Sandra Borgmann

"Eine gute Figur braucht immer einen guten Alptraum"

von Eric Leimann

    Schon wieder eine neue Kommissarin. Doch diesmal bei SAT.1 – wo Krimis auch mal schräger und schriller sein dürfen, als in der öffentlich-rechtlichen TV-Wirklichkeit. Der Privatsender hat sich Andreas Franz' Besteller-Reihe um eine Frankfurter Ermittlerin angenommen. "Jung, Blond, Tot: Julia Durant ermittelt" (Dienstag, 4.12., 20.15 Uhr, SAT.1) heißt ihr erster Fall.

    Charakterdarstellerin Sandra Borgmann, seit über 20 Jahren immer wieder in starken Nebenrollen zu sehen, spielt die zierliche Frau mit festem Stand. Borgmann, 44, über eine Kommissarin, die auch mal irritierend anders sein darf, über den Blick weiblicher Filmemacher auf Frauenfiguren und den Unterschied zwischen Kunst und der Fernsehfiktion von heute.

    prisma: Es gibt 18 Kriminalromane mit Ihrer Ermittlerin Julia Durant. Wie viele davon haben Sie vor dem Dreh gelesen?

    Sandra Borgmann: Keinen – erst mal. Weil ein Drehbuch eine eigene Sache ist. Ich will nicht, dass die Vision des Drehbuchs mit den Bildern eines Romans durcheinandergerät.

    prisma: Wird Julia Durant bei SAT.1 in Reihe gehen?

    Sandra Borgmann: Na klar, das ist der Plan. Sie wäre prädestiniert dafür. Wir hätten jedenfalls große Lust, mehr als nur einen Julia-Durant-Fall zu verfilmen.

    prisma: Wodurch hebt sie sich von anderen TV-Ermittlern ab?

    Sandra Borgmann: Ehrlich gesagt habe ich mich das nie gefragt. Ich lese ein Drehbuch, drehe einen Film und schaue, wie mir das, was ich lese und später sehe, gefällt. In diesem Fall, finde ich, ist es ein toller Film mit starker Bildsprache geworden. Und wir hatten die Chance, sie zu entwickeln. Das macht natürlich großen Spaß.

    prisma: Der Krimi wirkt tatsächlich sehr "stylisch", er transportiert sehr schicke Bilder. Gleichzeitig geht es um eine Kommissarin, die einsam ist.

    Sandra Borgmann: Ich weiß gar nicht, ob Julia Durant einsam ist. Ich glaube, sie mag, was sie lebt, genauso wie es ist. Sie ist ein bisschen verrückt, aber sonst wär's ja auch langweilig. Und die Bilder empfinde ich als das Gegenteil von schick (lacht). Sie spiegeln eine Menge über das Innenleben der Menschen, über die erzählt wird und über die Dynamiken, in denen sie sich bewegen. Und das entwickelt einen ziemlichen Sog.

    prisma: Gleich im ersten Buch wie auch Film wird Julia Durant als Frau mit einem Trauma dargestellt. Sie hat einen Angriff nur knapp überlebt. Ist sie eine dieser schwer beschädigten Ermittler?

    Sandra Borgmann: Sie ist vieles, weshalb ich sie so mag. Es gibt die Ausgangssituation mit dem vorangegangenen Albtraum. Eine gute Figur braucht immer einen guten Alptraum. Gleichzeitig ist Julia eine, die verführerisch und lebenshungrig ist. Sie hat überaus charmante Seiten – und sehr uncharmante (lacht). Aber sie unbestechlich, auch als Ermittlerin.

    prisma: Ein Mann hat sich diese Frau für die Romanreihe ausgedacht. Drei Männer schrieben das Drehbuch, welches von einer Frau mit Ihnen in der Hauptrolle verfilmt wurde. Ist Julia Durant eine Männer- oder Frauenfantasie?

    Sandra Borgmann (lacht): Keine Ahnung! Unsere Regisseurin Maria von Heland hat übrigens die letzte Drehfassung geschrieben. Da veränderte sich noch mal einiges. Frauen sehen Frauen als Menschen. Ob Männer sie genauso sehen, variiert von Mann zu Mann. Ich würde sagen, Julia Durant spielt eher mit Männerfantasien, als dass sie sie bedient. Und dazu hat Maria Regie geführt. Das schärft den Blick natürlich nochmal.

    prisma: In welcher Situation merken Sie das?

    Sandra Borgmann: An der Art und Weise, wie sie diese Dynamiken erzählt. Julia Durant kann sehr gelassen auf sexistische Provokationen von Männern reagieren und spielt mit deren Machtgebaren, ohne sich davon einwickeln zu lassen. Sie bleibt sie selbst mit einer Selbstverständlichkeit, die sicher dem weiblichen Blick geschuldet ist.

    prisma: Was an Ihrem Krimi auffällt – die Location-Scouts haben exzellente Arbeit geleistet. Sie haben in und um Frankfurt ungeheuer stilvolle Ort gefunden, die den Krimi aufwerten.

    Sandra Borgmann: Das stimmt, wir haben in wunderschönen oder zumindest sehr außergewöhnlichen Häusern und Räumen gedreht. Das hat damit zu tun, dass der Fall in der Oberschicht Frankfurts spielt. Da betritt man Welten, wo ich nur dachte: Es ist unfassbar, wie reich manche Menschen sind.

    prisma: Ist es nicht erstaunlich, dass die Eigentümer ihre Wohnungen für Dreharbeiten vermieten?

    Sandra Borgmann: Grundsätzlich – ja. Die Frage kommt immer mal wieder auf, wenn man an solchen Orten dreht. Nur weiß ich nicht, warum man seine Lebensräume vermietet, wenn man so vermögend ist. Das müsste man die Vermögenden fragen (lacht). Aber ich habe mich über die starken Locations bei Julia Durant natürlich sehr gefreut: Über Räume erzählt man eine Geschichte genauso stark, wie über den Menschen. Gerade Wohnräume können eine große Wärme ausstrahlen – oder eine Eiseskälte.

    prisma: Sie sind einerseits lange im Geschäft. Oft waren Sie jedoch in pointierten, starken Nebenrollen zu sehen. Macht Sie eine Hauptrolle, mit der Sie letztlich den Film tragen müssen, noch nervös?

    Sandra Borgmann: Ich drehe seit 22 Jahren. Tatsächlich hat es mich total gefreut, dass mir SAT.1 das Vertrauen schenkte, diese Figur zu übernehmen. Es hat mich schon berührt! Insofern macht mich das Projekt total froh, zudem die Arbeit mit Maria und unserem Kameramann Cristian Pirjol tatsächlich großartig war. Man macht ja so einen Film nicht allein. Und die beiden haben da für die Reihe schon eine starke Markierung gesetzt in ihrer Erzählweise.

    prisma: Wie sind Sie zu der Rolle gekommen?

    Sandra Borgmann: Es gab ein Casting. Und Maria wollte mich unbedingt haben, das war wie ein Geschenk (lacht).

    prisma: Ist es etwas anderes, für die Privaten zu drehen?

    Sandra Borgmann: Ich habe keinen Unterschied bemerkt. Uns wurde bei der Umsetzung im Großen und Ganzen auch völlig freie Hand gelassen.

    prisma: Man hört öfter, dass die Einmischung der Redakteure in die Arbeit der Kreativen bei privaten Sendern oder Streaming-Diensten viel dezenter ausfällt. Trotzdem sieht man privaten Serien oder Filmen ihren Sender oft an. Passiert das, weil die Kreativen auch ein Stück weit "das Produkt" im Kopf haben?

    Sandra Borgmann: Schon dass wir "Kreative" genannt werden, ist verräterisch (lacht). In der Werbeindustrie nennen sie so die Irren, die den Laden am Laufen halten. Ein Fernsehfilm ist immer ein Produkt – allein weil er so viel Geld kostet. Früher war er außerdem eine Kunstform und alles Mögliche mehr. Teilweise war das ziemlich anarchisch. Heute werden Filmschaffende "Kreative" genannt und der Film ist vor allem ein Konsumgut mit Zielgruppe und einem Marktwert, der durch die Quote bestimmt wird. Das spiegelt sich in der Bildsprache, Besetzung und Erzählweise wider. In manchen Formaten extrem, in anderen weniger, in ein paar wenigen kaum. Trump würde sagen "That's the deal" (lacht).


    Quelle: teleschau – der Mediendienst

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