Comedy-Star im Interview

Matthias Matschke über das "Deutschsein": "Wir meckern gerne, aber letztendlich tun wir wenig"

23.06.2023, 12.20 Uhr
von Eric Leimann

Matthias Matschke ist demnächst mit seinem ZDF-Sketch-Comedy-Format "Wir sind die Meiers" im TV-Programm zu sehen. Dabei will ein prominentes Schauspiel-Ensemble den deutschen Zeitgeist des Jahres 2023 einfangen. Im interessanten Interview spricht Matthias Matschke über das Spannungsverhältnis zwischen Humor und Zeitgeist, den Kern des "Deutschseins" sowie jene verwirrenden Gefühle, wenn man erstmals mit der eigenen Tochter vor der Kamera arbeitet. Und wieso "Markus Lanz" ein Abbild Deutschlands sein könnte.

Darum geht es in "Wir sind die Meiers"

Die "heute show" befindet sich in der Sommerpause, und das ZDF probiert ab Freitag, 23. Juni, 22.30 Uhr, auf dem Sendeplatz mit acht Episoden "Wir sind die Meiers" mal wieder etwas Neues. Die mit Matthias Matschke, Valerie Niehaus, Bettina Lamprecht, Jürgen Tarrach oder Holger Stockhaus prominent besetzte Sketch-Comedy zeichnet ein satirisches Deutschlandbild der Gegenwart – über verschiedene "Typen", die man im Jahr 2023 hierzulande so antrifft: von SUV-Eltern, die sich als Klimaschützer fühlen über eine Fitness-Trainerin mit Selbstoptimierungs-Syndrom bis hin zum Baumarkt-Leiter in der Diversitätsfalle.

prisma: "Wir sind die Meiers" präsentiert viele zeitgeistige Sketche. Ist es die Idee hinter dem Format, dass man besonders lustige Aspekte unserer gegenwärtigen Gesellschaft einfangen will?

Matthias Matschke: Wir wollen zumindest sehr nah am Puls der Zeit sein. "Wir sind die Meiers" heißt natürlich eigentlich: "Wir sind Deutschland" oder "Wir sind alle". Was das bedeutet, kann eigentlich immer nur im Rahmen des Jetzt erklärt werden. Die Meiers in zehn Jahren oder auch vor zehn Jahren, das wären schon wieder ganz andere Leute. Dafür verändert sich unsere Kultur zu schnell. Vor zehn Jahren war Deutschland auf jeden Fall noch ein ganz anderes Land.

prisma: Inwiefern?

Matschke: Wir waren unbesonnener in Sachen Klimawandel, wir hatten noch nicht so viele undemokratische Parteien und Tendenzen im Umgang miteinander, aber auch noch nicht so viel "Awareness" für Minderheiten und Unterprivilegierte. "Wir sind die Meiers" überführt all diese und noch viele andere Aspekte unserer Gesellschaft in lustige Szenen. Wir Schauspieler versuchen dann, diese darstellerisch auf den Punkt zu bringen.

"Wir sind zum Glück nicht Amerika"

prisma: Wie leicht oder schwer ist es, den Zeitgeist zu erfassen, wenn man noch mittendrin steckt?

Matschke: Es ist tatsächlich gar nicht so einfach, den Zeitgeist exakt zu erfassen. Zwar erkennt man gewisse Phänomene, aber ob man diese auch komödiantisch-analytisch einfängt, also den Kern des Ganzen trifft -, das ist schon eine Leistung. Deshalb ergibt es zum Beispiel Sinn, bei Fiction-Stoffen über historische Gegebenheiten mal zehn Jahre zu warten, bis man sie in einen Film oder eine Serie überführt. Bei Sketch-Comedy, wie wir sie machen, ist es aber etwas anderes. Wir wollen eine lustige Aussage über das treffen, was uns gerade umgibt. So etwas muss relativ schnell passieren. Komik, würde ich sagen, ist oft stark an die Gegenwart gebunden.

prisma: Wenn "Wir sind die Meiers" ein aktuelles Deutschlandbild malt, was für eine Gesellschaft sind wir überhaupt? Sind wir gespalten, so wie die Amerikaner, oder gibt es bei uns einen Konsens, wie wir Deutsche sein wollen?

Matschke: Wir sind zum Glück nicht Amerika. Früher habe ich sehnsüchtig dorthin geschaut, sei es in Sachen Comedy, Drama oder Musik. Das hat sich bei mir stark gewandelt. Die Spaltung Amerikas findet ja nicht nur politisch zwischen Trump-Anhängern und Demokraten statt, sondern im Selbstverständnis, wie man die Welt sieht und mit ihr umgeht. Wenn wir heute nach Amerika blicken, macht uns das ein bisschen ratlos, weil dieser einst geliebte große Bruder irgendwie stumm oder zumindest ziemlich seltsam geworden ist.

prisma: Und dieser Zustand trifft – auf Deutschland übertragen – nicht zu?

Matschke: Ich glaube, bei uns gibt es noch mehr Verbindungspunkte. Da ist eine gewisse Mentalität – und zwar nicht jene der Pünktlichkeit, Gerechtigkeit und Ordnung -, sondern ein deutsches Selbstverständnis, wie man an die Dinge rangeht. Das unterscheidet uns von so manch anderer Nation. Selbst im Disput, wie man über Dinge streitet, gibt es deutsche Charakteristika. Wir haben Übereinkünfte, wie wir Dinge verhandeln, und das ist mehr als das, was man in tatsächlich gespaltenen Gesellschaften vorfindet.

"'Markus Lanz' ist für mich Deutschland, wie es leibt und lebt"

prisma: Welches Gemeinsame haben wir Deutschen denn konkret?

Matschke: Nehmen wir die Sendung "Markus Lanz" – das ist für mich Deutschland, wie es leibt und lebt. Wir alle denken: So wie dort, gehen wir miteinander um. Wir alle, meine Mutter, meine Tochter und ich selbst – da nenne ich bewusst drei Generationen – haben eine Tendenz, die Dinge so zu betrachten und zu verhandeln wie dort. Insofern sage ich: Das ist Deutschland. Es ist jedoch noch ein bisschen komplizierter, denn die Repräsentativität alter Medien wie dem Fernsehen wird auch überschätzt.

prisma: Aber suchen wir Deutschen immer noch mehr nach Konsens als beispielsweise die Amerikaner?

Matschke: Ja, das würde ich schon sagen. Wir sind auch relativ leidensfähig, bevor wir uns aufregen. Ich fahre viel mit der Deutschen Bahn, bei der bekanntlich vieles nicht klappt. Trotzdem bin ich oft erstaunt, wie ruhig die Gäste bleiben, wenn um sie herum Chaos herrscht. Oder dass niemand der FDP auf die Füße tritt, wenn sie einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung irre Versprechungen macht nach dem Motto: Wir bauen die Autobahnen größer. Wir Deutsche meckern gerne, aber letztendlich tun wir wenig. Auch das ist ein Kennzeichen von uns.

prisma: Haben Sie eigentlich Helden im Bereich Sketch-Comedy?

Matschke: Mit Helden tue ich mich generell schwer. Was das Format betrifft, habe ich in "Ladykracher", wo ich ja wirklich lange dabei war, am meisten gelernt. Wer Sketch-Comedy macht, muss die Hit-and-Run-Taktik beherrschen. Man geht irgendwo rein, malt schnell die Wand an und ist im nächsten Moment wieder draußen. Wer auf so etwas keinen Bock hat, braucht gar nicht erst in der Sketch-Comedy anzufangen.

"'Pastewka' wurde – ungewollt – zum Marathon"

prisma: Wenn Sie Sketch-Comedy mit langen komischen Formaten wie "Pastewka" vergleichen, wo sie über viele Jahre Pastewkas Halbbruder Hagen gespielt haben, was ist leichter oder schwerer?

Matschke: Es ist einfach anders. Wenn man es mit der klassischen Musik vergleicht, dann war "Pastewka" über 15 Jahre und zehn Staffeln keine Symphonie, es waren viele Serenaden. Oder wenn man einen sportlichen Vergleich wagt: "Wir sind die Meiers" ist 100-Meter-Sprint, und "Pastewka" sehe ich eher als 800-Meter-Lauf. Man muss sich die Kraft einteilen, aber irgendwie muss man doch auch die ganze Zeit ziemlich Gas geben.

prisma: Aber wenn "Pastewka", eines der am längsten laufenden komischen Formate der deutschen TV-Geschichte, nur der 800-Meter-Lauf war, welche Art von Komik entspricht denn dann dem Marathon?

Matschke: "Pastewka" wurde über die zehn Staffeln – ungewollt – zum Marathon. Ein Wettkampf mit Pausen und Stadionwechseln, weil wir ja auch vom klassischen Fernsehen zum Streamingdienst gewechselt sind und auch Prämissen-Wechsel drin hatten. Zum Marathon wird Komik immer nur dann, wenn man Formate in einer längeren Entwicklung betrachtet. Lustige Szenen an sich sollten sich niemals anfühlen wie ein Langstreckenlauf (lacht).

prisma: "Wir sind die Meiers" ist komplett von Headautor Chris Geletneky und seinem Writer's Room geschrieben. Ein Schauspiel-Ensemble setzt die Szenen um. Da Sie auch selbst Autor sind: Wie sehr nervt es, wenn man nicht mitreden darf bei den Witzen, die man spielt?

Matschke: Mit Chris Geletneky haben wir einen Autor, dem man nicht wirklich widersprechen kann. Erstens, weil er ein Großmaul ist, und zweitens, weil er und sein Writer's Room es sehr gut machen. Normalerweise mische ich mich gerne ein, wenn es um meine Rollen geht. Auch hier habe ich immerhin eine Figur mitentwickelt: Ron Meier, ein Paarmasseur. Das Vorbild für die Rolle habe ich irgendwo bei Instagram gefunden und gedacht: "Wahnsinn, diesen Typen muss ich da reinbringen." Aber auch den haben die Autoren nach meinem Input ausgearbeitet. Ich mache jetzt fast seit 30 Jahren Comedy. Vielleicht ist es Altersweisheit, dass ich jetzt auch mal glücklich zurücktreten und einfach nur spielen kann, was sich andere – in diesem Fall sehr gute Leute – ausgedacht haben.

"Als Vater habe ich nicht den nötigen Abstand"

prisma: Im "Wir sind die Meiers"-Ensemble spielen sie mit alten Weggefährten wie Bettina Lamprecht oder Holger Stockhaus zusammen, aber auch erstmals mit ihrer Tochter Maria Matschke Engel. Wie kam es dazu?

Matschke: Ich hatte nichts damit zu tun, ehrlich (lacht). Sie hat auch jetzt erst angefangen, Schauspiel als Beruf zu verfolgen. Dass sie es kann, habe ich mir schon länger gedacht, aber als Vater habe ich nicht den nötigen Abstand, um es seriös zu beurteilen. Chris Geletneky hat sie bei einer Comedy-Lesung in Köln gesehen und gesagt: "Die sollten wir mal dafür casten". Wir hatten auch nur eine, aber dafür eine etwas längere Improvisations-Szene gemeinsam.

prisma: Und wie hat sich die angefühlt?

Matschke: Seltsam, weil es einerseits vertraut war, aber auch eben komisch. Man sieht seine Tochter, die man schon immer kennt, die auf einmal zu einer Kollegin wird. Eine Schauspielerin, mit der man ganz normal arbeitet. Es ist etwas, an das man sich erst mal gewöhnen muss. Aber es war auch eine sehr schöne Erfahrung.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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