Thomas Mann wäre in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden: Anlass genug für den Kultursender ARTE, dem großen Schriftsteller einen ganzen Abend zu widmen. Auf die aufwendig inszenierte Klassiker-Verfilmung "Buddenbrooks" folgen zwei Dokumentationen über Mann und seine Werke.
"Wo ich bin, ist deutsche Kultur", sprach Thomas Mann 1938 aus dem amerikanischen Exil. Nun, da der große Schriftsteller 150 Jahre alt geworden wäre, widmet ihm ARTE einen ganzen Abend. Los geht es mit der Adaption seines berühmtesten Klassikers über eine verfallende Familie: die "Buddenbrooks". Der 1901 erschienene Wälzer zur Lage des deutschen Geistes erhielt 2008 noch einmal große Aufmerksamkeit und wurde von Dr. Heinrich Breloer monumental verfilmt. Seine "Buddenbrooks" allerdings sind gut abgehangenes bürgerliches Bildungskino, das Erinnerungen an die langweiligsten Deutschstunden der Jugend hervorruft. Trotzdem pilgerten vor zwei Jahren stolze 1,2 Millionen Zuschauer ins Kino, um dem Starspektakel beizuwohnen. Anlässlich des Mann-Jubiläums wiederholt der Kultursender den Zweiteiler, bevor Thomas Mann in zwei Dokumentationen gewürdigt wird.
Spritzig, frisch, wunderbar neurotisch muss das Familienleben der Manns gewesen sein. So zeigte es zumindest Dr. Heinrich Breloer in seinem TV-Dreiteiler "Die Manns", jenem hervorragenden, aufwendigen Dokudrama, das aus Zeitzeugen-Interviews, Erinnerungen und Spielszenen zusammengesetzt ist. Doch was Breloer in der realen Geschichte der Literatur-Familie so gut gelang, nämlich unterhaltend zu sein, fesselnd und auch witzig, misslang ihm in der prominent besetzten Verfilmung der "Buddenbrooks".
Breloers Version ist die vierte Verfilmung des Jahrhundertromans – nach einem Stummfilm 1923, der Wirtschaftswunderversion aus dem Jahr 1959 und dem öffentlich-rechtlichen Unterricht in elf Teilen, der 1979 vom Hessischen Rundfunk produziert wurde. "Die Buddenbrooks" sind nicht irgendein Buch, es ist eine deutsche Geschichte, es ist ein Jahrhundertroman, in dem Thomas Mann das Land und die Befindlichkeiten seiner Bewohner trefflich porträtierte – all das Schaffen und Streben, die Dünkel und Sitten, die Ambitionen, den Verfall.
Man darf sich durchaus die Frage stellen, ob die Geschichte der Lübecker Kaufmannsfamilie in ihrer Vielschichtigkeit überhaupt für die Leinwand geeignet ist. Ob es möglich ist, die Sprache Thomas Manns in Bilder umzusetzen, oder ob dabei nicht allzu viel verloren geht. Es sind in der Tat merkwürdige Modernisierungsgedanken, die Breloers 16 Millionen Euro teurer Film in sich trägt. Eine Straffung der Handlung, eine Reduzierung des Personals – das kann einfach nicht gut gehen. Der alte Konsul Jean ist hier die Überfigur, sein Vater Johann wurde wie viele andere Figuren des komplexen Mannschen Ensembles getilgt. Jean, würdevoll und reduziert von Armin Mueller-Stahl gespielt, ist der Letzte, der das Familienunternehmen in bester Ordnung an seinen Nachfolger übergibt.
Jean stirbt 1855, unerwartet. Sein Sohn Thomas (Mark Waschke) übernimmt das Geschäft, die zurückgelassene Ehefrau Bethsy (Iris Berben) das fromme Schaffen im Haus. Während sich Thomas ordentlich und zielstrebig für das Familienunternehmen aufopfert, muss er seinen missratenen Bruder Christian (August Diehl), einen Bonvivant mit Hang zum Theater und all den schönen Künsten, auf Distanz halten. Schwester Tony – Jessica Schwarz ist eine unbeschwert aufspielende Sensation in dieser Rolle – hingegen stolpert mit leicht spöttischem Blick durch das reglementierte Leben. Standesdünkel verhindern ihre große Liebe und treiben sie in die erste Ehe mit dem Hamburger Betrüger Grünlich (Justus von Dohnányi), später in eine zweite mit einem Münchner Hopfenhändler. Sie ist der einzige Anker im Film.
Mit Jeans Tod hat der Verfall der Familie eingesetzt, das "Geschäft von einiger Größe" schrumpft zusehends. Nicht nur bei den Vermögenswerten. Die Zeiten ändern sich schneller, als es die Buddenbrooks können. Thomas Mann analysierte diese Mechanismen, ausschweifend und doch mit scharfem Blick. Die Verfilmung beschränkt sich hingegen auf ein Abfilmen der Ereignisse. Opulent ausgestattet zwar, aber ohne die Kraft, die Thomas Mann mit seiner Sprache so spielend zu erreichen pflegte. Wo bei ihm jedes Komma, jeder Nebensatz, jede Verschachtelung zum Bild wurde, bleibt hier das Spiel mit Licht und Schatten, mit Kamerafahrten, Kostümen, Schminke und aufwendigen Sets. Technisch sind die "Buddenbrooks" äußerst penibel geplant und umgesetzt.
Im Anschluss an den Zweiteiler vertieft die Dokumentation "Buddenbrooks – Thomas Mann und Lübeck" ab 23.15 Uhr die Geschichte von Mann und seinem Meisterwerk. Der erstausgestrahlte Film von André Schäfer beleuchtet die "Buddenbrooks" (1901) als literarisches Spiegelbild von Manns Heimatstadt Lübeck – und als Werk, das vom Skandal zum Jahrhundertroman wurde. Einst von den Lübeckern geschmäht, machte das Familienepos den Senatorensohn 1929 zum Literaturnobelpreisträger. Die filmische Erkundung verbindet Expertenstimmen mit Streifzügen durch Lübeck. Comic-Illustrationen lassen Figuren und Atmosphäre des Romans lebendig werden.
Weiter geehrt wird Thomas Mann anschließend zu später Stunde im Film "Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann" (ab 0.05 Uhr), der ebenfalls von Regisseur André Schäfer stammt und als Free-TV-Premiere gezeigt wird. Die Dokumentation wirft einen neuen Blick auf Thomas Manns jahrzehntelange Arbeit an seinem unvollendeten Roman "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" und verwebt Archivmaterial, Tagebucheinträge und fiktionale Szenen zu einem hybriden Porträt. Schauspieler Sebastian Schneider verkörpert sowohl den Autor als auch sein literarisches Alter Ego und macht ihre Parallelen sichtbar. Die filmische Reise führt von Eltville über Paris bis nach Lissabon. Sie beleuchtet Manns Leben im Exil, seine Selbstinszenierung und die verborgenen Sehnsüchte, die sein Werk prägten.
Buddenbrooks – Mo. 26.05. – ARTE: 20.15 Uhr