Dritte und vierte Staffel folgen

"Babylon Berlin": Was die Macher als nächstes planen

von Eric Leimann

Am 1. Dezember laufen die beiden vorerst letzten Folgen von "Babylon Berlin". Mittlerweile steht fest, dass das 40 Millionen Euro-Projekt ein Erfolg ist und mit der Verfilmung von zwei weiteren historischen Kriminalromanen Volker Kutschers fortgesetzt wird.

650.000 Zuschauer pro Episode verfolgten bei Sky1 "Babylon Berlin", die bisher teuerste deutsche Fernsehserie. Auch die Abrufzahlen sind gut. Am 1. Dezember strahlt der Pay TV-Sender die beiden vorerst letzten Folgen des Kriminalepos und Sittengemäldes der späten Weimarer Republik linear aus. Aber es wird weitergehen! Wie nun bekannt wurde, hat Hauptgeldgeber ARD, bei der die 40 Millionen Euro teure Serie (für 16 Folgen) erst im Herbst 2018 in Programm sein wird, eine dritte und vierte Staffel zugesagt. Die Erfolgssignale rund um "Babylon Berlin" waren so eindeutig, dass die Entscheidung der Gebührengelder-Verwalter unter dem Strich wohl verantwortbar ist. Die Kritiken fielen gut bis sehr gut aus. Und nach der jüngsten Staffel der erfolgreichsten Serie der Welt, "Game of Thrones", konnte sich "Babylon Berlin" einen beeindruckenden zweiten Platz in der Allzeit-Serienhitparade von Sky sichern. Auch das Exportgeschäft, das unter anderem einen werthaltigen Deal mit Netflix USA beinhaltet, läuft gut. Wie zufrieden sind die Autoren und Regisseure des Mammutwerkes, Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten? Im Interview betrachten die "Babylon Berlin"-Macher das, was sie – auch künstlerisch – erreicht haben, und geben einen Ausblick darauf, wie es weitergehen könnte.

prisma: Mittlerweile steht fest, dass "Babylon Berlin" mit einer dritten und vierten Staffel weitergeht. Wie werden Sie weitererzählen – und wann?

Achim von Borries: Wir werden uns inhaltlich an den Kutscherschen Romanen weiterhangeln, das heißt konkret: Staffel drei wird unter anderem den "Stummen Tod" behandeln, und die vierte Staffel erzählt entlang von "Goldstein". Wie genau das aussieht, wird nicht verraten! Natürlich gibt es neben den Romanen eine Menge offener Enden und Stränge, die nach Episode 16 noch erzählt werden wollen. Und wenn wieder alle mitspielen und die Bücher fertig sind, dann wird auch gedreht.

prisma: Nehmen wir an, Sie hätten für die ersten beiden Staffeln "Babylon Berlin" einen Erfolgswunsch frei gehabt. Gute Einschaltquoten in Deutschland, renommierte Preise oder einen tollen Verkauf ins Ausland – worüber hätten Sie sich am meisten gefreut?

Tom Tykwer: Wenn ich dürfte, würde ich mich für eine vierte Sache entscheiden. Wir haben viereinhalb Jahre an dieser Serie gearbeitet. Wir hatten die Vision im Kopf, etwas zu erschaffen, das man so noch nicht gesehen hat. Als Filmemacher ist es nicht selbstverständlich, dass eine komplexe Vision im fertigen Film sichtbar wird. Wir haben es erreicht und waren deshalb schon vor der Ausstrahlung sehr zufrieden.

Henk Handloegten: Die größte Belohnung für uns ist, dass wir weitererzählen dürfen – was ja mittlerweile feststeht. Natürlich ergab sich diese Entscheidung durch Signale, die mit den von Ihnen genannten Erfolgskriterien zusammenhängen.

prisma: Warum ist es Ihr größter Wunsch, weiterzuerzählen? Man könnte ja auch nach vielen Jahren intensiver Arbeit den Wunsch hegen, etwas Neues zu machen ...

Handloegten: Die größte Freiheit, Qualität zu schaffen, bekommt man bei einer ambitionierten Serie durch das Vertrauen der Zuschauer. Wenn man spürt, dass viele Menschen wissen wollen, wie es weitergeht, fängt man an, mit Erwartungen an Handlung und Charaktere zu spielen. In diesem Moment werden Serien oft erst richtig interessant. Ich glaube, eine dritte, vierte, fünfte oder sechste Staffel "Babylon Berlin" könnte noch besser werden, als die ersten beiden. Qualität hat oft damit zu tun, dass viele Leute bereits von der Serie überzeugt sind. Künstlerische Freiheit muss man sich auch erwerben.

prisma: Herr Tykwer, Sie sagten eben, dass Sie etwas erschaffen wollten, was man so noch nicht gesehen hat. Was genau hatten Sie sich vorgenommen?

Tykwer: Wir haben immer gesagt, dass neben den Figuren, die im Drehbuch stehen, Berlin einer der wichtigsten Hauptdarsteller ist. Wir wollten diese Stadt im Jahr 1929 zeigen. Ein babylonisches Berlin, das sehr subjektiv durch die Augen unserer Hauptfiguren erschaffen wird. Dass man Berlin so noch nie im Film sah, dafür gibt es verschiedene Gründe. Vor allem natürlich jenen, dass dieses Berlin nicht mehr existiert. Viele Filme über diese Zeit hielten sich deshalb vorwiegend drinnen auf. Wir wollten mit unseren Figuren durch die Stadt preschen, um die Ecken hechten. In die Unterwelt, zu den politischen Eliten, zu Polizei und Militär, ins Arbeitermilieu und natürlich ins Nachtleben.

prisma: Wird ein Film durch viele authentische Schauplätze automatisch besser?

Tykwer: Man erhöht die Chance, etwas abzubilden, das sich wie echtes Leben anfühlt. Man kann Figuren zeichnen, die ihr Leben in einer selbstverständlichen und bei uns auch intensiven Form leben. Genau das filmisch abzubilden, war die größte Aufgabe und Herausforderung bei "Babylon Berlin".

prisma: Welche Vorlagen benutzten Sie für die Stadt im Jahr 1929?

Achim von Borries: Das Berlin der 20-er ist recht gut dokumentiert. Filme wie "Menschen am Sonntag" von Robert Siodmak wurde 1929 vorwiegend in den Straßen Berlins aufgenommen. Das war damals extrem neu und fortschrittlich. Im Prinzip sieht das aus wie ein früher Dogma-Film. Er war für uns eine wichtige Inspirationsquelle.

Handloegten: "Mutter Krausens Fahrt ins Glück" ist auch ein Film aus dem Jahr 1929, der für uns wichtig war. Er zeichnet ziemlich genau das proletarische Milieu Berlins jener Zeit, das wir ja auch porträtieren. Die Verfilmung von "Berlin Alexanderplatz" mit Heinrich George geht in eine ähnliche Richtung. Wir studierten vor allem die Außenaufnahmen jener Filme. Auch Dokumentarfilme wie der 1927 gedrehte "Sinfonie einer Großstadt" waren sehr hilfreich.

prisma: Die meisten deutschen Filme der 20er wurden dennoch im Studio gedreht. Gab es auch da Vorbilder, die Ihnen weiterhalfen?

Handloegten: Natürlich. "M" von Fritz Lang zum Beispiel. Das war eine wichtige Vorlage für unsere Darstellung der Polizeiarbeit. Auch in den Berliner Zeitungen und Magazinen der 20er ist das Leben jener Jahre toll dokumentiert. Das Feuilleton setzte sich damals intensiv mit Zeitphänomenen auseinander. Man diskutierte leidenschaftlich neue Phänomen. Siegfried Kracauer hat zum Beispiel die erste soziologisch-empirische Studie in Deutschland über eine neue Gesellschaftsschicht vorgenommen, die er "Die Angestellten" nannte. All diese Phänomene wurden öffentlich in Schrift und Bild diskutiert – das half uns bei der Rekonstruktion der Zeit enorm weiter.

prisma: "M" von Fritz Lang war 1931 ein Höhepunkt und Abschluss des berühmten expressionistischen Films in Deutschland. Sie haben vorher viel über Realismus, sozusagen frühe Dogma-Filme gesprochen. Das expressionistisch Überzeichnete findet sich aber auch in Ihrer Serie wieder, oder?

von Borries: Natürlich. Wir arbeiteten mit vielen künstlerischen Stilen, die damals eine Rolle spielten. Und auch welchen, die weit über die Zeit hinausgingen. Unser Ziel war es zu unterhalten – und da spielt die Buchvorlage von Volker Kutscher eine wichtige Rolle. Genre-Filme oder -Literatur sind in Deutschland nicht mehr allzu populär. Die Kutscher-Romane sind sogenannte "Hard Boiled"-Krimis. Eher mit einem "Cop" in der Hauptrolle als einem klassischen Ermittler. Wir versuchen gar nicht, komplett in der Zeit zu bleiben. Man sieht das auch an anderen Szenen wie zum Beispiel den nächtlichen Partys, die auch viel Heutiges haben.

prisma: Der Song "Zu Asche, zu Staub" wird in der Serie als Live-Performance auf der Bühne dargeboten, obwohl er weit über den Sound der Zeit hinausgeht. Sind das die Elemente, die sie meinen?

Handloegten: Ja, es ist ein Beispiel. Die 20-er waren in Berlin eine extrem tanzwütige Zeit. Wir mussten einen Sound finden, der die Menschen damals nachvollziehbar weggeblasen hat. Etwas, das die Leute so euphorisierte, wie es uns Filmemachern Anfang der 90-er mit Techno in Berlin gegangen ist. Dabei kamen Musik und Choreografien heraus, die Sound und Bewegungen von damals mit modernen Stilmitteln verknüpfen. Eigentlich soll man ja vergessen, dass man Leute betrachtet, die in einer anderen Zeit leben. Wir wollten einen zeitgenössischen Film drehen. Nur, dass die Leute eben Hüte aufhaben – und besser aussehen als wir heute (lacht).

prisma: Sie sagen, dass es zwischen jener Zeit, aus der die Serie erzählt, und heute viele Parallelen gibt. Welche sind das?

Tykwer: Es gibt so viele offensichtliche Parallelen, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll. Die vielleicht wichtigste ist, dass sich die Menschen im Berlin des Jahres 1929 wie wir heute in einer großen Stabilität wähnten. Die zerbrach schneller, als selbst größte Pessimisten es sich vorstellten. Aus dem chaotisch freien Babylon Berlin wurde innerhalb kürzester Zeit Nazi-Deutschland. Wer hätte vor zwei Jahren an die Möglichkeit eines Brexit, die Wahl Trumps zum US-Präsidenten oder Wahlsiege rechter Parteien in Deutschland gedacht? Der Tanz auf dem Vulkan ist ein Grundgefühl der Serie, von dem die Figuren im Drehbuch natürlich nichts wissen. Trotzdem ist diese DNA in die Ästhetik von "Babylon Berlin" hineingewachsen – was wir gar nicht verhindern konnten oder wollten.

prisma: Können Sie noch mehr Berlin-Parallelen zwischen 1929 und 2017 verraten?

von Borries: Damals wie heute war Berlin eine pulsierende und auch international extrem angesagte Metropole, die viele Besucher und Künstler anzog. Es war vielleicht kein Schmelztiegel wie New York, aber dennoch eine ungeheuer moderne Stadt. Auch ein Zufluchtsort für Menschen aus vielen Nationen, die sich hier sicher und wohl fühlten. In Berlin konnte man sich neu erfinden. Ein Wert, für den die Stadt heute wieder steht. Nach den Nazis war es hier bis in die 80-er Jahre hinein ziemlich provinziell. Erst seit zehn oder 15 Jahren wird Berlin international wieder als spannende Metropole wahrgenommen.

prisma: Ist auch das Lebensgefühl junger Leute 1929 in Berlin eines, das sich mit dem heutigen vergleichbar ist?

von Borries: Es gibt schon Parallelen, die über wilde Partys und kreatives Kulturleben hinausgehen. Damals wie heute entwickelte sich in Berlin eine Dienstboten-Gesellschaft. Früher hatte man den Dienstmann, der das Hemd in die Reinigung brachte oder das Gepäck trug. Dabei verdiente der so wenig Geld, dass es kaum zum Leben reichte. Heute fahren junge und nicht mehr so junge Leute in der Stadt herum und stellen Amazon-Pakete zu. Auch die können kaum von dieser Arbeit leben. Wie damals müssen heute viele Leute zwei oder drei Jobs machen, damit es gerade reicht. Sie quetschen sich in enge Wohnungen, um überhaupt in der Innenstadt bleiben zu können. Auch 1929 lebten Arbeiter und Dienstboten dort auf engstem Raum. Es gibt tatsächlich viele gesellschaftliche Parallelen zwischen damals und heute.

prisma: Auf "Babylon Berlin" lastete ein hoher Druck, weil es die erste im Ausland anerkannte, große Qualitätsserie aus Deutschland werden sollte. Was genau ist eine Qualitätsserie, und was macht Ihre zu einem spezifisch deutschen TV-Kunstwerk?

Handloegten: Eine Qualitätsserie muss zunächst mal eine leidenschaftliche Arbeit von hoher künstlerischer Qualität sein. Egal, welches Budget sie hat. Keine synthetische Auftragsarbeit, die vorgefertigte Kriterien oder scheinbare Erwartungen des Publikums erfüllen soll. Wir brechen hier eine Lanze für den klassischen Autorenfilm – auch, wenn wir eine Serie gedreht haben. Einfach deshalb, weil wir "Babylon Berlin" zusammen geschrieben und inszeniert haben. Wir arbeiteten bereits an der Idee, bevor wir auf die Romane Volker Kutschers stießen. Insofern ist unsere Arbeit nicht austauschbar.

von Borries: Sehr deutsch ist natürlich auch die Sprache. Wir hätten die Serie viel schneller finanziert bekommen, wäre sie in englischer Sprache gewesen. Doch dann hätten wir es lieber gar nicht gemacht. Die verschiedenen Dialekte, der Mutterwitz der verschiedenen Slangs und Sprachen – all das hätte uns arg gefehlt. Es hätte auch eine völlig andere Ästhetik erschaffen. Serien sind international auch deshalb erfolgreich, wenn sie sehr spezifisch und genau aus einem Land, einer Stadt oder einem Milieu berichten. Wir schauen uns "Borgen" an und interessieren uns plötzlich für dänische Politik und das Leben der dortigen Ministerpräsidentin. Warum? Weil in der Serie sehr genau eine Gesellschaft gezeichnet wird, die ein bisschen anders lebt als Menschen anderswo, die uns aber trotzdem mit ihren Problemen und Konflikten an uns selbst erinnert.

prisma: Also haben wir nun die erste deutsche Qualitätsserie?

Handloegten: Ich halte nichts von diesem Label. Es gab bereits Qualitätsserien aus Deutschland, die allen heutigen Kriterien genügen, wenn man sie filmästhetisch auf jene Zeit herunterrechnet, in der sie entstanden sind. Natürlich ist das schon ein bisschen her, aber in den 70er- und 80er-Jahren gab es tolle Sachen aus Deutschland: Die Kempowski-Verfilmung "Tadellöser & Wolff" von 1975 zum Beispiel, die für mich sehr wichtig war. Als Bezugspunkt für unsere Serie war die erste Staffel von Edgar Reitz' "Heimat" sehr wichtig. Wie "Babylon Berlin" war das im Prinzip ein 16-stündiger Film. Zwar in Kapitel unterteilt, aber trotzdem eine lange zusammenhängende Erzählung. Wenn "Babylon Berlin" irgendwann mal in dieser Tradition gesehen würde, wäre das für uns ebenfalls ein Lob, das uns stolz macht.


Quelle: teleschau – der Mediendienst

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