Schauspielerin im Interview

Dina Shihabi: "Eine Herausforderung, nicht in das Klischee zu verfallen"

von Markus Schu

Dina Shihabi wurde in Saudi-Arabien geboren und macht nun in den USA Karriere als Schauspielerin. In der neuen Amazon-Prime-Serie "Tom Clancy's Jack Ryan" spielt sie eine zentrale Nebenrolle. Wie es dazu kam und wie das alles zusammenpasst, erklärt sie im Interview.

Dina Shihabi ist der Inbegriff einer Kosmopolitin: Die saudisch-amerikanische 28-Jährige wurde in Riad geboren und ging mit 18 Jahren nach New York, um Schauspielerin zu werden. An der renommierten New York Tisch School of the Arts machte sie ihren Uni-Abschluss. Ihr großer Durchbruch steht nun unmittelbar bevor: In der actionreichen Agentenserie "Tom Clancy's Jack Ryan" (ab Freitag, 31. August, auf Amazon Prime Video, lesen Sie hier eine Kritik zur Serie) spielt Shihabi in einer zentralen Nebenrolle die Frau eines Terroristen. Ihr Charakter ist komplex, keineswegs böse und erst recht keine Jungfrau in Nöten, sondern eine starke Persönlichkeit. Mit ihrer Schauspiel-Arbeit verfolgt Shihabi auch eine gesellschaftspolitische Agenda – es geht ihr um Repräsentation. Als weltoffene, junge Muslima, die in Amerika Karriere macht, ist ihr eine Vorbildfunktion quasi immanent. Gleichsam demütig und zielstrebig spricht sie im Interview über ihre Träume und Wünsche – und warum ihre Liebe zu "Lost" letztendlich dazu geführt hat, dass sie gefunden wurde.

prisma: Wie ist es Ihnen gelungen, die Rolle in "Jack Ryan" zu ergattern?

Dina Shihabi: Dieselbe Frage habe ich mir auch schon oft gestellt! (lacht) Es lief ganz klassisch ab: Ich habe dafür vorgesprochen. Aber der Weg dorthin war etwas kompliziert: Ich saß gerade im Flugzeug von Los Angeles nach New York, um dort für ein Theaterstück vorzusprechen. Dann erhielt ich plötzlich eine E-Mail mit dem Drehbuch von "Jack Ryan" und der Einladung zum Vorsprechen in Los Angeles! Anbei ein Hinweis, dass ich meine Performance auch bis zum nächsten Morgen mit einer Kamera aufnehmen könnte.

prisma: Klingt nach Stress ...

Shihabi: Oh ja! Ich kam erst gegen 21.45 Uhr in New York an. Sofort nach der Landung bin ich dann zu Freunden gerast, und dort haben wir ganz schnell mein Video aufgenommen. Ich weiß noch genau, wie ich im Flugzeug saß und meine Szenen durcharbeitete: Ich verstand meinen Charakter sofort, da war direkt eine Verbindung da! Dann habe ich einen Monat lang nichts mehr gehört... Zurück in Los Angeles erhielt ich dann donnerstags einen Anruf mit dem Hinweis, dass am folgenden Montag Probeaufnahmen stattfinden. So habe ich dann tatsächlich die Rolle erhalten! Ich konnte zwei Wochen lang nicht richtig schlafen, so aufgeregt war ich! (lacht)

prisma: Sie haben den Durchbruch in den USA geschafft. Betrachten Sie sich selbst als Vorbild für Mädchen und Frauen aus den arabischen Ländern?

Shihabi: Man hat ja nicht von vornherein das Ziel, ein Vorbild zu werden, aber ich bin natürlich sehr stolz darauf. Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich komme aus Saudi-Arabien, und erst kürzlich war meine Karriere Gegenstand der saudischen News – die Menschen dort sind sehr aufgeregt und unterstützen mich. Das ist wunderschön, aber nicht selbstverständlich. Ich wurde während des 35-jährigen Kinoverbots geboren. Ich kannte niemanden, der eine ähnliche Karriere anstrebte, und es hat einige Zeit gedauert, bis die Leute verstanden, was ich vorhatte. Die Tatsache, dass ich so viel Zuspruch und Unterstützung erhalte und dass man mich als Vorbild ansieht, bedeutet mir sehr viel. Genau das möchte ich jetzt sein. Wenn ich mit meiner Arbeit dazu beitrage, andere Mädchen zu motivieren, ihre Träume zu verwirklichen, dann ist dies das größte Geschenk. Es ist mir eine Ehre. Es war aber nicht mein ursprüngliches Ziel. Ganz egoistisch wollte ich zunächst einfach nur Schauspielerin werden! (lacht)

prisma: Wurden Sie jemals mit Vorurteilen betreffend Ihrer Herkunft konfrontiert?

Shihabi: Ja, wurde ich. Interessanterweise denken die meisten Menschen nicht, dass ich Araberin bin. Ich bin halb arabisch, halb europäisch. Ich sehe so aus, als könnte ich von überall herkommen. Wenn ich in einem Raum bin mit Menschen, die schreckliche Dinge über Araber, den Islam oder die Kultur, in der ich aufgewachsen bin, sagen, dann muss ich meine Stimme erheben: "Hey, du redest hier über mich!" Das ist für die Leute dann meistens ein Schock. Oft widersprechen sie mir sogar und sagen "Nein, bist du nicht!", weil sie eine fixe Vorstellung davon haben, wie eine arabische Frau auszusehen hat.

prisma: Was glauben Sie, woran es liegt, dass sie nicht sofort als Araberin erkannt werden?

Shihabi: Ich kleide mich westlich, ich bin sehr aufgeschlossen, ich habe einen amerikanischen Akzent. Menschen haben eine genaue Vorstellung davon, wie eine Araberin auszusehen hat, aber die Wahrheit ist, dass wir genauso verschieden sind, wie alle anderen Menschen auch. Je mehr wir damit in die Öffentlichkeit treten und zeigen: So kann eine arabische Frau auch aussehen und klingen, desto eher fühlt man sich mit anderen Menschen verbunden und erlangt ein tieferes Verständnis von ihrer Kultur. Mein Ziel ist es, ein anderes Bild der arabischen Frau zu vermitteln.

prisma: Im Film- und TV-Business werden Rollen gerne nach Stereotypen besetzt. Wie schwierig ist es, nicht in das Klischee der Schönheit aus dem Mittleren Osten abzudriften, auch im Hinblick auf Ihre zukünftigen Projekte?

Shihabi: Das ist echt knifflig, in der Tat! Meine Rolle in "Jack Ryan" wirkt auf den ersten Blick auch sehr stereotyp: eine verschleierte Muslima, zudem eine junge Mutter und verheiratet mit einem Terroristen – das schreit ja förmlich nach "schon hundertmal gesehen". Aber das stimmt so nicht. Ich spiele eine sehr clevere und starke Frau, die in Wahrheit eine der Heldinnen der Serie ist – ich glaube nicht, dass man so etwas schon mal gesehen hat. Aber natürlich ist es eine Herausforderung, nicht in das Klischee zu verfallen. Für mich als Schauspielerin ist es echt eine schwierige Angelegenheit, denn ich muss mich in meiner Arbeit auch so zeigen, wie ich wahrgenommen werden will – und da muss man aufpassen, dass man nicht in ein Stereotyp verfällt. Aus diesem Grund schreibe ich auch meine eigenen Projekte.

prisma: Können Sie das noch näher ausführen?

Shihabi: Ich entwickle aktuell vier verschiedene Dinge, bin mit Geldgebern am verhandeln, damit ich alsbald mit dem Schreiben loslegen und die Projekte realisieren kann – das ist mir sehr wichtig. Ich bin sehr ungeduldig und will nicht darauf warten, dass mir jemand die Rolle auf den Leib schreibt, die ich gerne spielen würde. Diese Möglichkeiten will ich mir selber erschaffen – für mich und meine Freunde aus dem Mittleren Osten. Ich fühle da eine gewisse Verantwortung, Geschichten zu erzählen, die noch nie erzählt worden sind. Und ich glaube, dass diese Geschichten von den Menschen erzählt werden müssen, die aus den Ländern kommen, von denen diese Geschichten handeln. Auf einen Amerikaner zu warten, der eine Geschichte erzählt, die ich selbst aus meinen persönlichen Erfahrungen kenne, ist unrealistisch. Ich glaube, dass meine Stimme gebraucht wird. Menschen von überall sollten das tun. Es ist unfassbar wichtig, authentische Stimmen und Geschichten zu haben.

prisma: Sie erhielten die Zusage für die Schauspielprogramme von zwei verschiedenen Schulen, die in den USA ein hohes Ansehen genießen. Sorgte das eher für Erfolgsdruck oder gab Ihnen dies einen Motivationsschub?

Shihabi: Es gibt mir Selbstvertrauen. Bevor ich auf die Schauspielschule ging, wusste ich überhaupt nicht, wo ich hingehöre. Denn ich hatte ja nie gesehen, dass Menschen wie ich irgendwo repräsentiert wurden. Daher wusste ich gar nicht, ob ich überhaupt willkommen war. Die Teilnahme an diesen Programmen fühlte sich an wie die erste Einladung in eine Welt, zu der ich immer gehören wollte. Das gab mir ein Fundament, eine Gemeinschaft. Ich fühlte mich immer wie eine Außenseiterin, und plötzlich gehörte ich zu einer Schauspielschule und war umgeben von Menschen aus der ganzen Welt, die dennoch dieselbe Sprache sprechen wie ich – im Bezug darauf, wie sie die Menschheit betrachten und das Geschichtenerzählen als genauso wichtig erachteten wie ich.

prisma: Wie ging's dann nach dem Studium weiter?

Shihabi: Nach meinem ersten Abschluss brauchte ich rund zwei Jahre, um mich von der Idee zu verabschieden, was für eine Art von Schauspielerin ich sein wollte und was für ein Leben ich haben sollte. Und quasi in der Minute, in der ich alles losließ, nahmen die Dinge ihren Lauf, und meine Karriere begann. Die Schauspielschule ist das Beste, was ich je gemacht habe, weil es mir eine hervorragende Basis gab und weil ich unfassbar viel gelernt habe, auch über mich selbst. Aber es hat seine Zeit gebraucht, und es war mit viel Druck verbunden. Es ist ungefähr vergleichbar mit einem Studium an einer der US-Eliteuniversitäten: Wenn man seinen Abschluss gemacht hat, glaubt man, dass einem gewisse Dinge in den Schoß fallen müssten, weil man sie verdient hat. Aber diese Einstellung ist nicht sehr hilfreich. Man muss davon ablassen und sich öffnen. Ein offenes Herz und keinerlei Erwartungen – nur so geht's.

prisma: Was bedeutet es für Sie, Teil eines solch prestigeträchtigen TV-Projekts mit derart bekannten Kolleginnen und Kollegen zu sein?

Shihabi: Ich hege nichts als Bewunderung für unsere Showrunner und Schauspieler. Das Team ist einfach unglaublich. Nicht nur, dass alle brillant und talentiert sind, sie sind auch wahnsinnig großzügig! Das ist mein erstes großes Projekt, und gleich von Beginn an fühlte ich mich wohl und willkommen. Ich erinnere mich gerne daran zurück, wie ich John Krasinski erstmals am Flughafen traf. Er kam sofort auf mich zugestürmt und war so unterstützend, freundlich, lobend und höflich – und das ebbte während der gesamten Zeit niemals ab! Diese Kameradschaft und Unterstützung und die Art und Weise, wie mir alle ihr Vertrauen entgegenbrachten, war eine wundervolle Erfahrung. Ich kann es kaum abwarten, diese Erfahrungswerte mit neuen Schauspielern zu teilen.

prisma: Wussten Sie im Vorfeld, dass zwei der Hauptverantwortlichen von "Jack Ryan" bereits maßgeblich an der Hit-Serie "Lost" beteiligt waren?

Shihabi: Na, klar! Ich bin mit "Lost" aufgewachsen und habe jede Episode geschaut! Ich betete und hoffte, dass ich eines Tages in der Serie mitspielen könnte – das war mein Ziel, als ich nach Amerika kam. Ich musste einfach bei "Lost" dabei sein! Als die Show endete, hat es mich wirklich fertig gemacht, weil ich wusste, dass diese Chance unwiderruflich vorbei war. Und dann ist der erste große Job, den ich an Land ziehe, ein gemeinsames Projekt mit einem der Erfinder von "Lost": Carlton Cuse! In gewisser Weise glaube ich, dass ich mir ihn und das Projekt in mein Leben gewünscht habe. Oder dass wir auf irgendeine absonderliche Art und Weise tief in uns drin immer wissen, wo unser Schicksal liegt. Ich glaube, hier war eine gehörige Portion Magie im Spiel! (lacht)


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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