"Das ewige Besserwissen hilft nicht gegen den Klimawandel"
Der deutsche Segler Boris Herrmann brachte Greta Thunberg über den Atlantik, später umsegelte er im Rahmen der "Vendée Globale" die Welt. Dieser Man hat eine Menge zu erzählen: über seine Liebe zum Segelsport, die Gefahr auf hoher See und den Kampf gegen den Klimawandel.
Boris Herrmann lebt seinen Traum: in 80 Tagen um die Welt – alleine, stets auf hoher See. Der Profi-Segler war mit seinem Segelschiff vom 8. November 2020 bis zum 27. Januar dieses Jahres auf den Weltmeeren unterwegs. Als erster Deutscher nahm der inzwischen 40-Jährige an der Vendée Globe teil, der anspruchsvollsten Einhandregatta überhaupt, und schloss auf Rang fünf ab. Die ebenso schweißtreibende wie nervenzehrende Fahrt wurde in der Doku "Sturmfahrt – Boris Herrmann auf der härtesten Segelregatta der Welt" (aktuell abrufbar bei RTL+) festgehalten. In der UFA Documentary Produktion "Boris Herrmann – Die ganze Welt des Segelns" (seit dem 04. November auf RTL+) widmet sich der gebürtige Oldenburger, der 2019 mit Greta Thunberg nach New York segelte, zudem dem vielseitigen Kosmos seines Lieblingssports.
prisma: Herr Herrmann, Sie sind um die ganze Welt gesegelt. Wieviel Faszination strahlt der Ozean noch für Sie aus?
Boris Herrmann: Ich bin einfach gerne am Meer, das ist für mich ein Stück weit zu Hause. Manchmal ist es auch mein Arbeitsplatz. Gleichzeitig bleibt es aber auch meine Leidenschaft, eine Faszination. Licht, Farben und Wetter ändern sich auf dem Meer ständig. Dabei muss es gar nicht unbedingt der große Ozean sein, es kann auch die Küste in Norddeutschland sein. Wenn es um Rennen geht, besteht die Faszination für mich in der Konfrontation von Natur, Technik und Mensch.
prisma: Sie wurden bereits als Kind an den Segelsport herangeführt.
Herrmann: Vor allem mein Dad war passionierter Segler, und so wie andere Familien mit ihrem Wohnwagen oder zum Ferienhaus gefahren sind, sind wir jedes Wochenende zum Boot gefahren. Bereits als Kleinkind habe ich bei Segelfahrten auf Sandbänken im Wattenmeer gespielt. Dadurch habe ich eine ganz enge Verbindung zum Leben am Bord. Mit dem Rauschen des Windes im Mast bin ich eingeschlafen. Das sind sehr schöne Erinnerungen.
prisma: Viele Jahre später begaben Sie sich auf eine Reise voller Strapazen. Welcher Abschnitt der Vendée Globe war am belastenden?
Herrmann: Der schwierigste Abschnitt des Rennens war für mich die Strecke zwischen Kapstadt und Australien. Auf dem Indischen Ozean herrschte die ganze Zeit Sturm und heftiger Seegang, grundsätzlich schwierige Bedingungen. Danach gab es im Pazifik noch Probleme, am Kap Horn hatte ich ein Loch im Segel. Aber die Rückfahrt im Atlantik war dann deutlich erbaulicher. Das Rennen hatte einfach eine eigene Dramaturgie.
prisma: Spielt man bei all den Strapazen manchmal mit dem Gedanken aufzugeben?
Herrmann: Nein. Dadurch käme man ja auch nicht schneller zurück, außer vielleicht man würde in Südamerika anlegen. Man hat sich so lange vorbereitet und das Rennen ist nur die Spitze des Eisbergs. Die ganzen Jahre zuvor hat man Energie in Vorbereitung und Planung investiert, das ist natürlich auch anstrengend. Überhaupt bis zum Start zu kommen, ist schon nicht einfach. Da fragt man sich auf dem Weg dahin schon eher, ob sich das Aufgeben lohnt.
prisma: Was genau ist denn in den vier Jahren Vorbereitung passiert?
Herrmann: Zuerst musste ich Mitstreiter finden und Allianzen schmieden: Ich brauchte Partner, Sponsoren, Team-Mitglieder, einen Investor, der das Schiff für uns kauft. Das ist wie ein Puzzle, das man zusammenbauen muss. Als ich dann das Schiff hatte, bin ich natürlich viel gesegelt – ich glaube elfmal über den Atlantik -, um Erfahrungen zu sammeln."
prisma: Im Zweifel lieber "Volle Kraft voraus" oder Vorsicht?
Herrmann: Vorsicht! Beim Segeln sagen wir statt "to finish first", "first you have to finish" – erst mal das Rennen zu Ende fahren. Das gilt beim Vendée Globe umso mehr. Alle, die ins Ziel kommen, haben irgendwelche technischen Probleme und keiner ist mehr mit Vollgas unterwegs. Bei diesem Marathon wird das Boot eben sehr beansprucht und oft geht etwas kaputt. Meine Strategie im letzten Vendée Globe war super: Ich war Zwölfter am Kap Horn, hatte aber ein Boot, welches noch nicht so beschädigt war und konnte im Atlantik dann voll angreifen und viele überholen.
prisma: "Das Meer tötet auch sofort", sagen Sie in der Doku, als sie auf ihrem Boot von einem verunglückten Kollegen erfahren haben, dessen Boot auseinanderbrach.
Herrmann: Wir gehen eigentlich immer von sicherem Schutz aus. So ein Schiff bricht eigentlich nicht durch, das hatten wir noch nie gehört. Das war nicht nur sehr ungewöhnlich, sondern hat uns auch wirklich erschüttert. Ein Konstruktionsfehler hat diese gefährliche Situation verursacht. Das hatte teilweise auch psychologische Auswirkungen auf den Rest des Feldes. Aber ich würde auch behaupten, bei zukünftig genutzten Schiffen kann das nicht wieder passieren.
prisma: Wie gehen denn Familie und Freunde mit dem Restrisiko um?
Herrmann: Also meine Frau ist ganz froh, wenn ich beim Vendée Globe bin, weil sie mich da sicherer wähnt als bei anderen Aktivitäten. Selbst mit dem Fahrrad im Berufsverkehr unterwegs zu sein, kann gefährlich sein. Ein Restrisiko gibt es immer, das Leben ist ein Risiko! Verglichen mit anderen Sportarten wie Bergsteigen ist das Risiko auch nicht hoch. Meine Frau weiß zudem, dass ich mehr zur Vorsicht neige, und wähnt mich deshalb zurecht in Sicherheit.
prisma: 2019 transportierten Sie einen prominenten Gast nach New York. Wie genau kam es zum Segeltörn mit Greta Thunberg?
Hermann: Wir haben Greta damals kontaktiert und ihr angeboten, mit ihr die Reise nach New York anzutreten. Dann hat sie relativ schnell zugesagt. Zuerst hatten wir telefoniert, dann machten wir einen Videoanruf, bei der ich ihr das Schiff genauer erklärt habe. Schließlich haben wir uns dann getroffen und eine gemeinsame Probefahrt gemacht.
prisma: Wie sah Gretas Vorerfahrung mit dem Segeln aus?
Herrmann: Das war nicht nur ihr erster Segeltrip, es war sogar das erste Mal, dass sie überhaupt auf einem Segelboot war. Aber sie hat gut auf die ungewohnte Umgebung reagiert. Ich glaube, Greta hatte wichtigere Themen im Kopf, zum Beispiel weltweit in den Medien zu stehen. Das Segeln war für sie dann eher eine nette Entspannung.
prisma: Sie selbst setzen sich seit Jahren für Klima- und Umweltschutz ein. Hat sie die Reise mit Greta nochmals anders beeinflusst?
Herrmann: Ja, total. Auch die Gespräche mit Greta haben meine Gedanken diesbezüglich nochmals verschärft. Das hat mein Interesse am Thema Klimawandel vertieft, vor allem hinsichtlich der Frage, was die Ozeane damit zu tun haben. Wie kann man über Lösungen und politische Haltungen und Einstellungen nachdenken? Das waren schon spannende Zeiten, die meinen Standpunkt eindeutig geklärt haben.
prisma: Und sind Sie auch zu Erkenntnissen gekommen?
Herrmann: Die Essenz daraus war, dass es wichtig ist, nicht in eine Polemik zu verfallen. Dass nicht bestimmte Lösungen richtig sind und bestimmte Lösungen falsch, beispielsweise wenn es um Elektroautos geht. Alle Ideen sind erst mal wichtig und gut. Das ewige Besserwissen hilft nicht. Bei der Größe dieser Herausforderung werden in allen Bereichen unglaubliche Veränderungen stattfinden müssen. Man muss mit Vollgas alle Ideen verfolgen und unterstützen, was auch immer dem Klimaschutz hilft. Auch Gretas Plädoyer ist: Der Klimawandel ist eigentlich keine politische Frage, sondern eine Menschheitsfrage.
prisma: Einen Ort, an dem die Folgen des Klimawandels ganz besonders sichtbar werden, haben Sie für "Die ganze Welt des Segelns" bereist!
Herrmann: Genau, ich habe am Polarkreis einen chinesischen Segler getroffen. Dessen Ziel war die erste Segelfahrt durch die Nordost-Passage, nördlich an Russland vorbei nach China. Die gab es zuvor nur mit Motorhilfe. Wir sind als erstes Schiff komplett gesegelt und haben auch eine Rekordzeit etabliert.
prisma: Wie haben Sie den Polarkreis wahrgenommen?
Herrmann: Die polaren, arktischen Natureindrücke waren sehr spannend: Polarlichter, Walrosse, Inuit, die fischen. Besonders war, im Norden ein komplett eisfreies Meer zu erleben. Vor gerade mal zehn Jahren musste der deutsche Abenteurer Arved Fuchs noch mit einem Expeditions-Eisbrecher extrem kämpfen, da durchzukommen – und wir konnten einfach durchsegeln und haben nicht einmal Eis gesehen. Das war schon sehr eindrücklich.
Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH