Die besten Folgen des Jahres

"Tatort"-Rückblick: Die Guten und die Bösen

30.12.2015, 10.49 Uhr
von Detlef Hartlap
Auf einer Indoor-Müllhalde wird eine Leiche gefunden. Einige Spurensicherer, darunter die Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker, vorne re.) und Robert Karow (Mark Waschke, 2. v. li.) sondieren die Lage.
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Auf einer Indoor-Müllhalde wird eine Leiche gefunden. Einige Spurensicherer, darunter die Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker, vorne re.) und Robert Karow (Mark Waschke, 2. v. li.) sondieren die Lage.  Fotoquelle: rbb/Frédéric Batier

Ich hasse Top-Ten-Listen. Aber okay, hier ist eine. Welche Tatort-Folgen konnte man sich 2015 angucken und welche lieber nicht? 

Dass wir uns in Deutschland überhaupt mit der ewigen Sendereihe Tatort abgeben, zeugt von einer gewissen Programmarmut. US-Magazine, ob Print oder Online, stellen zu dieser Jahreszeit Rankings der besten TV-Serien auf: War die 2. Staffel von "Fargo" ("season" sagt man im Englischen) besser als die erste? Sie war es. Ist "Transparent" (auf Amazon) wirklich die beste Fernsehserie, die je zu sehen war? Geschmackssache.

Genau wie "Bojack Horseman" (auf Netflix), ein doch reichlich ordinäres Unterfangen. So ordinär, das muss man auch mal sagen, dass diese animierte und in den USA eminent erfolgreiche Serie um einen lebens- und liebestollen Hengst in Deutschland kein Erfolg wäre. Fernsehmäßig sind wir nämlich zahm und zwar so was von ...

Das merkt man dem Tatort an. So richtig wehtun darf er nicht, obwohl er doch von Verbrechen handelt. Eigentlich. In Wahrheit handelt er aber von den Kommissaren und Kommissarinnen, von ihren Problemen, Krankheiten und manchmal auch von ihrem Liebesleben.

Zuweilen gerät aber doch eine Story darunter, der man sich nicht entziehen kann, die richtig mitreißt.

Die besten drei Tatort-Folgen des Jahres waren solche Filme.

Das Muli (Berlin)

Eine Wucht von einem Film. Großstadt-Symphonie. Döblins "Alexanderplatz" im 21. Jahrhundert. Ein starker Auftakt für Meret Becker und Mark Waschke als neue Berliner Kommissare. Ein Film, der auf der Kinoleinwand bestehen würde.

Die Wiederkehr (Bremen)

Hätte eine Rührstory werden können. Tot geglaubte Tochter kehrt nach Jahr und Tag als Punksuse an die üppige Brust der Mutter zurück. Begann ergreifend und wurde immer spannender. Gro Swantje Kohlhoff gab eine Kostprobe ihres immensen Könnens im Volksfernsehen (im Januar folgt die nächste, dann am Bodensee). Gabriela Maria Schmeide war faszinierend als Mutter, die ihre heimgekehrte Tochter ins Herz schloss, obwohl sie es besser wusste. Ein Film, der ein feines Theaterstück abgeben würde.

Wer bin ich? (Wiesbaden)

Truffaut und Bergman lassen grüßen. Ein Krimi, der über das Genre hinausweist. Entsprechend schwach waren die Einschaltquoten. Ulrich Tukur in einer Doppelrolle, als LKA-Ermittler Murot und als er selbst. Herrliche Insider-Gags mit den Frankfurter Tatort-Kollegen und dem unvergleichlichen Martin Wuttke (ehemals Leipzig). Stünde in jedem Arthouse-Kino wochenlang auf dem Programm. Aber eben nur dort.

Das waren die drei mit Abstand besten Folgen eines Jahres. Viel interessanter wäre die Frage nach den drei großen Entdeckungen unter den Schauspielern. Stars zieht es bekanntlich gerne in die Rolle des Kommissars, das garantiert ein süffiges Auskommen und dauerhafte Popularität.

Doch hinter den Kommissaren spielen sich bisweilen große Talente in den Vordergrund, die zwei, drei Jahre später nicht mehr vom Bildschirm wegzudenken sind. Klassisches Beispiel: Bevor 1977 der Tatort "Reifezeugnis" von Wolfgang Petersen ausgestrahlt wurde, war das Publikum wohl mit dem populären Christian Quadflieg und Klaus Schwarzkopf als Kommissar Finke vertraut, aber Nastassja Kinski kannte man nur als Tochter. Nach dem Film sprachen alle nur noch von der Kinski.

Emily Cox beeindruckt

Gro Swantje Kohlhoff habe ich erwähnt. Elisa Schlott beeindruckte in ihrer Dogensucht in "Borowski und der Himmel über Kiel". Eine großartige Entdeckung. Ebenso wie Emily Cox als vielfach verstoßene Tochter in "Kälter als der Tod" (Frankfurt), die sich ähnlich wie Gro Swantje Kohlhoff in "Die Wiederkehr" eine Familie und ein Zuhause erobern möchte, was schrecklich aus dem Ruder läuft.

Auch Fabian Hinrichs begann mal (wenn man das so sagen darf; es gibt ja auch andere Rollen als die im Tatort) als Nebenfigur. In einem Münchner Tatort, wo er den beflissenen und anfangs wenig einnehmenden Nervbolzen neben Udo Wachtveitl und Miroslav Nemec spielen sollte.

Am Ende hatte Hinrichs Recht behalten mit der Beurteilung des Falls und war tot. Ermordet. Die altgedienten Kollegen weinten an seinem Grab, und die Tatort-Gemeinde, die oft als das "letzte Lagerfeuer der Nation" beschrieben wird, mailte und twitterte um Wiederauferstehung.

In Nürnberg durfte Hinrichs im April tatsächlich wieder ran, diesmal als leitender Kommissar, gemeinsam mit der schon in DDR-Polizeiruf-Folgen bewährten Dagmar Manzel, und das ließ sich – in "Der Himmel ist ein Platz auf Erden" – so gut an, dass wir mit einer gewissen Sehnsucht auf den nächsten Franken-Tatort warten.

Zwei seien abschließend noch hervorgehoben, auch wenn sie nicht zur Kommissarriege gehören. Ulrike C. Tscharre zog in besagtem Frankenfilm alle Register von Liebe und Lust, von bodenlosem Entsetzen und Trauer, dass ihr, wenn's das gäbe, ein seriöser deutscher Fernsehpreis gebührte.

Antoine Monot Jr. als mordender Rächer

Und in dem immer etwas stiefmütterlich behandelten Luzern-Tatort durfte Antoine Monot Jr. zeigen, dass mehr in ihm steckt als der hampelige "Technick" von Saturn. Nicht dass wir das nicht gewusst hätten, aber die Werbung kann, zumal wenn sie populär wird, eine Schauspielerkarriere ruinieren. Antoine Monot Jr. dürfte seine Rolle als mordender Rächer der Entrechteten in "Ihr werdet gerichtet" geholfen haben, nicht ganz in Technik zu versinken.

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