Neil Jordan wird in Sligo an der irischen Westküste geboren. Er studiert Angelistik und Geschichte am University College in Dublin, 1974 gründet er die Irish Writers Cooperative und hat Erfolge mit Romanen und Kurzgeschichten. Für den Story-Band "Night in Tunesia" wird er mit dem Belletristik-Preis des britischen "Guardian" ausgezeichnet. Die Titelgeschichte ist Ausgangspunkt für seinen Film "Miracle - Ein geheimnisvoller Sommer" (1990). Jordan dreht in Hollywood, kehrt aber immer wieder nach Irland zurück, wo er meist auch seine Filme schneidet. 1994 erschien sein letzter Roman "Sunrise". "Fürs Schreiben bleibt mir leider immer viel zu wenig Zeit", sagt er einmal.
Krieg und Liebe als Miteinander und Gegeneinander sind in Neil Jordans Filmen auf seltsame Weise verwoben. Das Ungewöhnliche, unschuldig Faszinierende findet man immer wieder. So seltsam in "Mona Lisa" (1986) das Verhältnis zwischen der lesbischen Nutte Simone und dem tumben Knastbruder George ist, so zwingend in "The Miracle" die Sehnsucht des Teenager Jimmy erscheint, sich in die Arme der reifen, schönen Renée zu kuscheln, so absurd, aber auch wieder auf seltsame Weise nachfühlbar, ist in "Crying Game" (1992) das Verhältnis zwischen der exotischen Schönheit Dil, die im Verlauf des Films gleich mehrere Verwandlungen durchmacht und dem sensiblen Jungen Fergus.
Fergus, der seine Genossen verlassen hat, wird von der blonden Jude, die ebenfalls überlebt hat, aufgespürt. Der Hass auf den Verräter und die Eifersucht auf Dil halten sich bei ihr die Wage, Dil begeht für Fergus einen Mord und der sitzt die Strafe ab, für die Tat, die er nicht begangen hat. Nichts in dieser seltsamen, schönen, auf wundersame Weise aufregenden Kinogeschichte ist so wie es scheint. Wo beginnt die Verkleidung, wo versteckt sich die Wahrheit? Immer wieder erweist sich das Naheliegende als falsch und die Wahrheit als die ganz große Überraschung.
Das gilt für alle Filme von Neil Jordan, nur hier hat er das Spiel mit Wahrheit und Täuschung auf die Spitze getrieben. Nach dem traumhaft schönen Irland-Film "The Miracle" überrascht Neil Jordan mit dem düsteren Zeitbild "The Crying Game". So geschickt Jordan der Parteinahme ausweicht, so setzt er bei seiner immer wieder unübersehbaren Vorliebe für Masken- und Verstellungsspiele kleine, genaue Akzente, mit denen er die britische Haltung gegenüber der IRA torpediert. Aufregend an Jordans Filmen ist einmal das Gefühl für einprägsame Schauplätze: Der Jahrmarkt, das Kellergewölbe, das verwahrloste Gewächshaus, später in London eine Baustelle, die Wohnung im Mietshaus, die Bar, in der Dil singt. Aufregend aber auch die Besetzung: Stephen Rea als irischer Freiheitskämpfer, der nach einer Identität sucht, Miranda Richardson als eiskalte Jude, Forest Whitaker als der sensible Bär Jody und schließlich Jaye Davidson als exotischer Engel Dil.
Neil Jordans "Butcher Boy - Der Schlächterbursche" (1997) gehört zu den Filmen, die scharf in engmaschigen Netzen nach Lebensmöglichkeiten für den einzelnen suchen, ein Film, der dieses Netz so kalt, so eng, so raffiniert und stringent zeigt, dass ein jeder die Formen erkennen kann, die in ihrer Individualität jedoch letztlich größte Allgemeinheit herauslesen lassen. Das gibt eine schreckliche Authentizität.
Weitere Filme von Neil Jordan: "Angel -Straße ohne Ende" (1983), "Zeit der Wölfe" (1984), "High Spirits - Die Geister sind willig!" (1988), "Wir sind keine Engel" (1989), "Interview mit einem Vampir" (1994), "Michael Collins" (1996), "Das Ende einer Affäre" (1999), "Jenseits der Träume" (1999), "The Good Thief" (2002), "Intermission - Chaos in Dublin" (nur Produzent, 2003), "Breakfast on Pluto" (2005), "Die Fremde in dir" (2007), "Ondine - Das Mädchen aus dem Meer" (2009), "Die Borgias - Sex. Macht. Mord. Amen." (2011).