Jean-Luc Godard

Lesermeinung
Geboren
03.12.1930 in Paris, Frankreich
Gestorben
13.09.2022 in Rolle, Schweiz
Sternzeichen
Biografie

Er gehörte zu den Eckpfeilern der Filmgeschichte, zu den wenigen Regisseuren, die nicht nur Herausragendes geleistet haben, sondern eine ganze Filmsprache revolutionierten. Die wegweisenden Neuerungen in seinen Filmen, wie den Jump-Cut, hat er dabei nicht unbedingt selbst erfunden. Er hat es auch nie behauptet. Doch genauso wenig, wie Filmpionier David Wark Griffith die Großaufnahme erfunden hatte und sie dennoch als erster wirklich sinnvoll einsetzte, machte Godard den Jump-Cut im "normalen" Spielfilm salonfähig.

Jean-Luc Godard war in den Fünfzigerjahren zunächst Filmkritiker bei "Cahiers du cinéma", neben jenen jungen Filmfreaks, mit denen er später die Nouvelle Vague bilden würde: Jacques Rivette, Eric Rohmer und François Truffaut. In dieser Zeit entstanden auch einige Kurzfilme. Gleich sein erster abendfüllender Film wurde ein Klassiker. "Außer Atem" (1959) mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg handelte von einem Kleingangster, der einen Polizisten erschießt und später von seiner Freundin an die Polizei verraten wird. Berühmt wurde Belmondos letzter Satz: "Du bist wirklich zum Kotzen", worauf sie in die Kamera blickt und treudoof fragt: "Kotzen? Was ist das?"

"Außer Atem" war nicht nur ein Film, der das Lebensgefühl einer Generation spiegelte. Er verstieß gegen jede Regel der damaligen Filmästhetik. Aus langen Gesprächen schnitt Godard einfach Sätze und Satzfetzen heraus, ohne sich um die dadurch entstehenden Bildsprünge (Jump-Cuts) zu scheren. Godard spielte diese Neuerung herunter, als er in seinem Buch "Einführung in eine wahre Geschichte des Kinos" behauptete, sein Film sei einfach zu lang gewesen und er habe auf die Art und Weise schludrig gekürzt. Inhaltlich orientiert sich "Außer Atem" an den Gangster- und Gaunerfilmen Hollywoods; er ist ausdrücklich den Monogram Pictures gewidmet, einer Firma, die in den 40er Jahren auf billig produzierte Reißer spezialisiert war. Jean-Paul Belmondos berühmt gewordene Manierismen (mit dem Daumennagel über die Lippen streichen und so weiter) sind ein deutlicher Verweis auf ebenso manieristische Charaktere wie Bogarts Marlowe oder Sam Spade.

Die klerikale deutsche Filmkritik konnte damals mit diesem Film nichts anfangen. Im katholischen "film-dienst" erhielt er die Wertung "abzulehnen" (was damals noch schlimmer war als "abzuraten") mit dem Kommentar, dies sei ein zynisches, schlecht gefilmtes Machwerk. "Außer Atem" war einer der ganz wenigen Filme Godards, die ihre Produktionskosten wieder einspielten. Dem Regisseur war dies herzlich egal. In der Folgezeit entwickelte er sich zum radikalsten Vertreter der Nouvelle Vague. Dies hatte zur Folge, dass sein Wirken auf einen kleinen Kreis begeisterter Cinéasten eingeschränkt blieb. Sein zweiter Film, "Der kleine Soldat" (1960), hat die Zeit weitaus weniger gut überdauert. Als Kommentar zum Algerienkrieg angelegt, ist das Werk heute nur noch von (film-)historischem Interesse.

Dagegen ist "Eine Frau ist eine Frau" (1960) eine starbesetzte Komödie, eine Hommage an den Witz eines Ernst Lubitsch und das amerikanische Musical. In der amüsanten, formal verspielten Dreiecksgeschichte spielen Jean-Paul Belmondo, Jean-Claude Brialy und Anna Karina, mit der Godard von 1961 bis 1967 verheiratet war. "Die Karabinieri" (1962) war eine äußerst karge Kriegsparabel. Zwei Tölpel, die in einer schäbigen Baracke am Stadtrand hausen, werden zum Militär eingezogen. Man verspricht ihnen alle Reichtümer der Welt. So ziehen sie eine Zeitlang durch die Gegend, und als sie zurückkehren, haben sie tatsächlich enorme Schätze dabei, allerdings nur als Abbildung auf Kitschpostkarten. In einer Nebenrolle als Autoverkäufer tritt Barbet Schroeder auf, der später in Hollywood Filme wie "Barfly" (1987), "Weiblich, ledig, jung sucht ..." (1991) und "Desperate Measures" (1998) drehte.

Eines der wichtigsten frühen Godard-Werke war "Die Verachtung" (1963), ein in der Filmbranche spielendes Dreiecksdrama von hoher visueller Schönheit, mit Brigitte Bardot, Michel Piccoli und Jack Palance. In einer Nebenrolle tritt Regie-Legende Fritz Lang auf. Auf Geheiß des Produzenten, der sich nicht ohne Grund Sorgen um die Einspielergebnisse machte, musste Godard ein paar Nacktaufnahmen von Brigitte Bardot nachdrehen. Aber damit hatte er noch nie Probleme, eher schon mit einigen von fremder Hand vorgenommenen, willkürlichen Umstellungen von Szenen. (Was dann an der Kasse eh nichts half: "Die Verachtung" kam beim Publikum nicht an.)

"Elf Uhr nachts" (1965) war wieder ein Film mit Jean-Paul Belmondo und Anna Karina. Ein Mann findet eine Leiche in seiner Wohnung und nimmt dies zum Anlass, dem bürgerlichen Leben zu entfliehen. In "Lemmy Caution gegen Alpha 60" (1965) huldigt Godard wieder seiner Vorliebe für den billigen Reißer. Eddie Constantine gerät in einer nicht so fernen Zukunft mit den anonymen Machthabern eines totalitären Staates aneinander. Der Science-Fiction-Film arbeitet mit sparsamsten Mitteln: Dieses Paris sieht keinesfalls futuristisch aus; die Entmündigung des Menschen durch die Technik hat bereits in der Gegenwart begonnen.

Waren Godards Filme bislang zwar unkonventionell, aber doch nach den Richtlinien einer nacherzählbaren Geschichte konstruiert, so sollte sich das bald gründlich ändern. Der Kreis von Zuschauern engte sich damit noch weiter ein.

Mit "Masculin - féminin" (1965) beginnt Godards "essayistische" Phase. Dieses und die folgenden Werke umkreisen ein bestimmtes Thema, das mit allen filmischen Mitteln (Schrift-Inserts, Comic-Flashs, Interviews, kurzen und kürzesten Spielszenen und so weiter) vor den Augen des Zuschauern buchstäblich zerhackt wird, um schließlich wie ein Puzzle ein neues Bild zu ergeben.

Mit der apokalyptischen Zukunftsparabel "Weekend" brachte Godard 1968 das Berlinale-Publikum auf die Barrikaden, obwohl der Film ein wenig konventioneller gebaut war als die Vorgänger. Ein junges Paar (Jean Yanne, Mireille Darc) macht sich auf den Weg, um aus reiner Profitgier die Eltern der Frau zu ermorden. Doch der "Wochenendausflug" wird zum bizarren Horrortrip durch eine Gesellschaft, in der alle Grundwerte über Bord gegangen sind. Mit zunehmender Laufzeit wandelt sich das zur typischen 68er-Revolutionshymne. Und am Ende sieht man die Frau, wie sie, gemeinsam mit Kannibalen, ihren Mann als Schweinefleisch-Eintopf verspeist.

Berühmt wurde "Weekend" indes durch eine andere Einstellung. Zu Beginn des Ausflugs bleibt das Paar in einem Stau stecken. Acht Minuten lang, die wie eine Unendlichkeit wirken, fährt die Kamera den gesamten Stau ab, während pausenlos ohrenbetäubendes Hupen erschallt. Diese Einstellung, eine wahre tour de force auch für den Zuschauer, spiegelt filmische Virtuosität ersten Ranges. Es lohnt sich auch, in "Weekend" auf die Farbdramaturgie zu achten. Einen Auto-Crash inszeniert Godard in den Farben der französischen Nationalflagge, der Trikolore.

Danach verabschiedete sich Godard für eine Zeitlang ganz vom Publikum. Zusammen mit seinem Gesinnungsgenossen Jean-Pierre Gorin gründete er die Gruppe Dziga Wertov. Gemeinsam drehten sie ein paar TV-Filme, die so schräg waren, dass sie nie gesendet wurden. Godards Arbeiten nach 1969 bekam kaum jemand zu Gesicht; sie waren lediglich eine Spielwiese für revolutionäre Kommentare, heute nicht einmal mehr von historischem Interesse. Auch die relativ normale Produktion "Alles in Butter" (1972, Co-Regie: Gorin) mit Jane Fonda und Yves Montand war alles andere als gefälliges Starkino. Doch was Jahre zuvor noch frisch wirkte, hatte sich inzwischen totgelaufen.

"Numéro Deux" (1976) sollte schließlich eine Art zweites Erstlingswerk sein (deshalb der Titel), doch erst mit "Rette wer kann (das Leben)" (1980) hatte sich Godard im Kino zurückgemeldet. Die verschachtelte Geschichte mit Isabelle Huppert und Nathalie Baye rekapituliert noch einmal bekannte Themen aus älteren Godard-Filmen, zum Beispiel Prostitution als Metapher für den Kapitalismus.

Mit "Vorname Carmen" (1983) gelang ihm dagegen einer seiner Stil sichersten und besten Filme. Die alte "Carmen"-Geschichte nach Prosper Merimée wird verlegt in ein Terroristenmilieu der Gegenwart. Godard spielt die Rolle eines Filmregisseurs, der im Irrenhaus sitzt. Offenbar hat er viel Spaß daran, im Bild herumzulaufen und den Darstellern Regieanweisungen zu geben. Eine wichtige Rolle spielt - wie in vielen Godard-Filmen - die Musik. In die Handlung eingeflochten sind Musiker, die Streichquartette von Beethoven einstudieren. Und wie ein Beethovenquartett ist sein Film auch gebaut: Zwischen den schnellen Sätzen (Allegro) befindet sich ein ausgedehnter, beinahe meditativer, langsamer Teil (Adagio), ein ruhiger Bilderfluss aus Meeresbrandung, Sex - und eben Beethoven. Maruschka Detmers hat in diesem Film zahlreiche Nacktauftritte, was ihr zu einem Karriereschub verhalf.

Mit "Maria und Joseph" (1983) eckte er bei strenggläubigen Katholiken an, die - unter anderem - in den Kinos Stinkbomben warfen. Auslöser war nicht nur, dass Erzengel Gabriel als Rüpel auftritt (und den Leuten am Flugplatz die Koffer wegtritt), sondern auch die Nacktszenen von Myriem Roussel als Maria. Dabei ist "Maria und Joseph" ein ganz frommer Film, der an keiner Stelle die unbefleckte Empfängnis in Frage stellt. Die Thematik wird lediglich in unsere heutige Zeit transponiert, und Godard fragt sich, wie heute ein Paar mit dem Phänomen der unbefleckten Empfängnis umgehen würde.

"Détective" (1985) ist leichter im Ton. Die ironische, mosaikförmig angelegte Geschichte spielt in einem Hotel, in dem ein Mafiaboss, ein Boxer, seine Freundin, ein Detektiv, ein verkrachtes Paar und andere Leute meist durcheinander quatschen, lustlos in überall herumliegenden Büchern blättern, riesige Schokolade essen und andere seltsame Dinge tun. Ein nicht nur kunstvoller, sondern auch witziger Film. Überhaupt gehört es zu den größten Unterlassungssünden der Filmkritik, dass der skurrile Humor Godards nie gewürdigt wurde. Die Regel ist immer noch die, daß kunstbeflissene Feuilletonisten mit Bierernst die Filme auch da ausdeuten, wo Godard sich einfach einen Spaß macht.

Gar nicht spaßig, sondern in der Tat eine etwas angestrengte Selbstreflexion war "Nouvelle Vague" (1989) mit Alain Delon. "Deutschland Neu(n) Null" (1991) bringt noch einmal den gealterten Geheimagenten Lemmy Caution (Eddie Constantine) zum Einsatz: Godards Kommentar zur deutschen Einheit. Von seinen späteren Filmen kam in Deutschland keiner mehr ins Kino.

Außerdem drehte er Episoden zu den "Omnibusfilmen" (= Filme von mehreren Regisseuren) "Die sieben Todsünden" (1961), "Das älteste Gewerbe der Welt" (1966) und "Aria" (1986/87), wo er eine Arie des Barockkomponisten Jean-Baptiste Lully mit feisten Bodybuildern und nackten Putzfrauen bebildert, ein weiterer Beleg für seinen sehr, sehr schrägen Humor. Außerdem inszenierte Godard einige hübsch bekloppte Werbespots.

Nicht herausgebracht wurde 1987 die sehr freie Shakespeare-Adaption "King Lear", produziert ausgerechnet vom größten Schundduo weit und breit, Menahem Golan und Yoram Globus, die sonst für letztklassige Video-Actionware verantwortlich zeichnen. In diesem Film, geschrieben von Godard und Norman Mailer, wurde durch das Tschernobyl-Unglück jegliche Kunst auf der Erde vernichtet. Ein Nachfahre Shakespeares soll die kostbaren Werke rekonstruieren. In den Hauptrollen spielen Woody Allen (als Mr. Alien!), Julie Delpy, Norman Mailer, Molly Ringwald und Burgess Meredith.

Der Godard-Kult spinnt sich indes munter weiter: Nach dem Originaltitel von "Die Außenseiterbande" ("Bande à part", 1964) ist die Firma benannt, die 1994 Quentin Tarantinos "Pulp Fiction" produzierte. Wo Godard vor vierzig Jahren Amerikaner zitierte, zitieren die Amerikaner heute Godard...

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