Deborah Ann Harry wuchs als Adoptivkind der Familie Harry in einem kleinen Vorort von New Jersey auf, wo man sich nur Langweilen konnte. "Ich kleidete mich schwarz und tat so, als sei ich tough." Mit 20 wollte sie raus, ging nach New York und tauchte in die Künstlerszene um Andy Warhol ein: "Ich wollte mich selbst finden. Ich wollte eine Künstlerin sein oder im Showbusiness, etwas Aufregendes, Glamouröses erleben. Ich wollte nicht das, was von mir erwartet wurde. Ich wollte leben! Ich wollte immer ein Filmstar sein, berühmt. Ich weiß nicht, ob ich an Schicksal glaube, aber ich wusste immer, dass ich das Potential hatte, etwas zu machen, ich wusste nur nicht genau was."
Das bedeutete in Sechzigern erst einmal als Sekretärin, Kellnerin und Model für einen Maler jobben, dann als Playboy-Bunny und danach für kurze Zeit in einem Frisiersalon, wo sie sich zum ersten Mal die Haare blondierte. Ihre musikalische Karriere startete Debbie Harry 1968 als Background-Sängerin bei einer erfolglosen Folk-Gruppe namens "Wind in the Willows", 1973 lernte sie ihren Freund, den Gitarristen Chris Stein kennen. Die beiden traten als "The Stilettoes" auf und gründeten 1974 gemeinsam mit Bassist Gary Valentin, Keyboarder James Destri und Drummer Clem Burke die Gruppe "Blondie", die sich nach einigen mühseligen Jahren zu einer der erfolgreichsten Gruppen der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre entwickelte. Zunächst boykottierten die Radiosender aber die Band. Debbie Harry: "Es war sehr aggressiver Pop, mit einer Frontfrau, und eine aggressive Frontfrau gab es im Pop noch nicht wirklich."
1976 waren sie schon die Lieblinge der Punk-Szene in downtown Manhattan, nahmen ihre erste Platte auf, gingen mit David Bowie und Iggy Pop auf Tour. 1977 kletterte "Denis" auf den zweiten Platz der britischen Charts. Die erste Nummer eins in den Staaten und Blondies erster Welthit war 1979 "Heart of Glass", die erste Rock-Disco-Fusion-Nummer. Debbie Harry: "Wir haben es gemacht, weil wir uncool sein wollten." Das dritte Album "Parallel Lines" (1978) verkaufte sich 20 Millionen mal. Auf Erfolgstitel wie "Sunday Girl" folgten "Hanging on the Telephone", "Dreaming", "Atomic", "Call Me", "The Tide Is High" und "Rapture", der erste Rapsong, der es an die Spitze der Charts schaffte. "Als Blondie in den Achtzigerjahren so viel Erfolg hatte, wurde ich ein Teil des Mechanismus dieser Industrie und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Das distanzierte mich von der Untergrund-Kultur und entfernte mich von dem, was mich kreativ machte. Ich war natürlich froh, eine Menge Geld zu machen, aber damit übernimmt man auch Verantwortung. Ich hatte mein eigenes Image entworfen, jetzt war ich darin gefangen." 1982 löste sich die Band um Debbie Harry nach sieben wilden Jahren auf. Nachdem ihr erstes Solo-Album erschienen war, pflegte die Sängerin zwei Jahre lang den todkranken Chris Stein.
Neben weiteren Solo-LPs und Hits wie "French' Kissin" in the USA verfolgte sie auch verstärkt ihr zweites Karriere-Standbein als Schauspielerin. Ihren ersten kurzen Filmauftritt hatte sie - als Sängerin ohne Credit - in dem New York-Krimi "Eiskalt" (1975), war danach unter anderem in zwei Filmen ("Unmade Beds", 1976, "Der Fremde", 1977) von Underground-Regisseur Amos Poe zu sehen, gab ihr dramatisches Debüt als Schauspielerin aber erst 1980 in der hintersinnigen Low Budget-Tragikomödie "Nachts in Union City" (1980), in dem sie die frustrierte Frau eines neurotischen Geschäftsmanns spielte. Die dunkelhaarige Freundin von James Woods spielte sie in David Cronenbergs Horror-Thriller "Videodrome" (1983). 1986 hatte sie zwar die Titelrolle in der Komödie "Für immer: Lulu" (1986). Eine größere Rolle spielte sie dagegen nach der Musikkomödie "Satisfaction" (1987) mit Liam Neeson und Julia Roberts wieder - mit gigantischer Turmfrisur - in John Waters' "Hairspray" (1987).
Für den Kultregisseur hatte Debbie Harry bereits den Titelsong zu "Polyester" (1981) geschrieben, den dann Bill Murray sang. Man sah die Sängerin in den Horror-Episodenfilmen "Book of Death" (1988) und "Geschichten aus der Schattenwelt" (1990), im Woody Allen-Segment der "New Yorker Geschichten" (1989) und dann wieder in einer großen Rolle in James Mangolds gelungener Tragikomödie "Liebeshunger" (1995) - als alternde Kellner-Kollegin von Liv Tyler. Außerdem war sie in der Independent-Komödie "Six Ways to Sunday" als extrem mütterliche Mutter eines 18-Jährigen zu sehen, der als Killer von der Mafia engagiert wird, und in einer kleinen Rolle in "Cop Land". 2002 sah man sie in dem Dramav"Mein Leben ohne mich". Abgesehen davon sind Songs von Blondie und Debbie Harry natürlich in allen möglichen Filmen von "Kleine Biester" über "Scarface" bis "Nightmare on Elm Street IV" vertreten.
Neben den Filmen schrieb Deborah Harry viel und ging seit 1995 mit der New Yorker Avantgarde-Truppe "Jazz Passengers" auf Tournee, trat in einer Broadway-Show über Frauen-Wrestling auf. Im Sommer 1997 gab es dann wieder einige Konzerte mit "Blondie". Anfang 1999 erschien das Comeback-Album der Band, "No Exit". Der Song "Maria" schoss sofort in die Top Ten. Die Rückkehr war also gelungen, in Folge erschienen weitere Alben wie "The Curse of Blondie" (2003), "Live At The Apollo Theatre" (2004) und "Greatest Hits: Sound & Vision" (2006). Und wie "Blondie" ist auch Debbie Harry immer noch erstaunlich jugendlich, progressiv, enthusiastisch, zu Experimenten aufgelegt - eine Frau, die viel Lust macht auf mehr, auf dem Plattenteller und auf der Leinwand.
Weitere Filme mit Debbie Harry: "Spun" (2002), "A Good Night to Die", "The Tulse Luper Suitcases, Part 1: The Moab Story" (beide 2003), "The Curse of Blondie" (2004), "Honey Trap", "Patch" (beide 2005), "I Remember You Now...", "Full Grown Men" (beide 2006), "Elegy oder die Kunst zu lieben" (2008), "Blank City" (2009).