Krimi aus Dortmund

"Tatort: Du bleibst hier" – Was vom Pott geblieben ist

15.01.2023, 08.29 Uhr
von Eric Leimann

Nach dem Tod von Martina Bönisch ist Peter Faber völlig durch den Wind. Eher zufällig wird der eigentlich beurlaubte Ermittler in den neuen Fall seiner Kollegen reingezogen.

ARD
Tatort: Du bleibst hier
Kriminalfilm • 15.01.2023 • 20:15 Uhr

Ein Mann rennt durch Wälder und Industriebaracken. Das schräge Licht verrät: Es ist entweder Abend oder – eher noch – sehr früher Morgen. Schließlich entkleidet sich der Zauselbart-Jogger komplett und springt von einer zehn Meter hohen Mauer in ein gestautes Wasserbecken. Man kann es sich denken: Der verlorene Sinnsucher dieser ersten Szenen aus "Tatort: Du bleibst hier" ist der nach dem Tode seiner Kollegin und großen Liebe Martina Bönisch (Anna Schudt) übrig gebliebene Peter Faber (Jörg Hartmann). Der ist immer noch beurlaubt und macht verrückte Peter-Faber-Dinge. Derweil bekommen es seine verbliebenen Kollegen, Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) und Jan Pawlak (Rick Okon), mit einem blutigen Fall ohne Leiche zu tun. Im Dortmunder Westpark stehen die beiden vor einer großen Blutlache, doch der Körper dazu fehlt.

Allerdings wird Andreas Richter vermisst, Chef einer Dortmunder Immobilienfirma, die sich durch aggressiven Ankauf und Luxussanierung alter Wohnungen in den letzten Jahren viele Feinde gemacht hat. Noch nicht mal seine Frau Natalia (Valery Tscheplanowa) mochte den Verschwundenen – sie wollte sich gerade scheiden lassen. Zudem hat sie viel zu tun mit der Pflege ihres behinderten Sohnes. Noch ein weiterer Mann aus dem Dortmunder Kreuzviertel wird vermisst. Es handelt sich offenbar um einen jungen Drogendealer, der ebenfalls um den Westpark herum "geschäftlich" aktiv war.

Gibt es einen Ruhrpott-Robin Hood, der im Viertel Bösewichte "ausschaltet"? Während Herzog und Pawlak offiziell ermitteln, wird der beurlaubte Peter Faber eher zufällig in den Fall hineingezogen. Einer der Mieter von Richters Immobilien ist sein Vater Josef Faber (Wolfgang Rüter), mit dem der Kommissar offenbar seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr hatte.

Dass man nach dem tragischen und für die Zuschauer völlig unerwarteten Tod Martina Bönischs in der Folge "Liebe mich!" vom 20. Februar 2022 auch ein knappes Jahr später nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann, war zu erwarten. Zu dramatisch, ja drastisch war Bönischs Ableben, was umso mehr schockierte, weil es vor der TV-Öffentlichkeit im Vorfeld der Ausstrahlung geheim gehalten werden konnte. Und, na klar: Peter Faber, dessen Liebe zu Bönisch sich in deren Abschiedsfolge endlich offenbarte und kurzzeitig "gelebt" werden konnte, hat schwer am Verlust zu schlucken.

Vielleicht passte es an dieser Stelle der Krimi-Reihe ganz gut, dass Faber-Darsteller Jörg Hartmann schon lange ein eigenes Drehbuch (das mithilfe des Dortmunder Ur-Autors Jürgen Werner entstand) für seinen "Tatort" umsetzen wollte. Trotzdem gerät Hartmanns Story in "Du bleibst hier" nicht zum extravaganten Solo-Trip, was die ersten Filmszenen vermuten lassen könnten.

Auf den Spuren von Fabers Kindheit

Stattdessen verbindet sich Fabers Trauer um Bönisch mit der Trauer um eine alte Ruhrgebiets-Kultur. Eine Kultur der kleinen Leute, die mit dem Verlust ihres Lebensraumes und damit ihrer Lebensart zu kämpfen haben. Mit der Gentrifizierung ihres Viertels verschwindet nicht nur bezahlbarer Wohnraum, sondern auch eine besondere Nachbarschaftskultur, in der man sich gegenseitig hilft oder im herrlich antiken Friseursalon von Peter Fabers Jugendfreund Martin Engel (Andreas Schröders) gemütlich Zeit verbringt. Dass Peter Faber überhaupt auf den Spuren seiner Kindheit wandelt, hat damit zu tun, dass sein Vater ein Mieter im Hause einer Mieterin ist, die den verschwundenen Immobilien-Mogul mit Drohmails eindeckte. Bald braucht Fabers Vater, der alleine lebt, Hilfe. Eine Hilfe, die ihm der Sohn offenbar nur widerwillig zukommen lässt.

Wie der erste Dortmunder "Tatort" ohne Anna Schudt deren Fehlen und die Schmerzen der Hinterbliebenen mit einem Fall kombiniert, in dem es um eher abstrakte Verlustthemen geht – Kindheit und "alte" Lebenskultur – das ist schon gelungen. In Bildern, die tatsächlich ein bisschen "retro" wirken und die viele schöne Schauplätze des alten Ruhrgebietes nostalgisch einfangen, ist den Autoren sowie Regisseur Richard Huber ("Lang lebe die Königin") ein stimmungsvoller Dortmund-Krimi gelungen.

Dagegen wirkt die Fortschreibung der privaten Geschichten von Pawlak und Herzog, die hier auch noch untergebracht wurde, etwas überfrachtet. Auch der Kriminalfall an sich ist vielleicht nicht der beste der mittlerweile gut zehnjährigen Geschichte des Dortmunder "Tatorts". Ruhrgebiets-Nostalgiker und Peter Faber-Fans kommen bei "Du bleibst hier", jenem Versprechen, das die sterbende Martina Bönisch Peter Faber abnahm, aber durchaus auf ihre Kosten.

Tatort: Du bleibst hier – So. 15.01. – ARD: 20.15 Uhr


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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