Darsteller in "Fremder Feind"

Ulrich Matthes: Viel Erotik, wenig Pazifismus

von Maximilian Haase

Man kennt ihn im traditionsreichen Charlottenburger Café; der Kellner grüßt wissend. Ulrich Matthes, ganz in der Nähe im Westberliner Stadtteil Wilmersdorf aufgewachsen, lädt in sein Stammlokal zum Gespräch bei grünem Tee. Viel Zeit hat sich der vielfach prämierte Film- und Theaterschauspieler an diesem Januarvormittag genommen, um über sein aktuelles ARD-Drama "Fremder Feind" (Mittwoch, 21.2., 20.15 Uhr) zu reden. Er spielt einen Familienvater, der alles verliert und sich in eine Berghütte zurückzieht. Die Eiseskälte des Drehs lässt der 58-Jährige ebenso Revue passieren wie die dauerpräsente Erotik der Kamera.

Dann wird es ernst: Ein Gespräch über den wichtigen Widerstand gegen die AfD, die nervende Rolle des Goebbels – und darüber, warum er kein Pazifist ist.

prisma: Sie sind hier in der Nähe geboren, in Wilmersdorf. Würden Sie Berlin als Ihre Heimat bezeichnen?

Matthes: Ja, immer schon. Die Pizzeria hier nebenan gab es schon vor 40 Jahren, als ich als pubertierender Knabe nach dem Kinobesuch hingegangen bin. Für fünfzig Pfennig auf die Hand.

prisma: Sie waren in Ihrem Leben nur wenige Jahre aus Berlin weg.

Matthes: Insgesamt neun Jahre – ist das wenig? Ich war im Engagement in Krefeld, Düsseldorf und fünf Jahre in München. Da hab ich mich ein bisschen fremd gefühlt.

prisma: Inwiefern?

Matthes: Als Berliner waren mir der bajuwarische Humor und die Mentalität eher fremd. Die Stadt und die Umgebung sind ja wunderschön – als Rentner kann man da drüber nachdenken, aber als 27-jähriger Berliner ...

prisma: Was hat Sie nach Berlin zurückgezogen?

Matthes: Ein Engagement an der Schaubühne 1992. Und die Stadt selbst natürlich! Ich wollte damals immer zurück, vor allem nach dem Fall der Mauer. Ich saß in München und hatte das Gefühl, in Berlin geht die Post ab. Der Aufbruch, die ganzen Hinterhofclubs! Heutzutage werde ich schlicht um ein Uhr müde, aber damals ging es problemlos bis sechs Uhr morgens ... Manchmal bin ich für das Wochenende die endlose Autobahn langgezuckelt mit meinem Käfer, nur um die Familie und Freunde zu treffen.

prisma: Damals war das Theater für Sie noch das Nonplusultra. Was reizte Sie am Film?

Matthes: Es war für mich damals undenkbar, nicht erst mal ans Theater zu gehen. Das Drehen kam dann nach fünf, sechs Jahren dazu, ein paar "Derricks" zum Beispiel. Ich liebe die Arbeit vor der Kamera. Die Erotik einer Kamera, das reduzierte Spiel. Beim Film muss man sich nicht fragen, wie man das Publikum von der Bühne aus erreicht, sondern kann sich auf das Empfinden und Denken konzentrieren, im Vertrauen darauf, dass die Kamera das wahrnimmt. Die Suche nach Wahrhaftigkeit unterscheidet sich in Theater und Film nur formal.

prisma: Hat Ihr Verhältnis zur Kamera tatsächlich etwas Erotisches?

Matthes: Ja. Dieser Apparat und der Mensch dahinter, dieses Surren der Maschine, hat etwas Magisches. Es ist etwas anderes als die enorme Energie eines Zuschauerraums, die natürlich auch hocherotisch ist.

prisma: Bei Ihrem neuen Film "Fremder Feind" war der Dreh zweigeteilt.

Matthes: Ja, erst den ganzen Januar in Tirol, und dann im schockierend kalten April in der Stadt. Wir mussten so tun, als sei es Frühsommer – und haben im T-Shirt ziemlich gebibbert. Aber kein Vergleich zu den minus 28 Grad bei den Abenddrehs in Tirol.

prisma: Sie drehten im meterhohen Schnee. War es so anstrengend, wie es aussieht?

Matthes: Ja. Da war nichts getrickst, wahnsinnig viel Schnee. Und ich musste enorme Schrägen hoch- und runterkraxeln und mit dem Jeep ungeräumte Straßen mit Karacho runterfahren, einen Meter vom ungeschützten Abgrund entfernt.

prisma: Wie kann man unter diesen Bedingungen überhaupt spielen?

Matthes: Naja, es war nun nicht gerade "Revenant"-mäßig (lacht). Ich will mich nicht beklagen, im Gegenteil: So eine emotional wie physisch fordernde Rolle ist natürlich lustvoll. Selbst wenn ich manchmal meinen Kiefer vor Kälte nicht mehr bewegen konnte; dann hat man mir Chemiewärmer an die Wangen gepappt. Dann ging's raus, um schnell die Szene zu drehen, und halb erstarrt wieder rein.

prisma: Sie erwähnten die emotionale Herausforderung. – Ihre Figur verliert den Sohn, der im Krieg umkommt.

Matthes: Für Eltern gibt es nichts Schrecklicheres, als das eigene Kind zu verlieren. Da kann man als Schauspieler auch nichts recherchieren, da hilft nur Empathie.

prisma: Ist es im Gegensatz dazu eigentlich einfacher, eine historische Figur zu spielen – etwa den Goebbels im "Untergang" oder den Borgia in "Die Puppenspieler"?

Matthes: Borgia ist mir wurscht. Bei Goebbels hatte ich als Schauspieler wie als Mensch eine vollkommen andere Verantwortung. Ich glaube fest daran, dass man die als Deutscher im Besonderen hat. Ich bin ein großer Freund Israels – Netanjahu hin oder her. Die lebenslange Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus ist mir sehr wichtig. Deshalb überlegte ich beim Goebbels lange, ob ich das machen soll.

prisma: Was bereitete Ihnen die meisten Bauchschmerzen?

Matthes: Man will seine Figuren ja schützen! Bis zu einem gewissen Maße auch mögen. Es geht nicht, eine Figur mit innerer Distanz zu spielen, ein Stück Identifikation muss dabei sein. Das ist bei Goebbels unmöglich. Da wusste ich, ich muss lesen: die Goebbels-Tagebücher, Bücher von Überlebenden: Klemperer, Semprun, Primo Levi.

prisma: Es war auch die Rolle, die sie vor 15 Jahren einem größeren Publikum bekanntmachte. Hat Sie das damals genervt?

Matthes: Wenn ich ehrlich bin, ja. Das ist gegenüber dem Projekt ein wenig ungerecht, dem ich insgesamt loyal gegenüberstehe. Aber es war nervtötend. Ich habe so viel anderes im Theater und Film gemacht, unterschiedlichster Bandbreite. Und dann wurde ich etwa in Oslo auf der Straße angesprochen, ob ich nicht den Goebbels gespielt hätte. Damals dachte ich: Wenn jetzt in meiner Karriere nichts mehr nachkommt und mich die Leute bis zu meinem seligen Ende als Goebbels identifizieren: Ach du lieber Himmel!

prisma: So weit ist es zum Glück nicht gekommen.

Matthes: Nee. Eigentlich halte ich mich auch für ganz sympathisch ... (lacht)

prisma: Sehen Sie sich als Schauspieler auch aktuell als Aufklärer – nach dem Wahlsieg der AfD?

Matthes: Ich habe mich wirklich nie so aufgerufen gefühlt, öffentlich politisch Stellung zu beziehen. Es gilt, absolut aufmerksam zu sein gegenüber der AfD, die stellvertretend für viele Tendenzen steht, die sich seit vielen Jahren breitmachen. Rassismus, auch in Kreisen, in denen man ihn nicht für möglich hielt. Antisemitismus, der vermeintlich bürgerlich in einem Nebensatz geäußert wird. Da muss man, wo immer man kann, zivilcouragiert sagen: Nicht mit mir. Ich halte die AfD wirklich für gefährlich und erhebe mein Stimmchen, wo immer ich kann.

prisma: Dringt das denn überhaupt in die AfD-Blase vor?

Matthes: Tja. Zu einem Tucholsky-Abend kommen doch immer nur die liberal Gesinnten – und kein einziger AfDler, der sagt: Oha, Tucholsky hatte wohl recht, das überleg ich mir noch mal mit meinem AfD-Zeug. No way. Man kann nur auf die Unentschlossenen und Protestwähler hoffen, die sagen: Och, den Matthes find ich eigentlich ganz vernünftig. Subkutan kann man was erreichen, aber verändern kann man die Welt mit einem Film oder einem Theaterstück nicht.

prisma: Gab es Zeiten, in denen Sie darüber anders dachten?

Matthes: Mit 25 ist man ja noch entflammter. Und trotzdem: Auch heute ist meine Leidenschaft, in den Leuten etwas zu erreichen, groß! Sie zu berühren. Ganz simpel. Aber dass ein Kunstwerk etwas wirklich Bedeutendes verändert – dann sähe die Welt anders aus. Das Schreckliche am menschlichen Charakter ist ja, dass ein KZ-Kommandant am Vormittag auf dem Grammophon Schuberts "Winterreise" hören konnte, und sich dann 20 Schritte weiter in seiner Baracke überlegt hat, wie er die Gaskammern noch effektiver macht.

prisma: Auch Ihr Protagonist in "Fremder Feind" wandelt sich vom Pazifisten zum Menschen, für den Gewalt zur Option wird.

Matthes: Ja – der Film lehrt aber auch: Selbst wenn man sich der Gewalt, für einen selbst überraschend, hingegeben hat, kann man immer noch auf sie verzichten. Spätestens, wenn man sich von Individuum zu Individuum gegenübersteht, setzt sowas wie Gewissen, Moral, Menschsein wieder ein. Das ist ja heute das Gefährliche am Netz.

prisma: Inwiefern?

Matthes: Gerade weil man keinen Menschen mit Brille und Haaren und Nase vor sich sitzen hat, glaubt man anonym alles Mögliche schreiben zu können.

prisma: Erwecken solche Leute auch bei Ihnen ungewollt Aggressionen? Oder gibt es da andere Situationen im Leben?

Matthes: Ja, ununterbrochen jeden Tag im Straßenverkehr (lacht)! Was einem da an absurder Aggression begegnet! Das ist wie eine Art Ersatz-Krieg. Da werden Aggressionen ausgelebt, die in unserer zivilisierten Gesellschaft sonst nicht mehr ausgelebt werden können. Viele Männer sind mit so einer Wut aufgeladen, durch Frust, unglückliche Kindheit, verkorkste Ehe, Gedeckeltwerden vom Chef, was weiß ich – und lassen das da raus! Ich will mich davon gar nicht ausnehmen – ich hupe auch das ein oder andere Mal zu oft (lacht).

prisma: Würden Sie sich eigentlich persönlich als Pazifist bezeichnen?

Matthes: So gebatikt ist mein Menschenbild nicht, dass ich alle Menschen für Gänseblümchenfreunde hielte. Es gibt Situationen, in denen man auf Waffen leider nicht verzichten kann. Sowohl was innergesellschaftlich die Polizei angeht, als auch bewaffnete Konflikte zwischen Staaten. Natürlich hoffe ich, dass man Konflikte wie mit Nordkorea, im Nahen Osten, in der Ukraine friedlich lösen kann. Dennoch: Auch wenn es sich für jedes Interview besser macht, zu sagen, selbstverständlich bin ich Pazifist – ich bin es nicht. Spätestens beim Kampf der Alliierten gegen den Nationalsozialismus wäre Pazifismus ja fatal gewesen.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

Das könnte Sie auch interessieren