Interview mit Oliver Kalkofe

"Fernsehzeitschriften sind wichtiger denn je"

28.03.2017, 06.10 Uhr
Oliver Kalkofe: "In den Sendern herrscht ein beinahe widerwärtiger Zynismus dem Publikum gegenüber".
Oliver Kalkofe: "In den Sendern herrscht ein beinahe widerwärtiger Zynismus dem Publikum gegenüber".  Fotoquelle: Jakubaszek/Getty

Zum Geburtstag der prisma blicken wir nicht nur auf unsere eigene Geschichte zurück, sondern auch auf 40 Jahre Fernsehgeschichte. Und wer könnte die besser beurteilen als TV-Urgestein Oliver Kalkofe!

Vor 40 Jahren gab es drei Sender und das Programm war um kurz nach 1 Uhr zu Ende. Was vermissen Sie an dieser Zeit?

Auf jeden Fall würde ich das Testbild einer Scripted Reality jederzeit vorziehen. Es ist witziger, intelligenter und vor allem besser gespielt. Auch wenn das Programm damals größtenteils behäbig und nicht gerade unterhaltungsfreundlich war – ich vermisse die Attitüde. Man wollte die Menschen unterhalten oder bilden, selbst wenn es nicht immer gelang. Aber man hat sich Mühe gegeben und hatte eine spürbare Liebe zum Produkt. Vieles heute, zum Beispiel die Fake-Dokus, ist nur noch zynisch und menschenverachtend. Niemand will sie wirklich sehen, niemand wirklich produzieren, im Grunde ekeln sie jeden an – aber sie sind billig und werden aus Verzweiflung oder Dummheit gesehen. Es reicht, wenn etwas einfach scheißegal ist – und profitabel.

Gibt es eine Sendung, die Sie sich zurückwünschen?

Ich liebe den verspielten, innovativen Charme der 60er wie in "Mit Schirm, Charme und Melone" oder "Star Trek" und vermisse, dass so etwas im Genre-Bereich heute nicht mehr möglich ist. Ich würde mir wünschen, diese Kreativität und Spielfreude bei unseren Sendern wiederzufinden – und zwar nicht nur im Krimi, Krimi-Drama und Schmunzel-Krimi.

Worüber können Sie so richtig herzhaft lachen?

Über Loriot und Monty Python, zeitlose Ikonen des Humors. Dazwischen gab es immer wieder großartige Künstler, die neue Türen öffneten, wie Ricky Gervais, Simon Pegg, Sasha Baron Cohen, Little Britain und andere, die meisten aus England. In Deutschland gibt es vor allem jede Menge unfreiwillige Komik aus dem Fremdscham-Bereich. Von denen, die es ernsthaft versuchen, gibt es eher wenige, die ich wirklich toll und ehrlich lustig finde: Christoph Maria Herbst ist für mich der mit Abstand witzigste Schauspieler, Joko & Klaas und Böhmermann sind die derzeit innovativsten, die Heute-Show und Extra 3 sind tolle Satire-Formate... Danach wird es erst mal relativ still.

Und worauf können Sie gut verzichten?

Auf sämtliche Scripted-Reality-Formate, Doku-Soaps, Casting-Shows und "Doofe Promis machen was ganz Verrücktes, was keine Sau interessiert". In den Sendern herrscht häufig ein beinahe widerwärtiger Zynismus dem Publikum gegenüber, das für dumm und geschmacklos gehalten wird. Wäre ich Programmdirektor, ich würde nur eine Regel einführen: Jeder Redakteur wird gezwungen, die von ihm verantworteten Sendungen in voller Länge an einen Stuhl gefesselt anzuschauen, in seiner Freizeit und ohne Ablenkung. Das Programm würde sich schlagartig verbessern!

prisma gibt es jetzt 40 Jahre. Warum braucht es 2017 noch eine Fernsehzeitschrift?

Fernsehzeitschriften sind wichtiger denn je, denn wer nicht eh schon ins Netz oder zu Streaming-Diensten abgewandert ist, braucht eine fachliche Führung, um sich durch den Dschungel des Wahnsinns ohne größeren Schaden durchkämpfen zu können. Durch Mediatheken ist es zwar weniger wichtig zu wissen, wann man wo einschalten soll, aber vor allem, zu welchen Zeiten man ab- oder umschalten muss! Wer ungeschützt mit dem linearen TV konfrontiert wird, etwa wenn man krank ist, wird so schnell nicht wieder gesund. Früher war die Fernsehzeitschrift Einschalthilfe, heute lebensrettender Spender von Warnhinweisen und Chronist der Programme, die man verpasst hat, aber online unbedingt nachholen muss!

Florian Blaschke führte das Interview.

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