Kritik zu Bremer Fall

"Tatort: Und immer gewinnt die Nacht": Tod eines "Gutmenschen"

von Eric Leimann

In seinem zweiten Fall wird das Bremer Trio Jasna Fritzi Bauer, Luise Wolfram und Dar Salim mit der brutalen Ermordung eines "Gutmenschen" konfrontiert. Wer tötete den Arzt, der kostenlos Obdachlose behandelte?

ARD
Tatort: Und immer gewinnt die Nacht
Kriminalfilm • 12.12.2021 • 20:15 Uhr

Nach ihrem ersten Auftritt im Krimi "Neugeboren" war man noch unentschieden, wie man die neuen Bremer Ermittelnden so finden soll: Luise Wolfram als leicht autistische, dem Zynismus zugetane Sonderling-Bohnenstange Linda Selb, die hochengagierte Frischlings-Kommissarin Liv Moormann (Jasna Fritzi Bauer) sowie der melancholisch coole Exil-Däne Mads Andersen (Dar Salim). Fazit vieler Kritiker im Frühjahr: das Trio hat Potenzial, doch der Fall war etwas zu ambitioniert "gebaut". Nun ja, nach dem zweiten Streich ist man mit dem neuen Bremer "Tatort" nicht viel schlauer, denn man könnte die Kritiker-Bewertungen des Debüts einfach wiederholen – was selbstredend nur auf die Wirkung des Krimis zutrifft, seine Handlung ist logischerweise eine andere.

Das Mordopfer hört auf den Namen Dr. Björn Kehrer (Markus Knüfken). Man sieht ihn in einer der ersten Szenen bei der Rettung eines Obdachlosen, den der Arzt fast schon aus dem Tod zurückholt. Wenig später wird Dr. Kehrer allerdings brutal und mutwillig überfahren. Damit erleidet er dasselbe Schicksal wie das Opfer der letzten "Tatort"-Folge, die vor zwei Wochen auf dem Programm stand ("Masken" aus Dortmund). Darf man so etwas "Fun Fact" nennen? Doch wer will einen Menschen töten, der alleine lebte und seine gesamte Arbeits- und Lebenszeit der kostenlosen Behandlung von Armen und Bedürftigen widmete?

Die Ermittelnden haben ein junges lesbisches Pärchen (Anna Bachmann und Franziska von Harsdorf) im Visier. Der behindete Bruder einer der jungen Frauen wurde in der Warteschlange zu Dr. Kehrers Praxis von Kirsten Beck (Lisa Jopt) abgewiesen. Wie jeden Morgen sortierte die Arzthelferin jene Patienten aus, die "nicht krank genug" erschienen. Kurze Zeit später erleidet der behinderte Junge einen Hirnschlag und liegt nun im Koma. Doch auch die Arzthelferin – ähnlich einsam wie ihr Chef – ist verdächtig. War sie unglücklich in ihren Chef verliebt? Ein weiterer Ermittlungsansatz führt Mads Andersen in den Hafen, wo Dr. Kehrer den Tod fand.

Unweit des Tatorts liegt das Schiff "Always Lucky" vor Anker, dessen Besatzung zwar angeblich nichts mitbekommen hat, sich aber dennoch verdächtig verhält. Mads Andersen versucht, auf dem Frachter als Matrose anzuheuern. Gleichzeitig wird der Däne, der zu Beginn des Films nach Kopenhagen zurückgekehrt ist und dem das Drehbuch aufgrund von dortigem Job-Frust eine schnelle Rückkehr verordnet, noch von einem mysteriösen Jugendlichen verfolgt. Erfährt man im zweiten Film mehr über die schillernde Vergangenheit des dänischen Gast-Ermittlers in der Hansestadt?

Der Regiestuhl des Krimis wurde ziemlich prominent mit Oliver Hirschbiegel ("Der Untergang") besetzt. Und wie beim Debüt "Neugeboren" stammt das Drehbuch von Christian Jeltsch. Kaum jemand hat so lange – seit 25 Jahren – und für so viele "Tatort"-Reviere Drehbücher geschrieben, wie der 1958 geborene Kölner Autor ("Die verlorene Tochter"). Zu Fall eins gibt es deutliche "handwerkliche" Parallelen. Wiederum startet der Krimi mit einer Art Ouvertüre, die einen Teil des für die Zuschauenden da noch unbekannten Personals in kurzen, collagenhaften Schicksalsszenen vorstellt. Dazu stimmt einer der Ermittelnden, quasi vorab aus dem Off, ein paar philosophische Gedanken zur Natur des Menschen an. Man wähnt sich kurzzeitig in einem Kunstkrimi, doch Ulrich Tukur-"Tatort"-Hasser können aufatmen: Nach kurzer Zeit sortieren sich Handlung und Personal, es folgt eine eher klassische Ermittlung.

Britischer Humor auf Bremer Art

Was bei einem so erfahrenen Autor wie Jeltsch wundert, ist das Füllhorn an Motiven, das der Erfinder dieses "Tatorts" über seinen Figuren ausgießt. Da wären zum einen die Backstorys von drei Ermittlern: Dar Salim darf ziemlich viel untertiteltes Dänisch sprechen, Linda Selb wohnt – immer auf dem Sprung – in einem transportablen Tiny House, und Liv Moormann kommt aus schwierigen einfachen Verhältnissen. Daneben geht es um Armut, junge Frauen mit Wut und Gewaltpotenzial, Selbstbetrug sowie Betrug in der Familie und verschmähte Liebe. Ganz schön dunkel und mit viel angeschlagenem Personal unterwegs, diese neuen Bremer Krimis. Nach wie vor liegt die Stärke des ermittelnden Trios in netten, schwarzhumorigen Szenen und Dialogen, die etwas von gut adaptierten britischen Humor haben.

Der mit Weltschmerz und viel "Bedeutungsschwangerschaft" aufgeladene Fall ist hingegen sehr deutsch und bleischwer. Ein wenig mehr Leichtigkeit oder zumindest Fokussiertheit würde den neuen Bremer Fällen gut zu Gesicht stehen. Das Trio mit Potenzial arbeitet vorerst weiter auf Bewährung.

Tatort: Und immer gewinnt die Nacht – So. 12.12. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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