert fast 2.000 Menschen auf der Straße. Der Laden war für 100 Leute ausgelegt, und wir waren relativ überfordert. Wir werden auf jeden Fall wieder hinfahren und das dann etwas organisierter angehen.

    prisma: Das Debütalbum nahmen Sie noch mit dem legendären Produzenten Moses Schneider in den nicht minder legendären Hansa Studios auf. Für "Schlagschatten" zogen Sie nun mit Markus Ganter in ein spanisches Dorf, um dort aufzunehmen. Warum war dieser Tapetenwechsel nötig?

    Kantereit: Wir wollten das Album nicht an einem Ort aufnehmen, den wir schon kennen. Die Kriterien waren gutes Wetter und ein kleiner Ort, an dem auch sonst keine Musik gemacht wird, damit man wirklich nicht weiß, was passiert. In diesem Dorf wohnen fünf Leute – und wir kamen dann mit einem zwölfköpfigen Team. Wir haben aus diesem Ort dann eine richtige Spielwiese gemacht. Das Wohnzimmer bauten wir zum Studio um, wir arbeiteten aber auch in der Umgebung. Für "Sieben Jahre" bin ich zum Beispiel mit allen Musikern einzeln in ein Waldstück gegangen, um sie mit Laptop und Interface aufzunehmen. Wir haben uns von der Idee gelöst, dass es immer die krasseste Studioqualität sein muss. Es geht eher um die Songs und um eine Gefühl – und das funktioniert an so einem Ort viel stärker als in den dunklen Hansa Studios im winterlichen Berlin.

    prisma: Es wurde oft kritisiert, dass man bei AMK keine politischen Statements findet. Mit dem neuen Album und insbesondere mit dem Song "Weiße Wand" hat sich das geändert, aber in einer sehr persönlich geprägten, ambivalenten Form. Da heißt es: "Ich bin jung und weiß in 'nem reichen Land".

    Kantereit: Wir sind politische Menschen und haben immer, auch vor diesem Album, darüber nachgedacht, wie wir das auf unsere Art ausdrücken können. Um das in die Musik einfließen zu lassen, muss man aber von sich selbst ausgehen – und uns ist eben auch bewusst, dass wir vier weiße Jungs sind, die in Deutschland groß wurden und schon mit ihrer Geburt privilegiert waren. Für "Weiße Wand" wurde viel herumexperimentiert. Wir wollten nicht mit dem Finger zeigen und auch keine allgemeinen Slogans wie "Nazis raus" oder "AfD ist scheiße" verwenden. Das finde ich zu einfach.


    Quelle: teleschau – der Mediendienst

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