Dritte Staffel bei Netflix

"Dark" endet furios: Welterfolg made in Germany

von Maximilian Haase

Die deutsche Produktion "Dark" steigert sich in ihrer letzten Staffel immer weiter in düstere Abgründe zwischen Zeitreise-Mystery und Familien-Thriller. Und wird ihrem Status als beliebteste Netflix-Serie weltweit eindrucksvoll gerecht.

Wer hätte noch vor wenigen Jahren ernsthaft gedacht, dass einmal eine deutsche Produktion zur beliebtesten Netflix-Serie weltweit gewählt werden würde – und dabei namhafte Konkurrenten wie "House Of Cards" und "Stranger Things" ausstechen könnte? Genau das geschah Anfang Mai mit der Mystery-Zeitreise-Serie "Dark": Die Nutzer der Kritiker-Website "Rotten Tomatoes", die als einflussreicher Indikator für Qualität gilt, kürten die erste deutsche Serie des Streaminganbieters zur populärsten Netflix-Eigenproduktion überhaupt. Wenn die in so ziemlich jeder Hinsicht herausragende Serie des Schöpferduos Jantje Friese und Baran bo Odar nun ab 27. Juni in ihre heiß ersehnte dritte und finale Staffel geht, dürften also Hundertausende Zuschauer rund um den Globus verfolgen, wie die nervenaufreibende Geschichte um vier Familien in der fiktiven Kleinstadt Winden nach unzähligen Handlungssträngen und auf mehreren Zeitebenen ein Ende findet.

+++ Spoiler-Warnung: Diese Kritik enthält Spoiler zur 1. und 2. Staffel +++

Dabei war der "Welterfolg made in Germany" anfangs noch in weiter Ferne: Als "Dark" vor drei Jahren auch den Deutschen ihre erste "eigene" Netflix-Serie bescherte, war die Verwirrung hierzulande groß – und die Aufmerksamkeit zunächst gering. Irgendwas mit Zeitreise-Science-Fiction und Mystery-Elementen? Darauf steht man hierzulande, wo das Genrekino ein kümmerliches Dasein fristet, bekanntermaßen nicht so. Klugerweise holten die Showrunner Jantje Friese und Baran bo Odar ihre Zuschauer in der deutschen Provinz ab: inmitten von finster raunenden Wäldern, in denen plötzlich Kinder verschwinden. Die Krimihandlung zwischen vier von Geheimnissen umwobenen Kleinfamilien bot einen hervorragenden Aufhänger für Freunde dunklerer "Tatorte" – aber eben auch die einlullende Ästhetik jener "German Angst", die im popkulturellen Bereich vor allem im Ausland für Begeisterung sorgt.

Verorten konnte man den Ursprung für den Erfolg von "Dark" auch an anderer Stelle: Für internationale Anschlussfähigkeit sorgte die sachte eingeführte Zeitreise-Handlung, die sich clever die damals durch "Stranger Things" aufbrandende Retro-Welle zu eigen machte. Von Anti-AKW-Bewegung bis "Raider statt Twix" bot die erste Staffel feinste 80er-Ästhetik. Die zweite Staffel stellte jedoch klar, was die dritte nun vollends bestätigt: Ein deutsches "Stranger Things" wollte "Dark" natürlich nie sein. Gänzlich ironiefrei, intellektuell anspruchsvoll, hochkomplex und selbstverständlich unendlich düster spielt die Serie mit den Abgründen eines Fassbinder oder Murnau. Diese zugleich so undeutsche "Germanness" war und ist es wohl, die "Dark" in den USA und anderswo anfangs zum Publikums-Geheimtipp machte, während hierzulande vor allem die Feuilletons anerkennend nickten. Unübersehbar auch die Ironie dahinter, dass genau jene in der Serie penibel herausgearbeitete Angst in Realität dazu beitrug, dass man hierzulande schon zahmen "Tatort"-Experimenten einen Riegel vorschob.

Mit fortschreitender Handlung – bei einem so komplexen Drehbuch mit Zeitsprüngen ein relativer Begriff – fordert "Dark" sein Publikum immer mehr: Schwer sind die Verstrickungen und Beziehungen auseinanderzuhalten, nur mühevoll die kleinen und großen Geheimnisse der Bewohner zu durchblicken, geschweige denn die Komplexität der Zeitreisen-Paradoxa. Die in den ersten beiden Staffeln eingeführten Zeitebenen (unsere Gegenwart, Mitte der 80er-Jahre, die frühen 50er, das Jahr 1921 und eine postapokalyptische Zukunft) und ihre mannigfaltigen Handlungsstränge zusammenzuführen – das sollte nun Aufgabe des furiosen Finales einer Serie sein, die von Vornherein als detailliert geplante Zeitreise-Trilogie ausgelegt war. Die dritte Staffel ist daher nun Maßstab dafür, ob "Dark" noch immer hält, was es verspricht. Das Versprechen, es lautet Netflix zufolge auch, dass die "Knoten in den Köpfen durch alle Erzählebenen entwirrt" würden.

Schienen die wahren Kausalitäten angesichts der "parallel" existierenden Zeitebenen in den ersten beiden Staffeln fraglich und alles miteinander verschränkt, zielt die dritte Staffel auf eine Auflösung des ewigen "Zyklus", in dessen Mittelpunkt bislang der mysteriöse Adam stand, der sich letztlich als gealterte Version des Hauptcharakters Jonas (Louis Hofmann) entpuppte. Dieser wiederum findet sich in der dritten Staffel in einer Paralleldimension wieder, einer seltsam veränderten Version von Winden, die abermals mit dem unausweichlich wirkenden Schicksal aller Charaktere zusammenzuhängen scheint. Dass sich das komplexe Gefüge aus Zeit und Raum und Schicksal nicht auf einen Bösewicht oder einen Auslöser zurückführen lässt, geht Jonas ebenso wie dem Zuschauer langsam auf.

Tolle Darsteller und philosophische Fragen

Jeder Charakter in "Dark" strebt danach, die Verknotungen der Raum-Zeit-Dimensionen endlich aufzulösen und dem unfreiwilligen Kreislauf ein Ende zu bereiten. "Dieser Knoten", so sagt es die Figur Adam an einer Stelle, "wird sich nur lösen, indem man ihn ganz vernichtet". Getragen wird dieser noch düsterer als zuvor inszenierte "Dark"-Reigen abermals von seinen Figuren, deren Darsteller ausnahmslos alle dem meisterwerkwürdigen Drehbuch zu voller Geltung verhelfen – von Altbekanten wie Jördis Triebel, Lea van Acken und Mark Waschke bis zu den – die Parallelwelt macht es möglich – zahlreichen Neuzugängen wie Barbara Nüsse, Hans Diehl, Jakob Diehl, Nina Kronjäger oder Sammy Scheuritzel. Nicht zu vergessen die grandiose Lisa Vicari als Martha Nielsen, deren Liebesgeschichte mit Jonas die Dimensions-Zeitreise-Verwirrungen zugleich erdet und verbindet.

Dass "Dark" auch in der letzten Staffel von "Schicksal" bis "Apokalypse" jede Menge raunende Schlagworte im Raum schweben lässt, dass die Serie das religiös-symbolische Spiel mit dunklen und hellen Mächten an manchen Stellen zu weit treibt, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es keineswegs mit einem banalen Kampf des Guten gegen das Böse zu tun haben. Das philosphische Hauptmotiv lautet vielmehr: Können wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen – oder ist jede Handlung, jede Entscheidung, ja Geschichte als solche bereits vorbestimmt und wiederholt sich in einem ewigen Kreislauf von Vegangenheit, Gegenwart und Zukunft immer und immer wieder? Was ist Ursache, was Wirkung? Existiert überhaupt so etwas wie ein Anfang und ein Ende?

Auch wenn sich das Finale von "Dark" insbesondere auf derlei große Fragen konzentriert, dreht sich am Ende vor liebevoller Kulisse, herausragend inszeniert und umrahmt von einem wie immer fantastischen Soundtrack dann doch alles um unausgesprochene Familiengeheimnisse und die Hölle der Kleinstadt. Und damit kann wohl weltweit fast jeder Zuschauer etwas anfangen. In diesem Sinne haben Jantje Friese (Drehbuch) und Baran bo Odar (Regie) ihre Vision eines im Wortsinne zeit- und ortlosen Epos tatsächlich vollendet. Auch für sie werde es zwar "sehr traurig sein, sich von den uns ans Herz gewachsenen Figuren zu trennen", sagt das Duo. Aber: "Der Anfang ist das Ende und das Ende ist der Anfang."


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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