Realitätscheck im Polit-Talk.

"Hart aber fair": Bürgergeld-Debatte entfacht starke Emotionen

26.03.2024, 12.15 Uhr
von Doris Neubauer

Die Debatte im ARD-Talk "Hart aber fair" zeigt, wie weit Politiker von der Realität der Bürger entfernt sind. Während Ricarda Lang (Grüne) und Philipp Amthor (CDU) eine "sehr technische Diskussionen" führen, leiden Menschen wie Thomas Wasilewski unter finanzieller Unsicherheit und existenziellen Ängsten.

30 Jahre lang hatte der gelernte Groß- und Außenhandelskaufmann Thomas Wasilewski gearbeitet und drei Kinder großgezogen. Dass er "selbst von Transferleistungen abhängig werde", habe er sich nie gedacht. Als Erwerbsunfähiger bezieht er seit zwölf Jahren Unterstützung und wisse oft nicht, wie es weiterginge: Schlaflose Nächte, Herzrasen und psychische Probleme seien die Folge, berichtete der Mönchengladbacher bei "Hart aber fair" (ARD).

Es sei eine "sehr abstrakte Sache für Sie, die Armut", warf er den anderen Gästen – Anke Rehlinger (SPD), Grünen-Chefin Ricarda Lang, Philipp Amthor (CDU), Unternehmerin Marie-Christine Ostermann sowie Ex-Box-Weltmeister und Stiftungsgründer Henry Maske – vor. "Für mich ist das konkreter Alltag." Laut Bundesagentur für Arbeit beziehen 5,5 Millionen Menschen hierzulande Bürgergeld. Monatlich 813 Euro würde ein Mensch für alles Nötige nach Berechnungen der Paritätischen Forschungsstelle benötigen. Doch selbst nach einer Erhöhung von zwölf Prozent liegt der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen heute nur bei 563 Euro im Monat.

Ein Theaterbesuch oder ein Buch seien nicht drin, gab Ricarda Lang zu. Auswärts Kaffee zu trinken genauso wenig, wusste Wasilewski aus Erfahrung. "Sie, liebe Politiker, nennen das Wohlstandsverlust", kritisierte er die "sehr technische Diskussion". Doch die Leute hätten "Hunger, weil das Bürgergeld nicht ausreicht". Als Ehrenamtlicher der "Suppentanten" und LKW-Fahrer der Tafel versorgt er regelmäßig Leute mit kostenlosen Mahlzeiten. "Es ist eine grausame Katastrophe für Menschen", fügte er hinzu: "Vor allem, wenn Sie von den faulen Arbeitslosen sprechen, die nicht arbeiten wollen."

Philipp Amthor: "Der Sozialstaat ist nicht für jeden da"

Letzteres war an die CDU gerichtet, die das seit dem 1. Januar 2023 in Kraft befindliche Bürgergeld-Gesetz reformieren und in "neue Grundsicherung" umbenennen will. "Der Name Bürgergeld insinuiert das Falsche", argumentierte Philipp Amthor. "Der Sozialstaat ist nicht für jeden da", meinte er. Als Moderator Louis Klamroth hellhörig wurde, präzisierte er sofort: Die Leistungen seien "keine Wohltaten, die Politiker verteilen, sondern als Sozialstaat verwalten wir treuhänderisch Geld für die Bürger, die ihrerseits Steuern bezahlen".

Deshalb sollten Sozialleistungen laut Amthor bei denen ankommen, "die unverschuldet in Arbeitslosigkeit kommen und diejenigen, die etwas dafür tun wieder aus Arbeitslosigkeit hinaus" zu gelangen ("Menschen wie Sie, Herr Wasilewksi, sind nicht das Problem des Sozialstaats."). Die Leistungen für diejenigen hingegen, die ohne sachlichen Grund eine zumutbare Arbeit ablehnten, sollten um hundert Prozent gekürzt werden. In den ersten elf Monaten des Jahres 2023 gab es 13.838 solcher Totalverweigerer. Das entsprach 0,8 Prozent aller Sozialfälle.

Streitgespräch zwischen Lang und Amthor

"Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt, dass Menschen nicht dauerhaft auf Null gesetzt werden können", sei das laut Ricarda Lang gar nicht möglich. "Das ist falsch", warf ihr Amthor daraufhin vor, nicht zuzuhören und eine vorbereitete Rede vorzutragen. Immer wieder entwickelte sich ein leidenschaftliches Streitgespräch zwischen beiden. Diesmal hatte Lang den längeren Atem: Sanktioniert würden Totalverweigerer, die ein konkretes Jobangebot ablehnen, schon heute: Zwei Monate müssten sie auf das Bürgergeld verzichten, klärte sie auf. Dass sie damit "nicht so weit weg vom Vorschlag der CDU" sei, wie Klamroth meinte, hörte sie gar nicht gerne.

Die Ampel-Koalition wollte mit dem Bürgergeld Menschen qualifizieren, sodass sie dauerhaft in Arbeit kommen und nicht auf den Sozialstaat angewiesen seien, pflichtete Saarland-Ministerpräsidentin Rehlinger bei, "aber die CDU verschiebt die Diskussion in eine völlig andere Richtung [...]. Die CDU hat in ihrem Papier stehen: Vermitteln, vermitteln, vermitteln. Das war der Drehtüreffekt, den keiner wollte, weil die Leute nicht so qualifiziert angekommen sind, wie sie gebraucht wurden."

"Sie arbeiten daran, das Bürgergeld und Menschen in Bürgergeld in Misskredit zu bringen", warf Lang der CDU einen "falschen Fokus" vor und sorgte für erneutes Stimmengewirr. Amthor: "Nein, es trifft die Stimmung in der Gesellschaft." Lang: "Es trifft die Kranken, die Erwerbsminderungsrente beziehen, die Menschen, die werfen Sie vor den Bus mit Ihrer Stimmung gegen das Bürgergeld." Statt sich auf die 13.000 Totalverweigerer zu fokussieren, solle man die 800.000 Aufstocker anschauen – Menschen, "die arbeiten gehen und dennoch die Tafel brauchen".

Unternehmerin: "Arbeit lohnt sich immer weniger"

Um den Abstand zum Bürgergeld zu vergrößern und damit die harte Arbeit in der Logistik attraktiver zu machen, hat Unternehmerin Marie-Christine Ostermann die Löhne ihrer Mitarbeitenden bereits freiwillig um acht Prozent erhöht. "Aber das müssen wir erwirtschaften können", gab sie zu bedenken. Zudem müssten Arbeitnehmer fast 42 Prozent des Bruttolohns für Sozialleistungen bezahlen, rechnete sie vor. "Da fragen sich Fachkräfte im Ausland, warum sie hier arbeiten sollen, weil sich Arbeit immer weniger lohnt in unserem Land."

"Die CDU hätte mitstimmen können bei der Erhöhung des Mindestlohns", zog Lang die Opposition zur Verantwortung. Sie sei auch einer Steuerreduktion nicht abgeneigt. "Ich könnte mir vorstellen, weniger Steuern auf mittlere und kleinere Einkommen und dafür besteuern wir große Erbschaften in diesem Land", warf sie in die Runde. "Es gibt nur wenige Staaten auf der Welt, die Arbeit so sehr und Vermögen so wenig besteuern", ergänzte Rehlinger. Nicht nur Armut, auch Chancen würden in Deutschland in vielen Fällen weitervererbt. Diese Ungerechtigkeit müsse sich ändern.

Amthor wollte davon nichts wissen: "Wir brauchen die Grunderwartung in diesem Land, wenn wir höhere Löhne wollen, mehr für den Sozialstaat wollen, dann geht das nicht, indem wir es von irgendwem hin- und herverteilen, sondern in dem wir mehr arbeiten." Gleichzeitig sprach er sich dafür aus, einen Zuverdienst für kleinere und mittlere Einkommen zu erleichtern. Diesem Vorschlag waren die Vertreterinnen der Ampel-Regierung nicht abgeneigt. "Hört sich so an, als würde es Kommen mit Zustimmung der Opposition", freute sich Klamroth."Kommt auf das Gesamtpaket an", ließ sich Amthor nicht festnageln.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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