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"Little Fires Everywhere": Manchmal ist all das nicht mehr auszuhalten

von Frank Rauscher / Andreas Fischer

Reese Witherspoon und Kerry Washington liefern sich in "Little Fires Everywhere" ein brenzliges Duell zwei Mütter, deren Leben zwangsläufig in Rauch aufgeht. Wer wissen will, was derzeit in den USA los ist, sollte dieser Serie eine Chance geben.

Der gewaltsame Tod des Afroamerikaners George Floyd durch einen weißen Polizisten hat eine Protestwelle in den USA und vielen anderen Ländern ausgelöst, wie es sie seit den 60er-Jahren nicht mehr gab. Die Bilder, die nun um die Welt gehen, sind so eindringlich wie verstörend. Woher kommt all das so plötzlich? Was genau bricht sich da Bahn? Was steckt hinter den so oft zitierten Begriffen struktureller Rassismus, Color-Blindness und White Supremacy? Wie weit ist die US-amerikanische Gesellschaft noch immer von Chancengleichheit und Gleichberechtigung der afroamerikanischen Bevölkerung entfernt? Und wie tief sind Hass und Ressentiments verankert?

Wer sich wirklich für die Antworten interessiert, muss tief einsteigen und Alltag und Lebensstil einer Gesellschaft sezieren, die sich in weiten Teilen nach außen moderner, liberaler und aufgeklärter gibt, als sie ist. Der Wahrheit kommt man ausgerechnet in einer neuen amerikanischen TV-Serie nahe. "Little Fires Everywhwere", seit Ende Mai bei Amazon Prime Video abrufbar, erzählt die ganze Geschichte.

Auf Basis des Bestsellerromans von Celeste Ng von 2017 haben Produzentin Liz Tigelaar und Reese Witherspoon als Producerin und Hauptdarstellerin einen Serienkosmos erschaffen, der hinter die Fassade einer scheinbar heilen Welt blickt. Auch wenn "Little Fires Everywhere" im Jahr 1997 spielt, legt die Serie beinahe beiläufig all die nicht aufgearbeiteten Schieflagen und angestauten sozioökonomischen Probleme offen, die der US-Gesellschaft derzeit vor die Füße fallen. Es brennt. Überall. Ein bisschen. Kleine Feuer. Was daraus werden kann, sieht gerade die ganze Welt.

Rauch und Asche

In der Serie wütet das Inferno gleich in der ersten Szene. Es lässt vom stattlichen Anwesen der Richardsons nur die Grundmauern stehen. Überall im Haus, so erklärt die Polizei der Familie, seien kleine Feuer gelegt worden. Die Brandstiftung hat freilich schon früher begonnen als in der dunklen Winternacht des flammenden Prologs.

"The Spark" heißt die erste Folge der Miniserie, die vom US-Streaminganbieter Hulu produziert wurde. Und die Funken fliegen gleich bedrohlich, als sich die beiden Protagonistinnen zum ersten Mal begegnen – vier Monate vor dem großen Feuer. Elena Richardson (Reese Witherspoon) lebt in einem Vorort von Cleveland: Shaker Heights war die erste Planstadt Amerikas und damit so etwas wie die Blaupause für all die Suburbs und schicken Gated Communities, die später entstanden und in die sich die reiche weiße Mittel- und Oberschicht verschanzte. Die perfekte Mutter mit ihrer perfekten Familie entdeckt mitten in ihrer perfekten Welt ein abgeranztes Auto: Darin nächtigt Mia Warren (Kerry Washington) mit ihrer 15-jährigen Tochter Pearl (Lexi Underwood).

Natürlich hilft Elena, die sich selbst als ausgesprochen großherzigen, guten Menschen sieht, der Neuen, auch wenn Mia Künstlerin ohne Wurzeln und dazu noch Afro-Amerikanerin ist. In acht fesselnden Serienstunden arbeiten sich die beiden enigmatischen Frauen aneinander ab und müssen dabei schwierige Fragen verhandeln – nach ihrer Herkunft, nach Rasse und Klassenzugehörigkeit, vor allem aber nach ihrem Muttersein.

Es sind vor allem die Kinder, die die Handlung vorantreiben. Mias Tochter sehnt sich danach, das Nomadenleben aufzugeben. Elenas vier Sprösslinge wehren sich offen und versteckt gegen ihr Leben in völliger Erstarrung.

Erzählt im visuellen Stil und mit dem bedächtigen Tempo der großen Melodramen, wie sie Hollywood früher gemacht hat, zieht "Little Fires Everywhere" die Spannung weniger aus den Geheimnissen, die die beiden Protagonistinnen zu wahren versuchen, sondern vielmehr aus den Entwicklungen, die die fein gezeichneten Figuren durchmachen. Ihre Fassaden bröckeln langsam, es sind sehr feine Risse, die sich nach und nach auftun. Man weiß ja vom Anfang, was am Ende bleiben wird – Rauch und Asche. Aber zu sehen, wie sich die kleinen Feuer langsam ausbreiten, das ist kaum auszuhalten.

Als Zuschauer fühlt man sich über die volle Länge unbehaglich, weil man jederzeit den Wahrheitsgehalt spürt, auf dem diese überzeichnete Story basiert. Denn auch wenn hier vordergründig ein Kriminalfall und ein Familiendrama erzählt werden, schürft "Little Fires Everywhere" tief in den Problemzonen einer angestrengten, um Schein und Funktionalität bemühten Gesellschaft. Es ist eine Gesellschaft, die von extremen materiellen Unterschieden geprägt ist, in der viele nur aufgrund ihrer Herkunft und Ethnie von jedweden Aufstiegschancen abgeschnitten sind. Aber auch eine Gesellschaft, in welcher auch der, der scheinbar alles hat, oft genug weit von einem erfüllten Leben entfernt ist. Und manchmal ist all das einfach nicht mehr auszuhalten. Dann brechen sich all der aufgestaute Frust, all die Verbitterung und all die Wut Bahn. So passiert es in der Serie. So passiert es gerade in den Vereinigten Staaten von Amerika.

"Little Fires Everywhere" basiert auf dem gleichnamigen, auch von der Kritik gefeierten, Bestseller von Celeste Ng (deutscher Titel: "Kleine Feuer überall"). Die Hälfte der acht Episoden wurden von der kürzlich verstorbenen Indie-Regisseurin Lynn Shelton inszeniert.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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