"Tatort": Plüschiges Popcorn-Kino mit Schmäh

Eisner und Fellner ermitteln im Tatort "Her mit der Marie!" (14. Oktober, 20.15 Uhr, ARD) in Wiens Unterwelt – und die hat einiges zu bieten.
Schwierig. Alles schwierig. Zwar haben Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) eine Leiche, doch viel mehr haben sie nicht. Denn dem Toten wurde das Gebiss rausgeschlagen, verbrannt wurde er darüber hinaus, und Zeugen gibt es auch keine. Kein Wunder, liegt der Fundort doch mitten in einem einsamen Wäldchen vor Wien. Zum Glück weiß der Zuschauer mehr, denn er war dabei, als das Verbrechen geschah, das Regisseurin Barbara Eder wie die Wienerische Variante eines Road-Movies aufgezogen hat. Kerle mit Schnurrbart, pomadigem Haar und rotzigem Schmäh haben sich da auf einem Schotterweg vor dem Wäldchen getroffen. Am Ende ist einer tot und das Geld – die Marie – ist weg. Was der Besitzer natürlich nicht auf sich sitzen lassen will.
Apropos auf sich sitzen lassen: Auch Eisner und Fellner wollen die Spurenlosigkeit nicht einfach hinnehmen und so wühlen sie sich durch alles, was sie in die Finger kriegen – und finden, in einem Überwachungsvideo, eine erste Spur. Die, und das freut erneut vor allem den Zuschauer, führt zu dem liebevoll naiven, aber leider nicht ganz unvorbelasteten "Inkasso Heinzi" (großartig: Simon Schwarz), der in Wien eine Autowerkstatt betreibt und gute Verbindungen hat. Zu Fellner, aber auch in die Unterwelt. Man schließt ihn dennoch gleich ins Herz, zumindest für ein paar Minuten. Und nach dieser ersten emotionalen Kurzschlussreaktion bekommt man Mitleid mit ihm.
Neben dem knapp am Klischee vorbeischrammenden Personal und dem eher nach Prärie, denn nach Metropole klingenden Soundtrack wartet "Her mit der Marie!" auch noch mit einigen großartigen Szenen auf. Wenn Eisner und Polizeichef Ernst Rauter (Hubert Kramar) beispielsweise auf dem Dach des Präsidiums stehen und über den "Dokta" (Erwin Steinhauer) sprechen, einen Unterweltler, für den Rauter sogar so etwas wie Sympathie empfindet (einer vom alten Schlag sei er schließlich, mit dem man noch reden könne) und der Behördenleiter dann rauchend über seine Stadt schaut, als sei er nicht bloß Chef, sondern König.
Oder wenn Eisner beschließt, mal etwas "Wirbel in die Sache" zu bringen und dem Dokta mit all seinen Gewerben das Leben schwer zu machen, um den Fall aufzuklären und Eder und ihr Kameramann Matthias Pötsch in Tarantino-Manier die Razzien und Untersuchungen in Werkstätten und Puffs inszenieren – im Schnelldurchlauf, mit Split-Screen und kratziger Musik.
Oder wenn der Dokta im Vernehmungszimmer das hartgekochte Ei pellt, das ihm seine Gattin (Maria Hofstätter) nebst Butterbrot als Verpflegung für das Verhör mitgegeben hat und Eisner und Fellner schauen, als hätten sie seit Tagen nichts Gescheites zu essen bekommen. Spätestens da möchte man sich das Popcorn schnappen und es sich gemütlich machen in diesem Film, der so plüschig ist wie lange kein Tatort mehr.
Überhaupt aber bekommen die beiden Ermittler in diesem Tatort ein paar neue Facetten verpasst. Nicht so, dass man sie nicht mehr wiedererkennen würde, dafür sind die Autoren Stefan Hafner und Thomas Weingartner zu clever, doch die Situationskomik, mit der Eisner bei der ein oder anderen dämlichen Aktion ertappt wird, der Alkoholismus, mit dem sich Fellner nach wie vor rumschlagen muss und den das Drehbuch ebenfalls in eine sarkastische Richtung kippen lässt, der Umgang mit dem Kollegen Manfred Schimpf (Thomas Stipsits), der sich tatsächlich mal als nützlich erweist: All das sind Lichtblicke guter Drehbucharbeit.
Und dieser Fall, er bringt alles mit, was den Wiener Tatort in seinen Sternstunden ausmacht: Witz, Charme, Nostalgie und eine Tragik, die zum Finale melodramatisch wird. Nur einen Wermutstropfen hat das Ganze auch: Nicht jeden dieser Möchtegerngangster und Unterweltgrößen, die sich da in der österreichischen Hauptstadt tummeln, werden wir in einer der folgenden Tatorte mit Krassnitzer und Neuhauser wiedertreffen können. Es sei denn, Hafner und Weingartner lassen sich etwas einfallen. Hoffen wird man dürfen.