TV-Tipp

Dem Grauen auf der Spur

02.08.2021, 08.15 Uhr
von Sarah Schneidereit
Sven Voss und Lydia Benecke.
Sven Voss und Lydia Benecke.  Fotoquelle: ZDF / Ralf Gemmecke

Kriminalpsychologin Lydia Benecke beschäftigt sich mit Straftätern und ihren Denkweisen. In der ZDF-Serie "Tod in ..." spürt sie zusammen mit Sven Voss realen Gewaltverbrechen nach.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Fälle ausgesucht?

Lydia Benecke: Die Fälle wurden von der Produktionsfirma vorab ausgesucht. Ich kenne und schätze die Kolleginnen und Kollegen sehr, weshalb ich wusste, dass sie ein gutes Gespür für Themen haben und sehr seriös an die Sache herangehen. Daher musste ich mir da keine Gedanken machen. Ein Auswahlkriterium war die Diskrepanz zwischen einem Ort, der sehr idyllisch wirkt und an dem man sich wohlfühlt, an dem aber zugleich ein Gewaltverbrechen stattgefunden hat. Wichtig war auch, dass die Fälle nicht gleich gelöst werden konnten, sondern eine längere Ermittlung erforderten. Dies ermöglicht eine besonders spannende und informative Erzählweise.

Sind Sie bei den Recherchen auch auf Widerstände gestoßen?

Ein Rechercheteam der Produktionsfirma hat sich darum gekümmert, die Kontakte zu Personen, die für die Fälle relevant waren, herzustellen. Dadurch standen uns in allen Fällen Ansprechpersonen zur Verfügung. Die Bereitschaft der ermittelnden Personen, vor der Kamera sowie am Schauplatz zu sprechen, war also bereits im Vorfeld abgeklärt. Das ermöglichte mir eine tiefergehende Einordnung der Fälle. Es war in allen Fällen eine sehr interessante Zusammenarbeit.

Wie fühlt es sich an, diese Originalschauplätze aufzusuchen?

Ich kenne das aus meinem Arbeitsalltag, das war für mich nichts Neues. Viele Verbrechen haben für mich einen Ortsbezug. Das betrifft auch Orte, an denen ich mich im Alltag bewege. Deshalb war es für mich jetzt nicht besonders emotional. Für Sven Voss, der "Tod in ..." moderiert, war das natürlich eine ganz andere Erfahrung. Ich habe ihn während der Zusammenarbeit als sehr empathischen und engagierten Menschen kennengelernt, der noch keine näheren Berührungspunkte mit solchen Verbrechen hatte. Wir haben natürlich während der Dreharbeiten auch viele Gespräche geführt, die mir gezeigt haben, dass ihm die Fälle emotional etwas näher gingen als mir, weil für ihn der Umgang mit solchen Fällen nicht zum Alltag gehört.

Sie sind Kriminalpsychologin mit Arbeitsschwerpunkt im Bereich der Gewalt- und Sexualstraftaten. Wieso haben Sie ausgerechnet darin Ihre Berufung gefunden?

Das ist eine Frage, die mir sehr häufig gestellt wird. Was auch nachvollziehbar ist, da es etwas vollkommen anderes ist, ob man abends im Fernsehen eine Krimi-Serie schaut oder ob man selbst täglich in Fälle involviert ist. Die Kurzversion ist, dass ich als Kind nach unserer Flucht aus Polen in einer sozial schwachen Hochhaussiedlung aufgewachsen bin. Dort habe ich durch den Tratsch der Nachbarn mitbekommen, dass es allerlei Verbrechen und Kriminalität gibt. Gar nicht mal so weit weg, sondern in direkter Nähe. Ich habe viele Zeitungsausschnitte gesammelt und mir Sendungen aus dem Fernsehen aufgenommen und diese dann kategorisiert. Dabei fiel mir auf, dass sich Verbrechen ähneln. Man findet so gut wie keinen Kriminalfall, der einzigartig ist auf der Welt. Die verschiedenen Tätertypen lassen sich in allen Zeiten an allen Orten finden. Ist es nicht spannend, dass es wissenschaftlich messbare Faktoren und bestimmte Mechanismen gibt, die menschliches Verhalten begünstigen, das viele Menschen als unmenschlich bezeichnen?

True-Crime-Formate sind bei Fernsehzuschauern und Podcast-Hörern gleichermaßen gefragt. Wie erklären Sie sich diese Faszination?

Das ist nicht sicher zu beantworten, da es leider bisher nur unzureichende wissenschaftliche Erkenntnisse dazu gibt. Bei meinen kriminalpsychologischen Vorträgen bekomme ich häufig die Rückmeldung, dass die Anwesenden eine Antwort auf die Frage "Warum tut ein Mensch so etwas?" suchen. Manche Taten sind für viele einfach unvorstellbar. Vor allem, wenn es um den netten Nachbarn von nebenan geht. Eine Studie aus dem Jahr 2010 hat die These aufgeworfen, dass das Interesse gerade bei Frauen an True-Crime-Formaten aus dem Wunsch nach Selbstschutz entsteht. Doch diese Studie hat mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.

Es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass das Publikum wahre Verbrechen spannend findet.

Genau. Das grundlegende Prinzip auf der Gefühlsebene scheint ähnlich wie bei Halloween zu sein: Es ist für die zuschauenden Personen ein angenehmes Gruseln, da sie in ihrem sicheren Wohnzimmer sitzen und wissen, dass sie nicht in Gefahr sind. Es besteht also kein Grund für reale Angst, die im Unterschied zum Gruseln als unangenehm empfunden wird.

Gibt es eigentlich auch Fälle, die Sie nicht so einfach vergessen können?

Es gibt Fälle, über die ich häufiger nachdenke, als über andere. Aber das sind oft nicht die Fälle, die die Leute vermuten würden. Häufig sind es nicht die grausamen Verbrechen, die eine breite mediale Aufmerksamkeit bekommen, sondern zum Beispiel innerfamiliäre Missbrauchsfälle. Es gibt in dem Bereich ein unglaublich großes Dunkelfeld, und durch meine Arbeit mit Straftätern weiß ich, wie schwer es sein kann, einen dysfunktionalen Kreislauf – besonders in Familien – zu durchbrechen. Wenn jemand ermordet wird, ist das ein deutlich sichtbarer Teil des Grauens in der Welt und es zeigt uns, wie brutal die Realität sein kann. Doch es gibt auch subtilere Formen von Leid, die sich auf die Leben von Menschen zerstörerisch auswirken können. In meiner Arbeit sehe ich alle diese Formen, die häufig über Generationen weitergegeben werden. Ich kann aber auch Positives berichten: So rufen mich zum Beispiel besonders um die Weihnachtszeit herum häufiger ehemalige Klienten an und erzählen mir, dass sie weiterhin straffrei leben.

Tod in Wales - Mittwoch, 11. August, 23.15 Uhr, ZDF

Tod in Nordfriesland - Mittwoch, 11. August, 0 Uhr, ZDF

Tod in Berlin - Donnerstag, 12. August, 23.15 Uhr, ZDF

Tod in der Bretagne - Donnerstag, 12. August, 0 Uhr, ZDF

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