WWM und Co.

Machen Quizshows uns schlauer?

von Frank Rauscher
In der Quiz-Show "Gefragt - Gejagt" treten Kandidaten in Teams gegen jeweils einen "Jäger" an. Wir stellen in den folgenden Bildern die Jäger vor.
BILDERGALERIE
In der Quiz-Show "Gefragt - Gejagt" treten Kandidaten in Teams gegen jeweils einen "Jäger" an. Wir stellen in den folgenden Bildern die Jäger vor.  Fotoquelle: ARD/Thomas Leidig/Uwe Ernst/Montage Frey

Am Montag startete "Wer wird Millionär" in seine 42. Staffel, am Samstagabend zeigte die ARD drei Stunden lang eine Promi-Ausgabe von "Gefragt – gejagt". Das sind nur zwei von vielen Beispielen, die zeigen, dass Quizshows im deutschen TV weiter voll im Trend liegen. Eine Bildungsforscherin erklärt, ob wir durch das ständige Mitraten tatsächlich schlauer werden.

Hape Kerkeling hat es schon immer gewusst: Das ganze Leben ist ein Quiz. Und wenn es so weitergeht, ist es wohl irgendwann tatsächlich so, dass wir alle mal die Kandidaten waren ... Noch immer wird in vielen Fernsehstudios gequizzt, dass die Köpfe rauchen. Der Zuschauer hält Günther Jauch und Co. eisern die Treue, da kann das Fernsehgeschäft noch so schnelllebig geworden sein, das Mitraten hat Konjunktur – und das schon seit beinahe zwei Jahrzehnten.

"Wer wird Millionär?", Vorreiter und Epizentrum des Quiz-Hypes, geht nun in die sage und schreibe 42. Staffel: Zur Staffeleröffnung am Montag traten nur Kandidaten an, die gerade ihr Abitur bestanden haben. Auch beim "Abi 2018-Special" ging es um viel Geld. Aber wie schlau muss man sein, um in der Quizshow abzuräumen, und müssten wir angesichts der Dauer-Raterei nicht längst ein Volk von Superhirnen sein? Wir fragten nach bei der promovierten Bildungsforscherin Dr. Sylva Liebenwein, sie ist Professorin für Pädagogik an der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München.

prisma: Frau Liebenwein, haben Sie auch schon einmal davon geträumt, bei einer Quizshow wie "Wer wird Millionär?" abzuräumen?

Prof. Dr. Sylva Liebenwein: Oh ja. Aber ich fürchte, ich wäre alles andere als die perfekte Kandidatin.

prisma: Immerhin sind Sie promovierte Bildungsforscherin, also das, was man landläufig gebildet nennen darf ...

Liebenwein: Was mir aber in einer solchen Sendung kaum weiterhelfen würde!

prisma: Wieso?

Liebenwein: Weil dort alle Wissensbereiche gleichberechtigt nebeneinander gestellt werden: Man muss, um zu gewinnen, gleichermaßen über Populärkultur und Hochkultur Bescheid wissen und sogar noch die trivialste Fernsehsendung kennen. Es ist eben nicht nur der klassische Bildungskanon, der zählt ...

prisma: Ein in der Tat recht krude erscheinender Mix: Einerseits werden die einfachsten Dinge abgefragt, andererseits ist absolutes Fachwissen erforderlich. Ergibt das Sinn?

Liebenwein: Kommt darauf an, wie man "Sinn" definiert. Was den Unterhaltungswert angeht, ist der Aufbau auf jeden Fall sinnvoll, weil man daheim am Fernseher lange selbst mitraten kann. Das hat eine gewisse Spannung, durch die der Zuschauer hineingezogen wird in das Frage- und Antwortspiel. Ob so etwas aber bildungswirksam ist, das ist eine andere Frage.

prisma: Also: Wird man schlauer, wenn man regelmäßig mitfiebert?

Liebenwein: Sie meinen gebildeter? Nein. Durch das Zuschauen alleine sicher nicht. Aus Sicht der Lernforschung haben solche Sendungen für die Vermittlung von Wissen keinerlei Wert.

prisma: Warum nicht?

Liebenwein: Die einzelnen Informationen werden sofort wieder vergessen, weil die Themen permanent wechseln, nichts verknüpft und vertieft wird. Das Tempo einer Sendung ist in der Regel eben sehr hoch. Die totale Reizüberflutung. Dazu kommt eine fachliche Überflutung.

prisma: Also ist das aus Sicht der Bildungsforscherin nichts als pure Unterhaltung?

Liebenwein: Eine gewisse Bildungswirksamkeit sehe ich in solchen Formaten schon: Sie erweitern unseren Bildungsbegriff. Durch diese Quizsendungen wird ja auch vermittelt, welche Kenntnisse in unserer Gesellschaft gerade als wichtig gelten. Die Shows können damit schon zu einem lernförderlichen Klima beitragen.

prisma: Sie meinen, dass der Zuschauer in einer solchen Sendung möglicherweise zum ersten Mal etwas über einen gerade angesagten Popstar oder auch ein zeitgeschichtliches Ereignis hört und sich dann aus Interesse daheim weiter darüber informiert?

Liebenwein: Ja, genau. In den 70-ern gab es mal die große Tendenz, auswendig gelerntes Wissen nicht allzu wichtig zu nehmen, sondern Bildung eher als Persönlichkeitsbildung zu definieren. Nun erleben wir eine Renaissance dieser Kenntnisbildung. Und dazu tragen auch solche Programme bei, die von einem Millionenpublikum gesehen werden. Außerdem: Die Leute kriegen deutlich vor Augen geführt, dass es in unserer Gesellschaft wichtig ist, über Wissen und Kenntnisse zu verfügen. Immerhin gibt es dort jede Menge bares Geld für Leute, die etwas wissen. Also wird dadurch das Thema Bildung ganz allgemein wieder etwas in der Vordergrund gerückt.

prisma: Grundsätzlich gibt es also einen gewissen Zusammenhang zwischen dem Bildungsstand im Lande und dem Quiz-TV?

Liebenwein: Durchaus. Neben dem gesellschaftlichen Wandel tragen auch diese Sendungen dazu bei, dass sich unsere Vorstellung von Bildung allgemein verändert. Früher kam es allein auf das klassische humanistische Bildungswissen und die Naturwissenschaften an. Jemand galt als gebildet, wenn er in diesen Bereichen gut war. Heute werden zunehmend auch jene Personen als gebildet angesehen, die sich in bestimmten populären Fachgebieten hervortun, etwa über exzellentes Wissen aus der Welt des Sports verfügen.

prisma: Sie meinen, dass irgendwann ein bekannter Fußball-Experte als genauso gebildet erachtet werden wird, wie, sagen wir, ein erfahrener Physik-Professor?

Liebenwein: Ja, in diese Richtung geht es. Und das hat auch mit der Erweiterung des Bildungsbegriffes zu tun, die solche Sendungen vorantreiben. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, dass wir immer mehr Spezialwissen anhäufen, gleichzeitig aber das allgemeine Wissen etwas kleiner wird. Der Fächerkanon wird breiter – auch deshalb, weil die Auswahl dessen, was wichtig ist, heute jedem selbst überlassen wird.

prisma: Würden Sie sagen, wer bei Günther Jauch eine Million abräumt, ist definitiv ein sehr gebildeter Mensch?

Liebenwein: Nun, wenn Sie so fragen, dann muss man auf die genaue Terminologie achten: Der Bildungsbegriff ist mehr als Wissen und Kenntnisse. Ein Jauch-Millionär weiß zweifellos viel, aber über seine Persönlichkeitsbildung, die zum Bildungsbegriff gehört, haben wir natürlich keinerlei Informationen.

prisma: Worin liegt Ihrer Meinung nach das Geheimnis des Erfolges dieser Multiple-Choice-Quizshows: Würdigt der Zuschauer eher das interaktive Moment, also dass er mitraten kann – oder überwiegt der voyeuristische Aspekt?

Liebenwein: Ich glaube Ersteres. Das ist jedes Mal ein Stück Selbsterfahrung und damit spannend für den Zuschauer.

prisma: Aber nicht mehr als das? Sind die Antworten wirklich schon am nächsten Tag vergessen?

Liebenwein: Ich denke schon. Dieses Wissen ist leider schnell wieder weg. Das liegt natürlich an der Art, wie in einer solchen Sendung Wissen aufbereitet wird.

prisma: Wie meinen Sie das konkret?

Liebenwein: Bildung ist zunächst einmal ein Prozess, den man selbst, also aus sich heraus vollzieht. In den Quizshows wird das Wissen aber von außen an einen herangetragen. Hartmut von Hentig (ein bekannter Reformpädagoge, die Red.) hat gesagt: "Wer sich bilden lässt, wird zum Gebilde." Und diese extremen inhaltlichen Sprünge, die von einer Frage zur nächsten vollzogen werden, widersprechen sowieso jeder gängigen Lehrmethode. Aber es ist wohl nicht der Anspruch einer Quizshow, eine Weiterbildungsveranstaltung zu sein.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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