Schauspielerin im Interview

Victoria Mayer: "Wir sind eine Familie im Wartestand"

Victoria Mayer gehört nicht zuletzt wegen ihres markanten Kurzhaarschnitts zu den auffälligsten deutschen TV-Schauspielerinnen. Sie ist ein Star, dessen Namen viele Menschen nicht kennen. Erstaunlich eigentlich, denn die 44-Jährige ist sehr oft im Fernsehen zu sehen.

Sie assistierte "Kommissar Stolberg" (2006 – 2009), war in Emily Atefs für den Grimmepreis nominierten Film "Wunschkinder", dem Gaming-Drama "Play" zu oder zuletzt im Midlife-Crisis-Wanderfilm "Eine Harte Tour" dabei. Auch im "Tatort" wirkte Mayer, die mit ihrem Schauspieler-Ehemann Jan Messutat und den beiden acht und elf Jahre alten Kindern am Ammersee lebt, insgesamt fünfmal mit. In der letzten neuen Folge vor einer langen Sommerpause, dem bärenstarken Münchener Krimi "Lass den Mond am Himmel stehn" (Sonntag, 7. Juni, 20.15 Uhr, ARD), spielt Mayer mit großer Präzision eine Mutter, die ihr Familienglück schützen will. Im Interview spricht sie über die Besonderheit von "Tatort"-Rollen, persönliche Krisen aufgrund des mittlerweile weit verbreiteten gesellschaftlichen "Glücksdrucks" sowie die Angst einer Schauspieler-Familie vor der ungewissen Zukunft.

prisma: Sie haben bislang in fünf "Tatorten" gespielt. Ist es immer noch etwas Besonderes, wenn man eine Rolle in diesem Format ergattert?

Victoria Mayer: Ja, das ist es. Der "Tatort" wird nicht nur von vielen Millionen Menschen geschaut, er ist auch ein Aushängeschild der verschiedenen ARD-Sender. Da herrscht ein kreativer Wettbewerb, unter dessen Dach ganz unterschiedliche, oft aber sehr gute Filme entstehen.

prisma: Warum scheint das deutsche Fernsehen im "Tatort" mehr zu wagen, als an vielen anderen Stellen des Programms?

Victoria Mayer: Ich glaube, das hat sich so entwickelt. Jeder weiß, dass man auch in der Branche auf den "Tatort" schaut. Da will keiner etwas Schlechtes oder arg Konventionelles abliefern. Diese Haltung kommt dann am Ende allen Beteiligten, auch den Zuschauern, in Sachen Qualität zugute.

"Was – ihr dürft schon 'Tatort' schauen?"

prisma: Merken Sie es in Ihrem Alltag, wenn am Abend zuvor ein "Tatort" gelaufen ist, in dem Sie mitgewirkt haben? Gerade, wo Sie doch aufgrund Ihrer markanten Frisur häufiger erkannt werden dürften ...

Victoria Mayer (lacht): Ja, das merkt man tatsächlich. Es ist mir sogar schon passiert, dass ich von Kindern auf dem Schulhof meines Sohnes angesprochen wurde. Wo ich nun echt überrascht war, nach dem Motto: "Was – ihr dürft schon 'Tatort' schauen?" Die Aufmerksamkeit ist auf jeden Fall groß. Bei einem Münsteraner "Tatort", bei dem ich dabei war, waren es – glaube ich – mal 13 Millionen, die das geschaut hatten. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass einen am nächsten Tag die Leute auf der Straße anschauen schon deutlich größer, als wenn man in einem Film mit nur zwei Millionen Zuschauern gespielt hat.

prisma: Es ist schwer, über den neuen Münchener "Tatort" zu sprechen, ohne zu spoilern. Kann man trotzdem ein Thema in diesem starken Krimi-Stück ausmachen?

Victoria Mayer: Es geht um die Spiegelung zweier Familien. Sie sind sich in vielen Dingen ähnlich, die beiden gleichaltrigen Söhne sind befreundet, man kennt sich gut. Dann kommt der eine Junge ums Leben. Die Nähe zwischen den Familien ist auf einmal weg, weil das Schicksal eben nur an der einen Stelle zugeschlagen hat. Was mit dieser plötzlichen Schieflage passiert – das hat mich interessiert.

prisma: Die beiden Familien leben in schicken Häusern, der "Tatort" erzählt von Glücksträumen der gehobenen Mittelschicht. Der Wunsch nach Optimierung und dem perfekten Glück ist spürbar. Ist das ein sublimes Thema des Films?

Victoria Mayer: Ja, das kann man auf jeden Fall so sehen. Und nach dem Tod des Jungen lautet natürlich die Frage: Inwieweit ist man bereit, den eigenen Traum vom Glück zu verteidigen, wenn nebenan das Unglück einschlägt? Es geht um Fassaden und das, was uns unsere Fassaden schützen lässt.

"Es ist heute von großer Wichtigkeit, dass jeder gut drauf ist"

prisma: Hat sich die Art des angestrebten Glücks verändert? In der Nachkriegszeit haben die Menschen vor allem Wohlstand gesucht, heute scheint Glück dieses Ideal abgelöst zu haben. Aber es ist schwer, Glück als Fassade zu präsentieren ...

Victoria Mayer: Glück ist auf jeden Fall eine Währung, die heute hoch gehandelt wird. Egal, ob man es nun hat oder nicht. Auf jeden Fall ist es hochattraktiv, als glücklich betrachtet zu werden. Das zeigt sich nicht zuletzt in den sozialen Medien. Ob dieser Druck, glücklich zu sein, nun durch sie entstanden ist oder nicht, ist da fast schon egal. Auf jeden Fall ist es heute von großer Wichtigkeit, dass jeder gut drauf ist und ein tolles, schickes Leben führt. Man muss gut aussehen, das Essen total gesund sein und so weiter. Es ist ein Ideal, das einen ziemlichen Stress in unserem Leben erzeugt.

prisma: Ein Ideal, das vielleicht noch schwerer zu erfüllen ist als Wohlstand?

Victoria Mayer (lacht): Je nachdem, mit was man sein Geld verdient. Mir fällt das Beispiel einer bekannten Bloggerin ein, die irgendwann zugegeben hat, dass dieses Leben ihre Beziehung ruinierte, weil sie in jedem Moment darüber nachdachte, wie man das perfekte Foto macht oder das gerade Erlebte am besten in Szene setzt. Irgendwann war ihr Freund total genervt davon. Es ist auf jeden Fall ein gutes Beispiel dafür, dass die Sehnsucht nach der perfekten Glücksfassade so groß geworden ist, dass sie das reale Leben beschädigt. Früher hat man vielleicht einmal im Jahr zum Diaabend eingeladen, um sein Leben und Glück zu präsentieren – mittlerweile ist das zur täglichen Aufgabe geworden.

prisma: Hat die Corona-Krise einen Einfluss auf dieses Lebensgefühl?

Victoria Mayer: Sie ist zumindest ein Test – und entlarvt es auch hier und da. Ich fand es interessant, dass am Anfang des Lockdowns viele Leute gepostet haben, was sie jetzt alles für tolle Sachen machen: Backen, Kochen, Sport, kreative Projekte. Unter Schauspielern wurden viele Kurzfilme gedreht oder Vorstellungsvideos gepostet. Es gab erst mal eine große Welle, in der die neue Situation wahnsinnig konstruktiv aufgenommen wurde. Ich fühlte mich ziemlich schlecht dabei, weil es mir nicht so gut ging und ich mich fragte: "Mache ich etwas falsch?"

"Ich selbst sitze leicht geschockt in meiner Jogging-Hose auf dem Sofa"

prisma: Glauben Sie, die anderen waren wirklich so gut drauf – oder war auch das eine Form der Glücksfassade?

Victoria Mayer: Ich weiß nur, dass es gefühlt eine ganze Weile dauerte, bis die ersten Menschen zugegeben haben, dass es ihnen auch mal schlecht geht. Dass sie frustriert waren oder Angst hatten. Ich habe gemerkt, dass mich die ganze Konstruktivität am Anfang ganz schön unter Druck gesetzt hat. Weil ich dachte: "Krass, alle sind so kreativ und gehen mit der Krise so positiv um." Und ich selbst sitze leicht geschockt in meiner Jogging-Hose auf dem Sofa und frage mich: Was ist passiert? (lacht). Ich wünsche mir, dass es in unserer Gesellschaft auch wieder okay ist, seine Schwächen zu zeigen. Wenn es nämlich allen anderen nach außen hin super geht, fällt es einem selbst schwerer, zuzugeben, dass es vielleicht gerade nicht so gut läuft.

prisma: Leben Sie aktuell, wie die meisten Schauspieler, im Wartestand?

Victoria Mayer: Ja, so ist es. Der größte Teil der Branche ist zum Erliegen gekommen. Außer ein paar Serien, die mit festen Ensembles und vorwiegend unter Studiobedingungen drehen, sind die meisten Drehs immer noch unterbrochen – oder sie haben erst gar nicht angefangen. Mein Mann und ich sind beide Schauspieler. Die Kinder waren jetzt lange im Home Schooling. Wir sind also eine Familie im Wartestand – das ist stimmungsmäßig nicht immer einfach.

prisma: Sie wissen also nicht, wann Sie Ihren Beruf wieder aufnehmen können?

Victoria Mayer: Nein, das ist momentan völlig unklar. Meine nächsten Projekte sind alle verschoben worden. Für uns Schauspieler sind längere Durststrecken nichts Neues, da kann es immer wieder mal sein, dass man ein paar Monate lang nichts zu tun hat. Dennoch ist es natürlich gerade jetzt beunruhigend. Auch, weil man nicht weiß, wie die Krise die Branche verändert. Schließlich sind Film-Produktionsfirmen Wirtschaftsunternehmen, die insolvent gehen, wenn sie nichts verdienen. Außerdem vermisse ich natürlich meinen Beruf. Es ist nicht schön, wenn man arbeiten will – und darf es nicht.

prisma: Glauben Sie, dass sich die Arbeitsbedingungen für Schauspieler im größeren Stile verändern werden?

Victoria Mayer: Man muss davon ausgehen. Bei Filmproduktionen arbeiten viele Menschen auf engem Raum zusammen. Man wird nicht alle Szenen, die gedreht werden sollen, so umschreiben können, dass sie unter freiem Himmel mit zwei Metern Abstand stattfinden. Momentan kann ich mir noch nicht vorstellen, wie diese neue Normalität an Sets aussehen könnte.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

Das könnte dich auch interessieren