Angelina Kirsch im Interview

"Von einem Curvy Model wird Lebensfreude erwartet"

Die Finalistinnen der zweiten Staffel von "Curvy Supermodel" stehen fest. Auch Kandidatin Anastasiya gehört zu ihnen.
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Die Finalistinnen der zweiten Staffel von "Curvy Supermodel" stehen fest. Auch Kandidatin Anastasiya gehört zu ihnen.  Fotoquelle: © RTL II/ Magdalena Possert

Angelina Kirsch ist eines der erfolgreichsten Plus-Size-Models Deutschlands. In der Casting-Show "Curvy Supermodel" (ab 26. Juli 2018, donnertags, 20.15 Uhr, RTL II) arbeitet die 30-Jährige als Coach und Jurorin daran, dass auch rundere Körperbilder in Gesellschaft und vor allem der Werbebranche ankommen. Nun beginnt Kirschs dritte Runde mit kurvigen jungen Frauen.

Im Interview spricht die Schleswig-Holsteinerin über frühere Probleme mit dem eigenen Körper und was Eltern kurviger Mädchen dagegen tun können. Dennoch bleibt eine große Frage: Warum versuchen Mode und Werbung Frauen von jeher ein Körperbild zu vermitteln, dass nichts mit der Realität zu tun hat. Auch darauf weiß Angelina Kirsch eine Antwort, die verblüfft.

prisma: Sind Sie die Heidi Klum der Curvy Models?

Angelina Kirsch: Sagen wir, ich bin die Angelina Kirsch der Curvy Models ...

prisma: Weil Sie Ihre Aufgabe in der Show unterschiedlich definieren?

Kirsch: Ich glaube, dass ich ein wenig anders an die Aufgabe herangehe. Als die erste Staffel "Germany's Next Topmodel" lief, war ich 17 oder 18. Natürlich habe ich das damals verfolgt. Mit dem Schönheitsideal der Show konnte ich nicht viel anfangen. Dass man sich als Mensch dort zeigen konnte, hat mich jedoch fasziniert. Ich denke, dass so eine Show neben der Möglichkeit, sich selbst zu präsentieren, die Kandidatinnen auf den Job vorbereiten soll. Deshalb möchte ich näher dran sein, wenn ich mit meinen Kandidatinnen arbeite.

prisma: Was meinen Sie mit "näher dran sein"?

Kirsch: Meine Mädchen sollen nicht das Gefühl haben, dass es hier um Quoten oder Schlagzeilen geht. Mir ist es wichtig, aus den Mädchen richtige Models zu machen. Ihr Potenzial zu entfalten oder an Schwächen zu arbeiten. So was geht am besten, wenn man eine persönliche und gute Beziehung zu den Mädchen aufbaut – deshalb steht das bei mir im Mittelpunkt.

prisma: Letztendlich geht es aber doch um technische Fertigkeiten – und nicht so sehr um Persönlichkeit, oder?

Kirsch: Beim Modeln geht es immer um beides. Man braucht die Technik, um seine Persönlichkeit zu zeigen. Auch ein Curvy Model muss laufen können. Und es muss wissen, mit welchen Posen es seinen Körper gut in Szene setzen kann. Das ist immer die Kernfrage beim Modeln: Wie präsentiert man die Ware, die es zu verkaufen gilt – in der Regel ist es Kleidung – am besten? Wir arbeiten an all diesen Fertigkeiten. Es braucht aber auch Persönlichkeit, um technisch gutes Modeln mit Leben zu erfüllen.

prisma: Gibt es einen Unterschied zwischen dem Job des dünnen und eines Curvy Models?

Kirsch: Ja, definitiv. Von einem Curvy Model wird Lebensfreude erwartet. Man sieht einem Bild an, ob das Model im Reinen mit sich und seinem Körper ist. Sollte es da Zweifel geben, liegt es auch an mir, diese auszubügeln. Wer als Model Angst hat oder sich selbst nicht liebt, wird auf dem Laufsteg keine gute Figur abgeben.

prisma: Wie verbreitet sind diese Zweifel?

Kirsch: Immer noch sehr verbreitet. Uns wurde so lange ein sehr eng gefasstes Schönheitsideal eingehämmert, dass es länger dauern wird, bis es vollständig aufgebrochen ist.

prisma: Haben Sie eine eigene Leidensgeschichte in Sachen Selbstbewertung der Figur? Sie sagen, dass Sie ab 17 oder 18 selbst Heidi Klum und ihren dünnen Mädchen zugeschaut haben ...

Kirsch: Als die Show startete, war meine Figur Gott sei Dank kein großes Thema mehr für mich. Ich habe das meiner Mutter zu verdanken, die sehr gut mit dem Thema umging. Als ich in die Pubertät kam und die ersten Kurven auftraten, war ich natürlich unsicher. Während der Pubertät ist Baustelle im Kopf – und dann wird auch noch der Körper zur Baustelle! Meine Mutter checkte das und ging offensiv positiv damit um.

prisma: Was genau hat sie getan?

Kirsch: Sie trat mit mir vor den Spiegel und sagte: "Du wirst jetzt eine Frau, du brauchst das nicht zu verstecken." Sie sagte mir, dass jeder Körper anders ist und dass dies auch gut so sei. Man muss es Kindern allerdings immer wieder sagen, damit sie in dieser Einstellung gefestigt werden.

prisma: Das heißt, Ihre Mutter erreichte Sie in dieser Phase. Blöderweise bricht die Kommunikation zwischen Eltern und Kindern genau in diesem Alter oft ab ...

Kirsch: Natürlich gab es auch bei uns immer wieder Phasen, wo es am Esstisch einsilbig wurde. Das gehört dazu. Letztendlich sind meine Eltern aber an uns drangeblieben – ich habe ja noch eine Zwillingsschwester. Ihre Methode hat gefruchtet. Ich konnte mit allen Problemen zu meinen Eltern gehen und sie um Hilfe bitten. Sie waren nie sauer oder sagten: "Oh, wie konntest du nur?" Erst mal wurde geholfen. Danach reflektierten wir, was man besser machen kann. Dadurch war immer Vertrauen da.

prisma: Gab es denn eine Zeit, in der Sie echte Probleme mit der Figur hatten?

Kirsch: Ja, in der Pubertät – als das losging. Da war ich unsicher und habe mich unter großen Pullis versteckt. Damals wollte ich alles, nur nicht meine Kurven zeigen. Da hat mich meine Mutter echt geheilt. Nur ein Beispiel: Für Mädchen ist der erste BH immer ein Riesenthema. Ich erinnere mich an eine Umkleidesituation in der Schule, als die erste einen BH anhatte. Alle haben gekichert und sie aufgezogen. Das Mädchen wollte sich uns gar nicht mehr zeigen und drehte den Mitschülerinnen nur noch den Rücken zu. Ich frage mich, warum müssen Mädchen wegen einer ganz normalen Sache so leiden? Meine Mutter hatte eine bessere Idee. Sie machte aus dem Kauf des ersten BHs ein richtiges Event. Das Ganze wurde gefeiert! Deshalb verlor ich schnell die Angst vor dem Thema und lernte, meinen Kurven zu mögen. Ich habe auch noch nie im Leben eine Diät gemacht.

prisma: Sie wurden erst mit Mitte 20 angesprochen – und sind daraufhin Model geworden. Hatten Sie diese Idee schon früher, sie aufgrund der Figur aber verworfen?

Kirsch: Ich glaube, fast jedes kleine Mädchen flirtet mal mit dem Wunsch, Model zu werden. Das gehört in die Tradition von Traumjobs wie Prinzessin – egal, wie realistisch das am Ende ist. Als ich älter wurde, entwickelte ich mich zu einem sehr realistisch denkenden Menschen. Model zu werden, war nie ein Traum, dem ich nachjagte. Es hat sich eher zufällig ergeben.

prisma: Weil die Curvy-Szene nun stark im Kommen ist?

Kirsch: In Amerika ist das schon ewig ein Trend. Der Arbeitsbereich für Curvy Models ist die Übergrößenmode. Die existiert in Deutschland auch – und mit ihr die Nachfrage nach Models. Was bisher fehlte, war die Aufmerksamkeit für diese Szene. Die stellt sich in Deutschland erst seit ein paar Jahren ein. Mittlerweile wissen die Leute, was ein Curvy oder Plussize-Model ist.

prisma: Hat sich die Selbstwahrnehmung kurviger Frauen in Deutschland auch schon geändert?

Kirsch: Ich habe den Eindruck, kurvige Frauen sind in den letzten Jahren viel selbstbewusster, offener und mutiger geworden – auch was Mode betrifft. Früher hieß es immer: So kaschierst du dies, so verhängst du das. Heute beginnt man, die Kurven in Szene zu setzen. Da sieht man auch mal Mädchen trotz toller Kurven ein enges Top oder eine enge Jeans anziehen. Das empfinde ich als eine sehr positive Entwicklung – weil sich diese Mädchen vom starren Schönheitsideal befreit haben.

prisma: Die sogenannten Übergrößen sind eigentlich Durchschnittsgrößen. Es gibt kaum Frauen, die dem dünnen Ideal entsprechen. Warum verkauft man dem Menschen seit Langem ein Körperbild, dem kaum jemand entspricht?

Kirsch: Das ist die große Frage. Die Durchschnittsgröße in Deutschland ist 42. Das ist in der Modebranche Plus Size. Dennoch gelten dünne Models als normal. Auch Männer mögen Frauen mit Kurven – aber in der Modebranche kommt das nicht an. Ich denke, Mode ist oft Haute Couture. Da reden wir über Kunst, zum Beispiel über besondere Materialien. Vielleicht sind dünne Models die bessere Leinwand für Kunst. Man braucht nicht so viel teuren Stoff und man hat keinen Körper, der von der Kunst ablenkt. Vielleicht liegt es auch ein bisschen daran, dass viele Designer, die Mode machen, mit Kurven nicht viel anfangen können. Ich weiß nur, wenn ich mit dünnen Models eine Fashion Show laufe, sagen mir die Leute oft: "Du bist die, die bei mir hängen geblieben ist."

prisma: Warum?

Kirsch: Vielleicht, weil ich das Kleid mit Leben gefüllt habe. Genau deshalb definiere ich den Job des Curvy Models ein wenig anders als den der dünnen Models. Ich glaube, der traditionellen Model-Szene sind die Curvy Models im Gegensatz zu ihrem Ideal zu viel Mensch.

prisma: Bei Heidi Klum sollen in der jüngsten Staffel auch Curvy Models angetreten sein?

Kirsch: Ich hatte davon gehört und deshalb gespannt eingeschaltet. Die behaupteten Kurven habe ich aber kaum wahrgenommen. Es waren zwei oder drei Mädchen dabei, die nicht Größe 34 hatten, sondern vielleicht ein oder zwei Konfektionsgrößen mehr. Aber Curvy Models waren das in meinen Augen noch lange nicht!

prisma: Zwei Staffeln mit Curvy Models sind bereits abgeschlossen. Wie ist es Ihren Kandidatinnen seitdem ergangen?

Kirsch: Sehr gut. Unsere beiden Siegerinnen haben viel zu tun, sie werden international gebucht. Aber bei uns muss man nicht unbedingt den Titel holen, um später Jobs zu bekommen. Mir fallen spontan fünf oder sechs Kandidatinnen ein, die seit der Show richtig gut im Geschäft sind.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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