Carin C. Tietze im Interview

Machen sozialkritische Dramen die Welt tatsächlich besser?

von Eric Leimann

Carin C. Tietze ist 1964 in Denver geboren. Sie absolvierte ihre Schauspielausbildung in New York, lebt aber schon lange in Deutschland. Mit dem Drehbuchautor und Regisseur Florian Richter hat die bekannte Synchronstimme (Juliette Binoche, Robin Wright) zwei so gut wie erwachsene Kinder.

Für ihre Rolle in der ARD-Komödie "Der Nesthocker" (Freitag, 14.12., 20.15 Uhr, ARD) ist die 54-jährige Münchenerin also prädestiniert. Privat hat Tietze allerdings eine andere Einstellung als ihre Filmfigur, die ihr Leben mit dem 27-jährigen Sohn in symbiotischen Gemeinschaft verbringt. Im Interview spricht die Schauspielerin über ihre Ansichten zum Thema Erziehung und macht sich tiefsinnige Gedanken über die Vorzüge von romantischen Komödien.

prisma: "Der Nesthocker" ist eine Mixtur aus romantischer Komödie und Familien-Thriller. Eine reizvolle Mischung?

Carin C. Tietze: Ich finde alles reizvoll, was nicht so leicht zuzuordnen ist. Der Film beginnt als romantische Geschichte mit einem Mann (gespielt von Francis Fulton-Smith, d. Red.), den man nicht im klassischen Sinne als attraktiv bezeichnen kann. Mir gefiel, dass ich eine Frau spiele, der dieser Typ wahnsinnig gut gefällt (lacht).

prisma: Aus der romantischen Geschichte wird bald eine Art Familien-Horrorfilm, weil der erwachsene Sohn die Beziehung torpediert.

Carin C. Tietze: Ja, das ist das andere Thema des Films. Er nimmt die Generation der "Nesthocker" und "Helikoptereltern" aufs Korn. Ich habe selbst zwei Kinder, 17 und 22 Jahre alt. Sie werden gerade flügge, wohnen aber derzeit noch zu Hause. Insofern kann ich gut mitreden.

prisma: Ist es heute so, dass Kinder später – und dann auch nur ungern – das Elternhaus verlassen?

Carin C. Tietze: Ja, ich habe das Gefühl, dass es so ist. Gerade in großen, teuren Städten wie München wohnen Kinder wieder länger daheim. Für viele Familien ist es auch eine finanzielle Frage, ob man sich noch WG-Zimmer für ein oder zwei Kinder leisten kann. Während des Studiums müssen Kinder vielleicht auch noch anderweitig finanziell unterstützt werden. Früher hat man parallel zum Studium gejobbt. Heute sind viele Studiengänge so stressig, dass man nicht mal eben noch Geld nebenher verdienen kann.

prisma: Sollten Kinder, wenn es irgendwie geht, früh daheim ausziehen?

Carin C. Tietze: Ich bin absolut dafür, dass Kinder recht bald nach der Schule flügge werden. Letztendlich ist es doch unsere Aufgabe als Eltern – die Kinder in die Unabhängigkeit zu führen. Wenn junge Erwachsenen selbständig ein glückliches Leben führen können, habe ich als Mutter oder Vater das Maximum erreicht.

prisma: Wie ist es bei Ihnen – steht der Auszug der Kinder unmittelbar bevor?

Carin C. Tietze: Mein Sohn ist 17 und macht jetzt das Abi – da muss man mal sehen, was danach kommt. Meine große Tochter hat etwas anderes ausprobiert und wollte dann doch noch mal das Abitur nachholen. Deshalb ist sie auch erst jetzt erst mit der Schule fertig geworden. Aktuell wird geschaut, was jetzt passieren soll. Das ist der nächste Schritt – und dann: Raus mit euch (lacht)!

prisma: Ihr Lachen klingt ein bisschen wehmütig, aber mehr noch nach Freude auf die Zeit danach ...

Carin C. Tietze: Ich freue mich ebenso auf die Zeit danach, wie meine Kinder. Es passieren ja spannende, neue Sachen.

prisma: Trotzdem gibt es ja auch das "Empty Nest"-Phänomen. Eltern schlittern in die Lebenskrise, wenn ihre Aufgabe der Nachwuchspflege plötzlich wegfällt.

Carin C. Tietze: Mein Mann und ich sind, glaube ich, eher Kandidaten für das Gegenteil. Wir hatten 2018 diesen Mega-Sommer – und eben kaum noch Verpflichtungen zu Hause für unsere Kinder. Wir kamen uns vor, als wären wir wieder 16. Wir fuhren mit der Vespa in die Eisdiele und verbrachten lange, endlose Sommerabende draußen. Einmal sind wir morgens um halb vier mit dem Stand-Up-Paddle aus der Kneipe heimgeschifft. Es war herrlich.

prisma: Fanden Sie es schwierig, Ihre Partnerschaft wieder neu zu entdecken, nachdem man als Eltern über lange Jahre eher eine logistische Funktionseinheit ist?

Carin C. Tietze: Man muss sich schon während dieser Zeit Auszeiten als Paar gönnen, damit man in Kontakt bleibt. Wir sind allerdings beide Freiberufler, die sich das ohnehin schon immer organisieren konnten. Das romantische, liebevolle Miteinander, während zwischen dem Partner und einem selbst ein zehn Jahre währendes Bobby-Car-Rennen stattfindet, ist eine durchaus sportliche Aufgabe.

prisma: Welches Rezept haben Sie, damit so etwas auch anderen gelingt?

Carin C. Tietze: Es gibt kein Rezept. Man muss es wollen. Mein Mann und ich haben nicht nur gemeinsam oder nebeneinander daheim gearbeitet, wir verbrachten auch meist gern unsere Hobbys gemeinsam. Das ist natürlich etwas anderes, als wenn einer fünf Tage die Woche weg ist und am Wochenende noch am liebsten mit seinen Kumpels Fußball spielt oder zum Golfen geht. Vielleicht hatten wir einfach Glück, weil es bei uns gepasst hat.

prisma: Welche Art von Fürsorge brauchen erwachsene oder fast erwachsene Kinder?

Carin C. Tietze: Eine lange, lange Leine. Die aber trotzdem noch irgendwie da ist. Vielleicht sollte man besser sagen: Sie brauchen eine Verbindung. Die Pubertät verändert eine Eltern-Kind-Beziehung dramatisch. Es gibt Kinder, bei denen in der Pubertät sämtliche Sicherungen durchknallen. Sie können aber nichts dafür Es ist einfach Biologie. Man darf als Eltern auf derlei Phänomene nicht besserwisserisch oder aggressiv reagieren. Man darf auch pubertierende Kinder mit ihren Impulsen und Nöten nicht lächerlich machen. Man kann sie aber darauf aufmerksam machen, dass sie lustig sind (lacht). Das sind ein paar Sachen, die ich gelernt habe.

prisma: Muss man sich als Erwachsener in dieser Rolle verstellen?

Carin C. Tietze: Es ist vielleicht eine Sache der Einstellung und Reflexion. Die Pubertierenden können nichts dafür, dass sie so fürchterlich drauf sind. Man muss dennoch versuchen, mit heranwachsenden Kindern auf Augenhöhe zu reden, ohne dabei altersklug sein zu wollen.

prisma: Kommen wir auf Ihren Film zurück. Sind Sie ein Fan romantischer Komödien?

Carin C. Tietze: Ich bin vor allem ein Fan von lustigen, unterhaltsamen Filmen, in denen es trotzdem um Werte geht. Irgendwie glaube ich nicht, dass sozialkritische Dramen die Welt tatsächlich besser machen. Vor allem nicht in Deutschland – dem Land mit dem vielleicht besten Lebensstandard der Welt. Ich als Amerikanerin darf das vielleicht mal sagen. Unsere Werte in Deutschland verrohen gerade – auf unschöne Art. Man verbessert die Situation jedoch keinesfalls mit miesepetrigen Filmen. Die Menschen haben ein Recht auf gute Unterhaltung.

prisma: Haben Sie Vorbilder in Sachen gehobene Unterhaltung – inklusive menschlicher Werte?

Carin C. Tietze: Nun ja, die Romantic Comedy ist nicht erst in den 90-ern erfunden worden, auch wenn sie damals ein Revival erfuhr. Es fing schon an in den 50ern mit Rock Hudson und Doris Day an. Cary Grant habe ich ebenfalls immer sehr gemocht. Bei "Pretty Woman" könnte ich mitspielen, so oft habe ich den Film gesehen und die Dialoge gehört. Oder auch "Tatsächlich Liebe", eine der wunderbarsten weihnachtlichen Komödien aller Zeiten. Das sind einfach Filme, die guttun. Gerade in dieser Zeit.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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