Interview über neue Herausforderungen

UFA-Chef Nico Hofmann: "Sehe eher Kino als Fernsehen unter Druck"

von Frank Rauscher

TV-Produzent Nico Hofmann verantwortet über 4500 Stunden Fernsehprogramm pro Jahr. In einem Interview mit dem UFA-Chef geht es entsprechend auch um sein Verhältnis zur Macht – und die Inhalte, die den Zuschauer künftig erwarten.

"Nach der Hoch-Zeit des skandinavischen Fernsehens sind jetzt wir an der Reihe": Nico Hofmann ist es trotz der wachsenden Konkurrenz von Netflix und Co. um die Zukunft des deutschen Fernsehens kein bisschen bange. Im Interview analysiert Deutschlands wichtigster TV-Produzent entspannt und selbstbewusst die Herausforderungen eines kompliziert gewordenen Fernsehmarktes. Vom Umbruch, den der 57-Jährige mit der Einführung des Farbfernsehens vergleicht, werden am Ende alle profitieren – vor allem die Zuschauer. Denn, so Hofmann, "plötzlich ist Dynamik drin und radikales Programm möglich." Der Macher von Events wie "Unsere Mütter, unsere Väter" und Serienhits wie "Charité" ist überzeugt: "Der Markt wird zu einem komplementären System zusammenwachsen. Die öffentlich-rechtlichen Sender, aber auch die großen Privatsender werden von der Konkurrenzsituation belebt werden, sie werden immer tiefer und risikofreudiger in den Qualitätswettbewerb einsteigen."

prisma: Sie sind seit 1. September alleinverantwortlicher CEO der UFA-Gruppe. Wie hat sich Ihr Alltag verändert?

Nico Hofmann: Meine Woche hat nicht mehr 70, sondern 80 Arbeitsstunden (lacht). Das Arbeitsfeld ist natürlich wesentlich größer geworden. Ich decke jetzt das gesamte UFA-Spektrum ab, bin auch für Daily Dramas, Shows und das Digitalangebot zuständig. Das ist viel Arbeit, aber es macht auch sehr viel Spaß – weil ich ein tolles Team habe. Ganz ehrlich: Mir geht's gut!

prisma: Aber daheim und ganz privat fernsehen ist nicht mehr drin, oder?

Hofmann: Und ob. Ich sehe jeden Tag zu Hause ganz klassisches TV-Programm, suche mir alles Wichtige, was ich verpasst habe, in der Mediathek und schaue auch bei den Streaminganbietern rein. Vor ein paar Tagen habe ich mir zum Beispiel alle zehn Folgen der ersten Staffel von "The Crown" auf Netflix reingezogen – am Stück. Ja, meine Fernsehabende sind lang und vielfältig, und wenn am Sonntag schlechtes Wetter ist, ist Binge-Watching angesagt.

prisma: Sie sind ein TV-Junkie!

Hofmann: Definitiv. Aber sonst könnte ich in meiner Firma auch schlecht mitreden. Ich mache mir grundsätzlich lieber selbst ein Bild von den Dingen – was im Fernsehen ja leicht geht (lacht). Insofern bin ich auch eher Profi als Junkie. Natürlich lasse ich mir auch eine Sendung wie "Das Supertalent" nicht mehr entgehen. Die aktuelle Staffel ist ein großer Erfolg – über 20 Prozent in der Zielgruppe für RTL. Glauben Sie mir, darauf bin ich stolz, darüber kann ich mich fast genauso freuen wie über die Lorbeeren für eine Produktion wie "Unsere Mütter, unsere Väter".

prisma: Aber fühlt es sich nicht eigenartig an, wenn Sie, der wichtigste deutsche Filmproduzent, plötzlich nicht mehr nur über Spielfilme und TV-Events, sondern auch über "DSDS" und Dieter Bohlen reden müssen?

Hofmann: Nein, gar nicht. Denn, was viele nicht wissen, ich habe eine große Affinität zur Musik und zu Shows. Seit 20 Jahren habe ich kein Musical zwischen New York und Wien verpasst. Fragen Sie meine gute Freundin Kathrin Zechner (die Fernsehdirektorin des ORF, d. Red.), sie leitete jahrelang die Musicalbühnen in Wien – wir sprachen schon so viele Stunde über das Musikfernsehen von heute und morgen. Musik hat mich immer wieder bei meiner Tätigkeit als Produzent tangiert. Aktuell arbeite ich mit den Rosenstolz-Musikern Ulf Sommer und Peter Plate an einer Kinoverfilmung von Shakespeares "Romeo und Julia" ... Ich zähle viele Musiker und Musikproduzenten zu meinen Freunden – mittlerweile auch Dieter Bohlen.

prisma: Hat es zwischen Ihnen beiden auf Anhieb gepasst?

Hofmann: Ja – weil wir beide große Freude am intensiven Austausch und der Diskussion haben. Sein Fokus gilt der Qualität, und mit ihm kommt man immer zu Ergebnissen. Das gefällt mir.

prisma: Auf dem ersten Blick haben Unterhaltungsshows und Spielfilme nichts miteinander zu tun ... Oder sehen Sie Parallelen?

Hofmann: Auf jeden Fall. Das liegt näher beisammen, als man glaubt: Eine Show wird vom Ansatz her kaum anders gestaltet als ein Film: Es kommt jeweils auf die richtigen Zutaten an – auf die Rhythmik, die Ästhetik und die Besetzung, also konkret auf die Frage: Wer sitzt in der Jury?

prisma: Neben Dieter Bohlen sind dies bei der im Januar startenden 15. Staffel Mousse T., Ella Endlich und Carolin Niemczyk. Die Namen kamen überraschend.

Hofmann: Wir haben uns viele Gedanken gemacht, wie wir die ureigene DNA von "DSDS" wieder stärker unterstreichen können. Wir wollten back to the Roots – das ist das Ergebnis.

prisma: Woraus besteht denn die "DNA" konkret?

Hofmann: Die DNA von "DSDS" ist es, eine Heldenreise mit jungen Leuten zu machen, die sich durch ihr großartiges musikalisches Talent auszeichnen. Das heißt: Dieter und ich haben uns vorgenommen, in "DSDS" wieder solche Künstler hervorzubringen, die eine echte Chance haben, nachhaltig auf dem Markt präsent zu sein. Namen, an die man sich erinnert, echte Stars mit Nummer-Eins-Hits, Künstler wie Mark Medlock. Deutschland hat diese Talente, wir wollen sie entdecken und werden sehr fokussiert daran arbeiten.

prisma: Dass Deutschland reich an Talent ist, hat die Welt auch an der von Ihnen verantworteten Spionageserie "Deutschland83" gesehen. Das Format erhielt international enorme Resonanz – nur bei RTL floppte es. Was lernten Sie daraus?

Hofmann: Das entscheidende Learning ist, dass wir in Zukunft viel genauer unterscheiden müssen zwischen einer Primetimeserie und einer Plattformserie. "Deutschland83" passte nicht in die RTL-Primetime – dafür gibt es in der Nachbetrachtung eine ganze Reihe Gründe. Genauso gute Gründe gibt es andererseits für den Riesenerfolg unserer Produktion "Charité" – die Serie war von Anfang an für den Dienstagabend in der ARD konzipiert. Das passte perfekt. Ein anderes Beispiel ist die Schweighöfer-Serie "You Are Wanted" – bei Amazon war's ein Megaerfolg, und in der ORF-Primetime ging die Free-TV-Premiere total in die Hose.

prisma: Klingt so, als müsse die deutsche TV-Branche erst noch ihre Erfahrungen mit der neuen Serienwelt sammeln ...

Hofmann: Genau. Wir sind mitten im Umbruch, aber wir lernen schnell. Nicht alles, was gut ist, funktioniert überall – die DNA der Sender ist inzwischen sehr spezifisch ausgeprägt. Für die Programmplanung bedeutet dies, noch genauer zu analysieren und realistischer mit der Erwartungshaltung des Publikums umzugehen.

prisma: Haken Sie das Ganze als Misserfolg ab?

Hofmann: Ganz und gar nicht. "Deutschland83" ist ein Welterfolg – in kreativer und wirtschaftlicher Hinsicht. Das hat uns Türen geöffnet. Auch im Inland waren die Reaktionen fantastisch: Ich habe noch nie in meinem Leben so gute Kritiken über eine unserer Produktionen gelesen. Der Wert, den "Deutschland83" für uns und die ganze Branche in Deutschland hat, ist kaum in Worte zu fassen. Und: Bei RTL hatte die Serie im Schnitt 1,8 Millionen Zuschauer – für einen Plattformbetreiber wäre das sensationell. Dass die Serie nun von Amazon koproduziert wird und gleich zwei Fortsetzungsstaffeln entstehen, spricht Bände. Das ist ein Millionengeschäft und ein Meilenstein in der Geschichte der Koproduktionen, der auf Jahre hinaus die Standards neu definiert.

prisma: Also braucht sich der deutsche Fernsehmarkt nicht vor den neuen internationalen Großanbietern zu fürchten?

Hofmann: Ich denke nicht – weil im Grunde alle profitieren. Der Markt wird zu einem komplementären System zusammenwachsen.

prisma: Das heißt konkret?

Hofmann: Ich bin überzeugt: Die öffentlich-rechtlichen Sender, aber auch die großen Privatsender werden von der Konkurrenzsituation belebt werden, sie werden immer tiefer und risikofreudiger in den Qualitätswettbewerb einsteigen. Wie gut sich alles schon gegenseitig befruchtet, sieht man zum Beispiel auch an unserer Produktion "Ku'damm 56", die im ZDF bereits gut lief und auch bei Netflix angeboten wird und dort genau wie in der ZDF-Mediathek starke Abrufzahlen erreicht.

prisma: Sie reden sich das alles auch nicht schön?

Hofmann: Nein. Ich schaue wirklich sehr entspannt in die Zukunft. Netflix gräbt dem linearen Fernsehen nicht das Wasser ab – das sind unterschiedliche Zuschauerschichten. Und für uns Produzenten eröffnet sich einfach ein zusätzlicher Markt. Wir erleben gerade einen gigantischen Umbruch, ohne jede Frage. Aber er markiert nicht den Untergang des Fernsehens, sondern das genaue Gegenteil. Der Zuschauer darf sich freuen, weil Qualität und Quantität erheblich verbessert werden. Es werden völlig neue Standards gesetzt – im Übrigen auch in der Home-Entertainment-Technik. Ich sehe eher das Kino als das Fernsehen unter Druck.

prisma: Was heute sicherlich nicht mehr funktioniert, ist die alte Ausrede deutscher Fernsehmacher, dass die hiesigen Produktionen internationalen Formaten deshalb hinterherhinken, weil es an Geld fehlt ...

Hofmann: Das stimmt. Nicht alles, was auf Netflix ein Erfolg ist, ist zwingend sündhaft teuer hergestellt worden. Andersherum beweisen mehr und mehr deutsche Produktionen, dass auch hier mit relativ geringen Mitteln großes Fernsehen auf die Beine gestellt werden kann. Eine Serie wie "4 Blocks" (von Wiedemann & Berg für TNT Serie produziert, d. Red.) zeigt doch, was mit begrenztem Budget alles möglich ist, wenn kreativ und ambitioniert gearbeitet wird.

prisma: Stellen Sie ein Umdenken bei den Senderverantwortlichen fest?

Hofmann: Absolut. Das eindrücklichste Beispiel ist für mich ZDFneo. Dort wird gerade unheimlich viel ausprobiert mit frischen internationalen, aber immer wieder auch aufregenden deutschen Serienproduktionen. Nicht Big Budget, aber das meiste ist sehenswert. Wenn das die Zukunft des Fernsehens ist, wird sich keiner beschweren.

prisma: Ist die Zäsur, die wir derzeit erleben, also vergleichbar mit der Einführung des Farbfernsehens?

Hofmann: Das darf man so sehen, ja. Das Beste ist, dass wir dem absolut selbstbewusst begegnen können, weil sich der deutsche Markt gerade völlig neu positioniert. Nach der Hoch-Zeit des skandinavischen Fernsehens sind jetzt wir an der Reihe – so wird die Entwicklung aktuell im Ausland kommentiert. Was natürlich mit Serien wie "Babylon Berlin" oder Events wie "Unsere Mütter, unsere Väter" zu tun hat. Es kommen bei uns immer mehr junge Kreative nach oben, die ein Händchen fürs cineastische Erzählen haben. Plötzlich ist Dynamik drin und radikales Programm möglich. Das tut uns unglaublich gut.

prisma: Und mittendrin Sie als CEO der UFA-Gruppe, die mit jährlich 4.500 Stunden Fernsehen Marktführer unter den Produzenten in Deutschland ist. Erschrecken Sie manchmal vor der eigenen Macht?

Hofmann: Das vielleicht nicht gerade, aber es ist schon so, dass ich mir in meiner Position der besonderen Verantwortung stets bewusst sein muss. Von "GZSZ" bis zum großen Historien-Event: Die Programme haben Wirkung und tragen zur Sozialisierung von Millionen von Menschen bei, sie sind gesellschaftspolitisch relevant. Das darf man nie vergessen. Für mich ganz entscheidend ist etwa bei allen Showformaten, dass wir nicht den Voyeurismus bedienen, auch der kleinste Einspieler darf in keinster Weise sexistisch oder rassistisch sein. Ich schaue mir auch deshalb fast alles ganz genau an.

prisma: Sehen Sie den mit der Bundestagswahl manifestierten Rechtsruck im Land als Ansporn, weiterhin politische und vor allem historische Stoffe anzupacken?

Hofmann: Ich werde solche Produktionen weiterhin forcieren, aber das hat nichts mit der aktuellen Politik zu tun. Zunächst sehe ich das Wahlergebnis als einen Weckruf für alle Demokraten an. Und dann muss man eben vernünftig damit umgehen. Da darf man nicht nur über rechtsreaktionäre Tendenzen reden. Das war im Wesentlichen eine Protestwahl. Aus den unterschiedlichsten Gründen sind die Menschen offenbar unzufrieden. Da braucht es eine genaue differenzierende Analyse. Absolut positiv ist für mich die hohe Wahlbeteiligung. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen sich wieder viel mehr für Politik interessieren als noch vor ein paar Jahren – auch die Jugend. Das merke ich bei der Arbeit als Dozent mit meinen Studenten. Ich bin also optimistisch. Und ich bin ein großer Freund der Jamaika-Koalition, aus der eine ganz neue Energie entstehen kann, die dem Rechtsruck womöglich mehr Wind aus den Segeln nimmt als alle TV-Debatten zusammen.

prisma: Ist die Zeit reif für die von Ihnen seit Jahren forcierte Hitler-Serie?

Hofmann: Ja. Das Projekt steht noch auf unserer Agenda – internationale Finanzierungszusagen gibt es bereits. Was uns fehlt, ist der deutsche Partner, und ohne eine deutsche 50-Prozent-Partnerschaft würde ich so ein Projekt nicht machen. Wie man weiß, steckt sehr viel Geld hierzulande gerade in "Babylon Berlin". Es wird daher nicht einfach.

prisma: Alle reden gerade über "Babylon Berlin", produziert von X Filme Creative Pool in Koproduktion mit ARD Degeto, Sky und Beta Film. Schauen Sie neidisch auf die Konkurrenz?

Hofmann: Überhaupt nicht. Ich bin sogar richtig stolz auf das Format – weil es uns alle wieder ein Stück voranbringt, vor allem im internationalen Ansehen. Aber wenn Sie es nicht an die große Glocke hängen: Ja, ich hätte wahnsinnig gerne "Babylon Berlin" gemacht!


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren