Sonntag am Tatort

"Da kommen doch keine Idioten!"

03.11.2017, 08.10 Uhr
von Florian Blaschke
Bilden ein Team: Susanne Bormann (l.) und Maria Furtwängler (r.).
BILDERGALERIE
Bilden ein Team: Susanne Bormann (l.) und Maria Furtwängler (r.).  Fotoquelle: NDR/Marion von der Mehden

Wenn schon die ersten Szenen eines Tatorts den Zuschauer maßlos wütend machen, hat der Regisseur offensichtlich einen Nerv getroffen. Vereinfacht könnte man sagen, im "Fall Holdt" von Anne Zohra Berrached geht es um das Verhältnis der Geschlechter und seine dunklen Seiten. Und Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) muss gleich zu Beginn nicht nur einen sexuellen Übergriff, sondern auch Gewalt über sich ergehen lassen. Eine Szene, die in die Zeit passt.

Julia Holdt (Annika Martens) ergeht es nicht besser, im Gegenteil. Die Gattin des Bankiers Frank Holdt (Aljoscha Stadelmann) wird im Wald von zwei Männern entführt, eine Aktion, die auch nicht ohne Gewalt abläuft. "Und keine Polizei, sonst schneiden wir Ihrer Frau den Kopf ab", drohen die Entführer ihrem Mann am Telefon, nachdem der den abgeschnittenen Pferdeschwanz seiner Frau in der Post gefunden hat. 300.000 Euro soll er auftreiben. Bloß: Die hat er nicht.

Doch Holdt hat noch ein weiteres Problem. Denn sein Schwiegervater hat einen Freund im Innenministerium eingeschaltet, um Hilfe von der Polizei zu kriegen. "Die Polizei hat doch Spezialisten für solche Sachen", sagt er im Brustton der Überzeugung. "Da kommen doch keine Idioten!" Und so ist es auch. Denn das Innenministerium schickt Charlotte Lindholm. Zwar nicht in bestem Zustand, aber sicher keine Idiotin.

Spielfreudige Darsteller-Riege

Entführungsfälle sind durchaus ein beliebtes Genre beim Tatort. Doch "Der Fall Holdt" des NDR ist selbst in diesem Bereich eine Ausnahmeerscheinung. Ein dichter, atmosphärischer Plot, ein stimmiges, aber ungewöhnliches Szenenbild, glaubwürdige und facettenreiche Charaktere, die von einer beeindruckend spielfreudigen Riege an Darstellern verkörpert werden, sorgen für Dramatik, Spannung und einen ständigen, emotionalen Unterton, der ins Mark trifft.

Besonders überzeugend ist das Spiel der Kamera mit den Figuren. Immer wieder wechselt die Perspektive, immer wieder sorgt dieser Tatort beim Zuschauer so für Neugier, aber auch für Empathie. Und für Unsicherheit, wer hier eigentlich Täter und wer Opfer ist. Psychologisch ausgeklügelt.

Vor allem aber spielt das Drehbuch von Jan Braren das Verhältnis der Geschlechter auch im weiteren Verlauf der Geschichte durch, in verschiedensten Facetten. In Zeiten wiederkehrender Schlagzeilen ist dieser Tatort somit nicht nur ein hochklassiger Sonntagabendkrimi, sondern ein wichtiges Stück Debattenkultur.

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