Schauspielerin im Interview

Iris Berben spielt "Die Protokollantin": "Eine sehr düstere Hauptfigur"

von Eric Leimann

Im ZDF-Mehrteiler "Die Protokollantin" (ab Samstag, 20. Oktober, 21.45 Uhr) spielt Iris Berben eine Frau, deren Job es ist, Verhöre und Geständnisse von Kapitalverbrechern mitzuschreiben. Die ebenso leise wie düstere Miniserie basiert zwar auf einer Idee des Schriftstellers Friedrich Ani ("Kommissar Süden"), umgesetzt wurde das Ganze jedoch von weiblichen Kreativen.

Iris Berben (68), die als unscheinbares, reifes Mauerblümchen eine untypische Rolle spielt, spricht im Interview über die Qualen echter Protokollantinnen, das Gefühl, mit Regisseurinnen zu arbeiten und eine für sie entgleiste MeToo-Debatte.

prisma: Frau Berben, was ist für Sie die Grundidee des Stoffes "Die Protokollantin"?

Iris Berben: Der Schriftsteller Friedrich Ani begegnete einer Protokollantin von Polizeiverhören. Das hat ihn so beeindruckt, dass er meinen Sohn (der Produzent Oliver Berben, d. Red.) wegen eines möglichen Fernsehstoffes ansprach. Ich finde es auch faszinierend, dass in unserer voll digitalen Welt immer noch Menschen schweigend bei Verhören sitzen, scheinbar unbeteiligt, und all diese Lügen, Ausflüchte, Erklärungen und Zusammenbrüche abtippen.

prisma: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Iris Berben: Nina Grosse, die das Drehbuch schrieb und Regie führte, gab mir eine Fülle von Material. Darunter war viel harter Stoff. Vernehmungsprotokolle von Leuten, die beispielsweise organisierten Kindesmissbrauch betrieben haben. Wenn man solche Sachen liest, versteht man erst, was sich Ermittler und eben auch Protokollanten in ihrem Beruf ansehen und anhören müssen. Da tun sich Abgründe auf, mit denen kommen anderen Menschen niemals in Berührung.

prisma: Der Krimi-Konsument beschäftigt sich regelmäßig mit Ermittlern. In welcher Situation befinden sich dagegen die Protokollanten?

Iris Berben: In einer ganz schwierigen, finde ich. Diese Menschen müssen all das Schreckliche kommentarlos, quasi regungslos verarbeiten. Dabei können diese Erlebnisse gar nicht spurlos an einem vorbeigehen. Als ich das realisierte, wusste ich, dass mich diese Rolle sehr interessiert.

prisma: Haben Sie eine echte Protokollantin kennengelernt?

Iris Berben: Ja, wir haben telefoniert. Was mir dabei klar wurde, war, dass man in diesem Job absolut auf sich allein gestellt ist. Die Beamten, die schlimme Straftaten bearbeiten, haben wenigstens noch den Austausch unter sich. Als Protokollant ist man hingegen mit dem Erlebten allein.

prisma: Wie geht Ihre Informantin mit dieser Belastung um?

Iris Berben: Sie sagte, dass sie viel Freiraum für sich benötigte. Freie Zeit, um all die Dinge aus dem Kopf rauszuwaschen. Trotzdem, so sagte sie, verlässt einen das alles nicht. Weil man so viel über die Details erfährt. Man braucht ein intaktes privates Leben, um das alles auffangen zu können. Doch sie redet im privaten Umfeld nicht von der Arbeit. Dieser Teil des Lebens bleibt ganz bei ihr.

prisma: Auch weil es verboten ist?

Iris Berben: Ja, diese Dinge unterliegen einer Schweigepflicht. Aber sie will auch nicht darüber reden. Man kann ja anonym über Dinge sprechen, ohne dass man sie zuordnen kann. Aber auch das will sie nicht.

prisma: Sie haben viele starke Frauenrollen gespielt. Die unscheinbare, ja fast scheue Protokollantin ist da etwas Neues für Sie ...

Iris Berben: Sie ist vor allem etwas Neues für die Zuschauer. Es ist eine sehr düstere Hauptfigur, der man da folgt – und eben eine Frau. Wenn man darüber nachdenkt, waren düstere Hauptfiguren bisher fast immer eine Männerdomäne.

prisma: Wie haben Sie diese Figur angelegt?

Iris Berben: Sie hat Schreckliches erlebt und reagierte darauf mit totalem Rückzug. Eine Frau, die man übersieht und die übersehen werden will. Das haben wir versucht, mit den gräulichen, kaum gepflegten Haaren zu verdeutlichen. Natürlich auch durch Haltung und Kleidung. Für mich waren die Schuhe sehr wichtig, damit habe ich alle am Set verrückt gemacht (lacht). Schuhe definieren den Gang einer Person. Und der Gang eines Menschen ist ein ganz wichtiger Aspekt seines persönlichen Ausdrucks.

prisma: Warum gibt es so wenige düstere Heldinnen?

Iris Berben: Ich weiß es nicht. Vielleicht weil bis vor kurzem überwiegend männliche Autoren am Werk waren. Als das Projekt "Die Protokollantin" vor vier Jahren begann, war die Geschlechter-Debatte im Filmgeschäft noch nicht so ausgeprägt. Trotzdem hatten wir von Anfang an eine Drehbuchautorin, zwei Regisseurinnen und eine weibliche Hauptfigur. Vielleicht erklärt das ein bisschen den besonderen Ansatz der Crime-Serie.

prisma: Ist es für Sie anders, mit Frauen zu arbeiten?

Iris Berben: Nicht unbedingt. Ich glaube, dass es vor allem eine Wesens- und Charakterfrage ist, die darüber entscheidet, wie man als Filmemacher ein Thema angeht. Es ist weniger eine Frage des Geschlechts.

prisma: Gibt es Unterschiede zwischen Autoren und Autorinnen?

Iris Berben: Ich glaube, dass bei weiblichen Autoren manchmal eine größere Bereitschaft im Kopf vorhanden ist, weibliche Figuren radikaler zu denken. Es ist nur so ein Gefühl, ich kann das aber nicht statistisch belegen.

prisma: Und ist es nicht anders, unter einer weiblichen Regie zu arbeiten?

Iris Berben: Nein. Ich habe über fünf Jahrzehnte Filme gemacht und dabei introvertierte, laute, intellektuelle oder zynische Regisseure kennengelernt. Sowohl Männer als auch Frauen. Übrigens gibt es auch weibliche Machos – Machas (lacht).

prisma: Es ist also ein Klischee, dass Frauen zurückhaltender oder gar feinfühliger mit Schauspielern umgehen?

Iris Berben: Ja, das würde ich behaupten. Ich bin allerdings auch jemand, der mit dominanten Regisseuren kein Problem hat. Dem Vorwurf der MeToo-Debatte, dass nur Männer gerade in der Filmbranche ihre Dominanz ausnutzen, würde ich widersprechen. Ich habe auch schon sehr dominant auftretende Regisseurinnen erlebt.

prisma: Empfinden Sie die gesamte Geschlechter-Diskussion als heikel?

Iris Berben: In Teilen schon. Weil man sich auf dünnem Eis bewegt, wenn man sagt: Männer machen das so und Frauen anders. Wie gesagt, ich habe viele Umgangsweisen zwischen männlichen und weiblichen Chefs am Set mit ihrer Crew erlebt. Es kam mir dabei nicht in den Sinn, dass Frauen grundsätzlich anders führen als Männer.

prisma: In letzter Zeit wurde viel über Machtmissbrauch im kreativen Umfeld gesprochen. Beim Film, aber auch an künstlerisch herausragenden Theatern. Ist die Wahrscheinlichkeit, Menschen sexuell oder rein psychisch in die Ecke zu drängen im kreativen Umfeld höher als in normalen Arbeitsverhältnissen?

Iris Berben: Ja, das glaube ich schon. Deshalb halte ich mich mit Verurteilungen in der MeToo-Debatte gerne etwas zurück. Ich will auf keinen Fall Übergriffe entschuldigen, aber es wird im kreativen Umfeld oft sehr emotional miteinander gerungen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Dinge passieren, die man leicht als "nicht korrekt" einstufen könnte. Ich glaube, es wird auch eine Illusion bleiben, dass man am Theater oder beim Film immer auf Augenhöhe miteinander arbeitet. Aber – und das ist keine Frage: Es gibt in diesem Umfeld Menschen, die ihre Machtposition auch außerhalb der kreativen Prozesse ausleben und ausnutzen.

prisma: Muss man am System, wie beim Film oder am Theater miteinander gearbeitet wird, etwas ändern?

Iris Berben: In Bezug auf MeToo bin ich dafür, dass mit etwas weniger Aufregung darüber diskutiert wird. Es würde allen Beteiligten guttun. Wir wissen, dass es nicht akzeptable Übergriffe in der Filmbranche gibt – wie auch in alle anderen Branchen unserer Gesellschaft. Da, wo klare Übergriffe stattfinden, muss man sie benennen. Wir dürfen diese Diskussion nicht ad acta legen. Sie befördert auch viele andere wichtige Themen: gleiche Bezahlung für Frauen, gleiche Chancen für weibliche Kreative, Jobs zu bekommen. Seit MeToo läuft, wird verstärkt darauf geschaut, und das ist gut so. Bei den letzten Filmfestspielen von Venedig war von 22 Filmen nur einer im Wettbewerb, den eine Frau gemacht hatte. Das ging sofort groß durch die Presse. Noch vor kurzem wäre das kaum jemandem aufgefallen. Wir haben also jetzt schon etwas erreicht. Die MeToo-Debatte darf nicht aufhören, sie muss allerdings differenzierter geführt werden.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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