Von den "Avengers"-Machern

"Cherry": Dieser Film ist ein echter Reinfall

von Sven Hauberg

Anthony und Joe Russo sind verantwortlich für den erfolgreichsten Film aller Zeiten. Mit "Cherry" legen die "Avengers"-Macher jetzt einen reichlich prätentiösen Nachfolger vor.

Wie sich das wohl anfühlt, wenn man für den finanziell erfolgreichsten Film aller Zeiten verantwortlich ist? Ziemlich gut wahrscheinlich. Die Brüder Anthony und Joe Russo haben zwischen 2014 und 2019 für Marvel vier Superheldenfilme gedreht, von "The Return of the First Avenger" bis zum alle Rekorde sprengenden "Avengers: Endgame". Einspielergebnis insgesamt: mehr als 6,7 Milliarden US-Dollar. Da kann man schon mal die Bodenhaftung verlieren und sich selbst verdammt geil finden. Das zumindest wäre eine Erklärung für das, was die beiden Russos nun bei Apple TV+ vorlegen: "Cherry", einen bisweilen unerträglich prätentiösen Film über einen Irakkriegrückkehrer, der zum Junkie wird. Vielleicht war es aber auch die Superheldenschelte so namhafter Kollegen wie Martin Scorsese ("das ist kein Kino!") oder Francis Ford Coppola ("abscheulich!"), die die beiden Regisseure bewogen hat, es jetzt mal mit etwas "Ernsthaftem" zu versuchen. So oder so: "Cherry" (ab 12. März) ist leider ein ziemlicher Reinfall.

Was nicht an der Story liegt, die hier auf die Leinwand gebracht wird. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Nico Walker, der in seinem Buch seine eigene Geschichte erzählt, und die ist ziemlich unglaublich. Walker ging 2015 als 21-Jähriger in den Irak, wo er als Sanitäter an mehr als 250 Einsätzen teilnahm. Zurück in den USA, litt er an Posttraumatischer Belastungsstörung, wurde drogenabhängig und fing schließlich an, Banken zu überfallen, um seine Sucht zu finanzieren. Bis er verhaftet und zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Schauspieler agieren wenig überzeugend

Im Film spielt Tom Holland diesen Mann, Ciara Bravo spielt Emily, seine Freundin. Beide wirken fast noch wie Kinder, wenn sie sich zu Beginn von "Cherry" ineinander verlieben und wieder trennen, weil Emily die USA verlassen und in Kanada studieren will. Nico nimmt das derart mit, dass er sich freiwillig bei der Armee meldet. Im Irak stirbt dann sein bester Freund, Nico muss dessen verbrannte Leiche aus einem Armeefahrzeug ziehen und in einen Plastiksack packen. Ein paar Monate später ist er zurück in den USA, schluckt Xanax gegen die Angstzustände, und als das nicht mehr hilft, fragt ihn ein Arzt, ob er schon mal von Oxycodon gehört habe. Hat er, und als auch das nicht mehr wikt, greift Nico zu Heroin. Emily, die er inzwischen geheiratet hat, wird ebenfalls süchtig.

"Cherry" könnte viel erzählen über den Umgang der USA mit ihren Soldaten, über die Opioid-Krise im Land oder über den herbeigelogenen Krieg im Irak. All das interessiert die Russo-Brüder aber nicht. Vielmehr fühlt sich "Cherry" an wie ein überlanger Videoclip (140 Minuten!), mit dem die beiden zeigen wollen, was die filmtechnisch so alles beherrschen. Splitscreens, schnelle Schritte, verfremdete Farben, hippe Musik im Hintergrund, ein Hauptdarsteller, der die vierte Wand durchbricht und zum Publikum spricht. Hat man aber alles schon zigmal gesehen, nervt nach spätestens einer halben Stunde und wirkt so, als habe sich ein Filmhochschulabsolvent mal so richtig austoben wollen. Eine Szene wird eben nicht einfach dadurch tiefgründig, dass man sie in Zeitraffer filmt und mit einer Opernarie unterlegt.

Der Irak ist für die Russos nur ein "Höllenloch", tote US-Soldaten (verkohlt, in Großaufnahme) Geisterbahngrusel, Nico Walkers Lebensgeschichte Steilvorlage für rasant gefilmte Banküberfälle. Über weite Strecken ist "Cherry" eine reichlich platte Teenie-Romanze, luftig inszeniert, so als habe da jemand zu viele alte Godard-Filme gesehen. Tom Holland, der Spider-Man aus drei der vier Russo-Superheldenfilme, versucht angestrengt und mit viel Junkie-Make-up im Gesicht, den Spinnenmann vergessen zu machen, was ihm aber nur leidlich gelingt. Seine Kollegin Ciara Bravo, bekannt aus diversen Kinderserien, scheitert an ihrer Rolle gleich ganz – die Drogensüchtige nimmt man ihr einfach nicht ab.

Wäre "Cherry" – um mit Martin Scorsese zu sprechen – "nur" ein Superheldenfilm, man könnte über all das hinwegesehen und kopfschüttelnd sagen: Ist eben kein Kino, sondern ein kunterbunter "Vergnügungspark". Nur will "Cherry" eben so viel mehr sein, ist dann aber doch nur sehr wenig. Bleibt zu hoffen, dass Scorsese diesen idiotischen Film nie zu Gesicht bekommt.


Quelle: teleschau – der mediendienst GmbH

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